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Stars von gestern Stars von gestern: «Rebell» Günter Netzer wird 60 Jahre alt

Von Wolfgang Müller 13.09.2004, 13:52
In der TV-Moderatoren-Kabine verfolgt Fußball-Experte Günter Netzer das Spiel. (Foto: dpa)
In der TV-Moderatoren-Kabine verfolgt Fußball-Experte Günter Netzer das Spiel. (Foto: dpa) dpa

Leipzig/dpa. - Er war Lebenskünstler und Rebell, begnadeterTechniker und genialer Regisseur. Heute ist er «einer der wenigendeutschen Spitzensportler, die auch unternehmerisch erfolgreichsind», wie die «Financial Times Deutschland» einmal schrieb. Andiesem Dienstag feiert Günter Netzer, eine der schillerndsten undcharismatischsten Figuren des deutschen Fußballs, seinen 60.Geburtstag.

Der Zeitschrift «Gala» verriet der Jubilar, es werde keine großeParty geben. «Meine Frau sagt, ich würde am liebsten in den Kellergehen, mir eine Decke über den Kopf ziehen, ein Lichtlein anzündenund sagen: Ich habe Geburtstag», meinte Netzer, «das entsprichtmeinem Naturell. Es wird in ähnlicher Art und Weise passieren.»

Dieses Naturell wurde oft beschrieben und unzählige Malecharakterisiert. Es gibt wohl kaum ein Attribut, das man Netzer nochnicht zugeschrieben hat, und kaum eine Anekdote aus seinem Leben, dienoch nicht erzählt worden ist. Aus dem «Rebell am Ball» ist einknallharter Geschäftsmann geworden. Er sei «immer noch die Nummer 10,die andere für sich malochen lässt», schrieb der «Spiegel».

Der ehemalige Spielgestalter ist heute nicht nur Mitinhaber derSchweizer Sportrechteagentur Infront, sondern auch einer derprofiliertesten Fernseh-Kritiker der deutschen Nationalmannschaft.Gemeinsam mit ARD-Moderator Gerhard Delling erhielt er im Jahr 2000den Adolf-Grimme-Preis - bis heute siezt sich das ungewöhnliche Duo.«Vielleicht ändern wir das zu meinem 80. Geburtstag», sagt Netzer.

Der einst von linken und intellektuellen Fußballfans zum Mythosstilisierte Netzer hat als Fernseh-Rezensent längst Kultstatuserreicht. Im Radio gibt es die Comedy-Version «Detzer & Nelling»,Parodien auf das Moderatoren-Duo finden sich in zahlreichen Medien.Netzer wurde in seiner TV-Rolle auch schon heftig kritisiert. Soschloss der ehemalige DFB-Teamchef Rudi Völler in seiner berühmtenWutrede von Reykjavik «Gurus» wie Netzer in seinen Rundumschlag ein.Auch mit seinem Vorwurf, Nationalspieler Michael Ballack tauge wegenseiner Vergangenheit in der DDR nicht zur Führungspersönlichkeit,schuf sich Netzer kaum Freunde.

Dabei galt er selbst nicht gerade als Vorbild. Lediglich 37Länderspiele hat Netzer absolviert. Bei der WM 1974 kam er ganze 22Minuten zum Einsatz. «Andere mußten jahrelang schuften, ihm genügtenwenige Spiele zur Unsterblichkeit», schrieb das FAZ-Magazin. «Es istwie bei vielen Mythen, dafür gibt es kaum eine Erklärung», sagteNetzer dem «kicker» (Montag-Ausgabe), «vielleicht ist es die Art undWeise, wie ich gelebt, wie ich Fußball gespielt habe.»

Unvergessen das Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln, als er sichin der Verlängerung selbst einwechselte und beim ersten Ballkontaktden Siegtreffer zum 2:1 erzielte. Legendär das später annullierte 7:1im «Büchsenwurfspiel» gegen Inter Mailand. Mythos bildend der EM-Sieg1972, als einer der berühmtesten Sätze der Fußball-Geschichte geprägtwurde: «Netzer kam aus der Tiefe des Raumes.»

Das allerdings wird man nicht mehr erleben, nicht einmal inProminentenspielen. Im Gegensatz zu vielen ehemaligen Kollegen hatNetzer mit seiner Vergangenheit als Fußballer abgeschlossen. «AlleFlanken sind geschlagen», sagt er, «ich habe dieses Leben wunderbardurchlebt. Ich vermisse nichts. Ich halte es nicht für notwendig, inder alten Zeit zu leben.»