1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Samerberg-Tal: Samerberg-Tal: Die Toskana in Weiß-Blau

Samerberg-Tal Samerberg-Tal: Die Toskana in Weiß-Blau

Von Wolfgang Gessler 30.07.2004, 17:25

Halle/MZ. - Die Kirchtürme der Ortschaften Törwang und Grainbach ragen auf, eingerahmt von alten Gehöften, eingebettet in eine malerische Hügellandschaft mit Apfel- und Zwetschgenbäumen, wo die Asphaltbänder kleiner Sträßchen verlassen in der Sonne glänzen. Kein Verkehr, nirgends Ampeln. Nur gelegentlich tuckert ein Traktor vorbei, gleiten Radler lautlos vorüber. Diese Hochebene zwischen Inn und Chiemsee ist die Gemeinde Samerberg, die "bayerische Toskana", wie es in einem Prospekt heisst. Begrenzt durch Höhenzüge, wo die Doagl-Alm und die Käseralm, die Feichteck-Alm oder die Dandlberg-Alm Wanderer und Berg-Radler mit zünftigen Brotzeiten locken. Zu Füßen des 1 569 Meter hohen Hochries-Gipfels.

Dort hinauf bringt eine Seilbahn auch Paraglider und Drachenflieger. Denn die Hochries dient ihnen als ideale Startrampe. Zudem ist dieser Berg Ausgangspunkt spannender Höhen-Wanderungen und auch eine Aussichtskanzel vom Feinsten. Der Ausflug hier herauf gewährt nämlich Weitblicke etwa auf Spitzstein und Geigelstein, Kranzhorn und Wendelstein - eben aufs ganze Gipfelmeer der bayerischen Alpen. Im großen Eiszeitalter hobelte der Gletscher des Inn dieses zentral gelegene Samerberger Becken aus, türmte rundum den mitgebrachten Gesteinsschutt zu enormen Moränenzungen auf. Heute ist das eine Art natürlicher Schutzwall, welcher dem Samerberg eine seltene Beschaulichkeit bewahrt hat. Das soll so bleiben.

Die Samerberger sind sehr gastfreundlich, aber sie wollen in keinem Fall zur "Outdoor-Arena" verkommen. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, strampelt an Feuchtwiesen entlang, auf denen noch tiefblauer Enzian und die pinkfarbene Mehlprimel gedeihen; kleine Blaupfeile - eine Libellenart - schwirren umher. Auch Filze dehnen sich hier aus, moorartige Flächen, an deren Rändern Kiefern, Birken und Weiden wachsen und in deren nassen Zentren Sonnentau, Binsen, Erika und Torfmoos gedeihen. An einer Weg-Gabelung steht eines der typischen, hölzernen Kruzifixe.

An der nächsten Verzweigung staunt der Besucher über eine sagenhafte Ansammlungen kleiner Hinweisschilder: Zu fast dreißig verschiedenen Ortsteilen der Gemeinde Samerberg wird der Weg gezeigt. 30 von insgesamt 70 kleinen Flecken mit zusammen nur 2 500 Einwohnern und so klingenden Orts-Namen wie Stampfl, Nudlbichl, Hartbichl oder Gasbichl. Ja, und Törwang ist das Verwaltungszentrum. Mit Pfarrkirche und dem "Entenwirt", wo die Wirtsleut' das Federvieh als gerühmte Spezialität offerieren. 3 400 Hektar Fläche, so die Statistik, umfasst die Gemeinde Samerberg, mit 100 Kindergartenplätzen, 44 Vereinen und einem eigenen Künstlerkreis. Und der Samerberg als Rückzugsgebiet für Individualisten, für kreative Köpfe wie Maler, Bildhauer oder Keramiker, das hat gar eine gewisse Tradition, erzählt Dorothea Heinz. Die Holzschnitzerin lebt im Weiler Hundham und hat sich ihre Werkstatt in einem 300 Jahre alten Hof eingerichtet. Aber nicht nur Zugereiste sind kreativ, sondern gerade auch die Einheimischen. Dorothea Heinz: "Es gibt Jazz-Frühschoppen und Dichterlesungen, ein Tierarzt spielt mittelalterliche Musik." Landmenschen und zugereiste Städter kommen hier gut miteinander aus, erzählt Dorothea, berichtet von Biobauern und einem Freilichtspiel mit 150 Akteuren, Pferdefuhrwerken und Reitern.

Inzwischen haben die Radler mit ihren Drahteseln den Flecken Eßbaum passiert, mühen sich hinauf Richtung Dorfen und dann immer auf dem Höhenrücken entlang. Von der anderen Seite des Hochtals leuchten die Almwiesen mit ihren Käsereien herüber. Und das mehrgipflige Heubergmassiv sticht in den Himmel, dort, wo sich im Wald eine Wallfahrtskirche samt Einsiedelei verbirgt, die letzte bewohnte in Oberbayern.

Vorbei geht's an grasenden Pferden und den blumenbeladenen Fassaden alter Bauernhäuser. Viele von ihnen nehmen gerne Gäste auf. Zweidrittel aller Übernachtungen im Erholungsgebiet Samerberg werden als "Urlaub auf dem Bauernhof" gebucht, mehr als irgendwo sonst in Bayern. Bauern schreiten mit Sensen bewehrt über die feuchten Niedermoorwiesen: In mühsamer Handarbeit schneiden sie das Gras, das später in getrockneter Form als "Einstreu" für die Ställe genutzt wird. Hier oben, von der Aussichtskapelle bei Obereck, schauen die Besucher noch rasch über den Rand des Samerbergs hinaus nach Norden und Osten, erspähen den Simssee und in der Ferne den Chiemsee.

Dann bummeln sie hinunter nach Grainbach, wo an manchen Tagen buntes Treiben auf dem Bauernmarkt herrscht. Heute zwar nicht, aber dafür hat der "Maurer" geöffnet, ein Wirtshaus mit gemütlichem Biergarten. Dort vergeht dann der Tag auf sehr angenehme Weise: mit mehreren "Radler-Halben" oder "Russen-Maß", begleitet von bayerischem Wurstsalat, vielleicht noch einem Kaiserschmarrn samt Apfelmus, und jedenfalls abgerundet mit einen Birnenschnaps von den Bäumchen auf der Nachbarwiese.