Reportage Reportage: Wer ist schon gern der Blitzableiter?
Halle. - «Seit um Acht stehe ich schon hier und komme nicht weiter», schimpft der Brummi-Fahrer. «Der Astra da vorn versperrt die Einfahrt in den Kreisverkehr.» Darum hatte der Berufskraftfahrer das Ordnungsamt verständigt. «Rücksichtslos» und «Manche denken nicht nach», brabbelt der Trucker noch, ehe er sich in seine Fahrerkabine zurückzieht. Es hat angefangen zu nieseln. S. steht inzwischen an dem Astra und gibt das Kennzeichen an die Zentrale weiter. «Zuerst versuchen wir herauszubekommen, ob der Halter in der Umgebung wohnt oder arbeitet. Dann könnten wir ihn informieren und müssen nicht abschleppen», erklärt Ludwig. Doch der Halter des Astras ist nicht im Paulusviertel zu Hause.
Gerade als S. den Abschleppauftrag fertig machen will, kommt ein Pärchen aufgeregt angelaufen. «Ist das ihrer», fragt S. «Ja», sagt der Mann. «Wir waren nur mal kurz beim Arbeitsamt.» – «Kurz», S. grinst zu mir herüber. Später wird er mir noch sagen, dass fast alle Ertappten zuerst versuchen, den Ordnungshütern «die Taschen vollzuhauen» und sich dabei die verrücktesten Ausreden einfallen lassen. Doch zunächst wendet sich S. dem Astra-Besitzer zu: «Da haben sie ja noch mal Glück gehabt, das Abschleppunternehmen ist noch nicht informiert.» – «Sonst hätte er noch die Anfahrtspauschale für das Abschleppunternehmen zahlen müssen», erklärt Detlef Ludwig. Richtig glücklich scheint den Parksünder diese Ansage nicht zu machen. Mürrisch steigt das Pärchen in den Wagen und fährt davon.
Glücklicher schaut da schon der Sattelschlepperfahrer hinter seinem «JENS»-Schild hervor. Doch sein Glück währt nur kurz. Genau genommen eine halbe Runde um den Thomas-Müntzer-Platz, dann verhindern die nächsten Falschparker die Weiterfahrt. Fast synchron ziehen Ludwig und sein Mitarbeiter die Brauen hoch und machen sich auf den Weg zu den neuen Hindernissen. S. dreht auf halben Wege um und rennt zurück: Eine junge Frau hatte ihren Wagen gerade an der Stelle abgestellt, wo Sekunden vorher der Astra abgefahren war. Als S. wieder bei Jens’ Laster ist, haben sich auch die Fahrer der im Weg stehenden Autos gefunden. «Glück und Zufall», lacht Detlef Ludwig und freut sich, dass sich ein Problem in Luft auflöst.
«Wo ist denn die 55», fragt Ludwig in das Funkgerät, denn eigentlich wollten wir ja Politessen bei ihrer Arbeit begleiten. «Ist noch zur Abschleppmaßnahme» krächzt die Frau von der Zentrale aus dem Lautsprecher. Fünf Minuten später sind auch wir bei der «Abschleppmaßnahme» und inzwischen weiß ich, dass daran nur die Abschleppunternehmen verdienen. Der Stadt muss der Sünder nur die normale Knöllchengebühr bezahlen.
In der Willy-Lohmann-Straße hievt der Kran eines MAN L 2000 gerade einen auswärtigen Corsa auf seine Ladefläche. Die Krächzstimme ruft 55 und fragt den Stand der Dinge ab. 55 sind Herr J., Mitarbeiter Verkehrsüberwachung, und die Politesse Frau Z., die gerade die Daten mit der Zentrale abgleicht. «Schikane! Die Kehrmaschine ist durch. Warum schleppen Sie denn jetzt noch ab», wird J. in diesem Augenblick von einem Passanten mit aggressivem Unterton angegangen. Der Mann zieht kopfschüttelnd weiter. Wollte er nur mal Druck ablassen? «Wir machen die Schilder nicht. Und wir wissen auch nicht, ob die Kehrmaschine noch einmal kommt. Es gibt da keine Absprachen mit der Stadtwirtschaft», sagt J. zu mir. Er ist solche Szenen gewohnt. Drohungen, Beschimpfungen, Einschüchterungsversuche gehören zu seinem Alltag. «Klar perlt das ab. Aber Spaß macht es nicht», sagt er. «Oftmals entlädt sich an uns der komplette Behördenfrust der Bevölkerung. Weil wir der greifbarste Teil sind.»
«Nein, man nimmt das nicht mit nach Hause. Trotzdem: Das Gefühl mit der Maßnahme gleichgesetzt zu werden, ist nicht schön», ergänzt Politesse Z. Ob der Job noch Spaß macht? Keine klare Antwort. Wer ist schon immer gern der Blitzableiter? «Auch dafür werden wir bezahlt. Und ein dickes Fell ist Berufsvoraussetzung», sagt J. als wir den Kontrollgang fortsetzen. Nach weiteren Aufgaben während eines solchen Rundgangs befragt, antwortet J.: «Eigentlich sind wir Mädchen für alles: Vom Stadtführer bis zum Umweltschützer.» Ein Lächeln zuckt über sein Gesicht und man merkt, dass es auch Momente geben muss, in denen der Job Freude bereitet.
«Notieren Sie mal, dass die Bäume hier wieder beschnitten werden müssen», sagt Detlef Ludwig in der Schleiermacherstraße zu seinen Mitarbeitern. «Und der Werbeaufsteller da vorn ist doch bestimmt nicht genehmigt.» Doch darum können sich Frau Z. und Herr J. gerade nicht kümmern: Denn die Schnauze eines Transporters ragt rot und gefährlich aus der Kleist- in die Schleiermacherstraße hinein. «Der stand schon vor einer Stunde hier», sagt die Politesse als wir an dem Mercedes stehen, unter dessen Scheibenwischer bereits ein Knöllchen prangt. «Jetzt müssen wir ihn abschleppen lassen», ergänzt J. «Der Halter war nicht aufzutreiben.»
Bevor die Zentrale verständigt wird, muss der Wagen zur Information für das Abschleppunternehmen noch vermessen werden. Ludwig legt selbst mit Hand an. 5,40 Meter lang und 2,40 Meter hoch ist der Mercedes. «Für noch größere Fahrzeuge haben wir Spezialfirmen», berichtet die Politesse. «Es gibt fast nichts, was wir nicht weg bekommen.» 10.07 Uhr wird der Auftrag ausgelöst. Frau Z. füllt schon mal die Formulare aus: Tatbestand 112263 – Parken im Kreuzungsbereich. Dann nehmen die beiden Ordnungshüter alle bestehenden Schäden und besonderen Merkmale des 307D auf. «Manchmal versuchen Abgeschleppte uns irgendwelche alten Schäden unterzujubeln», sagt J. «Doch das klappt fast nie.»
Im selben Augenblick will eine alte Frau die Schleiermacherstraße queren. Sie steht schon auf der Fahrbahn, doch kann sie noch nicht um den Transporter herumschauen. Vorsichtig lugt sie um den Wagen. Da eilt ihr Detlef Ludwig beherzt zu Hilfe und führt sie über die Straße. «Da sehen Sie, wie gefährlich das ist», ruft er mir zu und wie zum Beweis umkurvt eine junge Frau mit Kinderwagen den roten Transporter und kommt dabei den vorüber fahrenden Autos gefährlich nahe. 10.15 Uhr fährt der Abschleppwagen von Firma Kirchner vor. 10.21 Uhr ist die Kreuzung wieder frei.