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Stadtmuseum Sandersleben Stadtmuseum Sandersleben: Besucher werden eingesperrt

Von Jörg Müller 15.08.2001, 16:07

Sandersleben/MZ. - Schon das Gebäude hat es in sich: "Es ist der einzige historische Zellenbau in Sachsen-Anhalt", so Puschendorf. Das 1865 neben dem Rathaus gebaute Gefängnis hatte vier Zellen im Erdgeschoss und eine Wärterwohnung im Obergeschoss; 1892 kam ein Anbau mit weiteren vier Zellen dazu. Nach der Schließung 1927 erwarb die Stadt das Haus, brachte hier zunächst Obdachlose unter und richtete später Mietwohnungen ein, die seit Anfang der 90-er Jahre allerdings leer standen. Ab 1999 wurde das Gebäude in Vergabe-ABM renoviert und mit neuen Elektro-, Sanitär- und Heizungsanlagen ausgestattet; parallel dazu machten sich Puschendorf und zwei Mitarbeiterinnen, Roswitha Kaiser und Bärbel Wojciechowski, ebenfalls in ABM/SAM an die inhaltliche Vorbereitung.

Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Unten, im originalgetreu rekonstruierten Zellentrakt, geht es um Gerichtsbarkeit und Strafvollzug in Sandersleben. So gibt es eine Zelle mit dem früher üblichen, kargen Inventar: eine Liege, ein Tisch mit echten Einkerbungen (aus dem berüchtigten "Roten Ochsen" in Halle) - und eine Bibel. Außerdem ist umfangreiches Material zur Justiz-Geschichte ausgestellt, etwa ein Richterbuch aus dem 18. Jahrhundert, Darstellungen historischer Gerichtsfälle oder eine originale Peitsche, die nach Abschaffung der Folter zum Einsatz kam. Am Tag der offenen Tür kann es Besuchern übrigens passieren, dass sie von einem Aufseher verhaftet und in eine Zelle gesperrt werden - allerdings nur für ein Erinnerungsfoto.

Die zwei Zellen im Obergeschoss werden als Büro/Leseraum sowie für die Unterbringung des Stadtarchivs genutzt. Laut Landes-Archivgesetz ist die Stadt nämlich verpflichtet, ein öffentlich zugängliches Archiv zu unterhalten - was bisher nicht der Fall ist. In der ehemaligen Wärterwohnung schließlich gibt es drei "Abteilungen": Stadtgeschichte (unter anderem mit rund 150 alten Ansichtskarten), Schule (ein historisches Klassenzimmer) sowie Wohnen (eine "gute Stube" vor 60 bis 70 Jahren). Auch an einen "vergessenen Sohn" Sanderslebens wird hier erinnert: Georg Heinrich Berenhorst (1733 bis 1814), ein unehelicher Sohn des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, erregte seinerzeit großes Aufsehen durch seine scharfe Kritik am Militärsystem.

Wichtig bei alldem: "Wir wollen nicht irgendwas zeigen, sondern Dinge aus Sandersleben", so Puschendorf. Eine Idee, die in der Stadt auf große Resonanz stieß: Rund 1 400 Schenkungen und 200 Leihgaben habe das Museum bisher erhalten. "Wir sind aber weiter auf der Suche nach Exponaten." Gedacht sei nämlich daran, die Themen der Ausstellung später zu wechseln. Außerdem soll der größte Raum kulturell oder für Schul-Projekttage genutzt werden. Als besondere Attraktion beim Tag der offenen Tür können die Besucher Kopien von historischen Ansichtskarten, Fotos und Texten sowie Broschüren zur Stadtgeschichte und Kriminalliteratur kaufen. Öffnen wird das Museum laut Bürgermeister Rainer Bittmann wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres. Betreiber der städtischen Einrichtung werde der Traditionsverein sein. Wer sich dafür engagieren möchte: Sowohl Spenden als auch neue Mitglieder sind willkommen.

Das Museum im Internet: www.stadtmuseum-sandersleben.de. Spenden bitte auf das Konto Nr. 3 334 000 698, BLZ 800 550 08, Sparkasse Mansfelder Land.