Sächsische Schweiz Sächsische Schweiz: Hühnerleiter hinauf zum Gamrig-Felsen
Halle/MZ. - Die offensichtlich europäische Bedeutung dieser etlichen Kilometer Radweg war mir zuvor in dem Maße nicht bewusst. Zufrieden radele ich weiter. Wiesenland, Bäume, Gezwitscher und Gesumme machen mich glauben, ein Teil dieses Ganzen zu sein. Links, also rechtselbisch, wie mich ein Anwohner belehrt, türmen sich die ersten Ausläufer des Elbsandsteingebirges. Wie ein Reihe von frischen Rekruten stehen sie da Spalier.
Etwa eine viertel Stunde geht ins Land. Gegenüber auf der anderen Elbseite ragen bizarre Felsformationen in schwindelerregende Höhen. Majestätisch anmutend thront die Bastei, Magnet für Besucher aus nah und fern, wie eine
Königin auf dem Gestein. Andächtig blicke ich hinauf. Einzig ein
lärmender Rasenmäher hinter mir unterbricht meine Gedanken. Eine ältere Dame versucht, das wuchernde Grün auf einem kleinen Grundstück zu zähmen. Ob sie sich an diesem Panorama je satt sehen könnte, frage ich. Sie verneint. Hinter den von Horn gerahmten Brillengläsern leuchten ihre Augen. Seit 77 Jahren kommt sie hier her. Immer über den Sommer. Das Schwimmen hätte sie mit zehn Jahren in der Elbe vor eben dieser Kulisse gelernt. "Zu Pfingsten sind wir immer rauf", erzählt die 80-Jährige. "In den dreißiger Jahren strömten die Menschen an diesen Tagen von überall her. Meistens waren es Berliner." Nicht mehr weit sei es bis nach Rathen, gibt sie mir noch mit auf den Weg. Vielleicht dreißig Minuten. Schon von Weitem leuchten mir die hellen Fassaden des jetzt wieder malerischen Ortes entgegen, der dabei ist, sich von den Flutschäden des vergangenen Jahres zu erholen. Sanft schmiegen sich Häuser, Restaurants und Hotels an die Elbe. Schilder weisen den Weg zur Fähre. kleines Schiff den Anlegesteg. Das Ticket für das Rad und mich kostet 1,70 Euro.
Rasselnd fallen die Absperrgitter zu. Fast mühelos gleitet das Schiff trotz starker Strömung hinüber. Unter mir vibrieren die Motoren mit aller Kraft. "Den Gamrig bei Rathen solltest du dir unbedingt mal anschauen", hatte erst neulich ein Bekannter geraten. Das tue ich dann auch. Die Wanderstiefel geschnürt, mache ich mich die gut dreißig Minuten vorbei an Fachwerkhäusern und kleinen Gärten auf den Weg.
Wie Odysseus auf Irrfahrt stapfe ich durch die Flur. Meine Karte zeigt Rathen als einen Punkt in der Landschaft. Zu wenig Informationen, als dass sie mir wirklich weiterhelfen. Intuitiv gehe ich da lang, wo es bergauf geht. Immer rechts halten. Stufen leiten mich. Wie Hühnerleitern bauen sich einige davon vor mir auf. 273... 274... 275... geschafft. Die Sandsteinfelsen des Gamrig liegen wie gigantische Orgelpfeifen aufgereiht.
Ich springe von Plateau zu Plateau. Hoch steht die Sonne. Rundum ein geradezu atemberaubender Weitblick. Die Böhmische Schweiz, der Lilienstein, Königstein und die Bastei in greifbarer Nähe. Ein Traktor zieht kunstvoll auf den Äckern am Fuße der Felsen seine Kreise.