Radsport Radsport: Ullrich: «In der Höhenkammer üben für den Gipfelsturm»
Karlsruhe/dpa. - Die Hausaufgaben für die in knapp fünf Wochenbeginnende Tour de France hat Jan Ullrich in den eigenen vier Wändengemacht. «Beim Umzug vor zwei Jahren in die Schweiz habe ich mir inmein Haus eine Höhenkammer einbauen lassen», offenbarte derOlympiasieger, der am Samstag in Erfurt nach langer Renn-Abstinenzmit Rang fünf bei «Rund um die Hainleite» ein recht bemerkenswertesWettkampf-Comeback gegeben hatte. «Die Form geht nach oben. Dieschlechten Pfunde sind geschmolzen, die guten sind geblieben»,beschrieb sich Ullrich vor der Deutschland-Tour im Konzerthaus vonKarlsruhe.
Beim Flèche Wallonne vor fünf Wochen war er nach 100 km schnaufendvom Rad gestiegen. Eddy Merckx («zu dick») und andere mäkelten heftigan seinem Zustand. Ullrich im Rückblick: «Da wurde viel übertrieben.An meiner Tür in Scherzigen klingelten Fans und schienen sich zuwundern, dass ich noch durch den Türrahmen passe.» Zwei Erkältungenim Januar und Februar und viel «Herumgereiche bei Ehrungen» hättenihn zum Jahresbeginn in der Vorbereitung auf seinen zweiten Toursiegnach 1997 zurückgeworfen. Jetzt scheint aber alles wieder im Lot:«Wenn die Sonne höher steigt, läuft mein Motor langsam warm. DiePause habe ich auch für den Kopf gebraucht.»
Die Höhenkammer, womit sich Ullrich lange Reisen ins Hochgebirgespart, um in dünner Luft zu trainieren, baute ihm der frühereBahnfahrer Eyk Pokorny. Der Berliner kopiert ein System, das imSportforum seiner Stadt seit Jahren Ausdauersportlern Beine macht undauf DDR-Traditionen der Wettkampf-Vorbereitung zurückgeht. In derKammer können je nach Bedarf verschiedene Höhen simuliert werden,indem der Sauerstoffgehalt der Luft (normal: etwa 21 Prozent)reduziert wird. Eine Stunde pro Tag auf der Rolle über drei Wochenreicht, um den Anteil der roten Blutkörperchen zu steigern. «Meistensstellt er 2 500 Meter ein», erklärte sein Betreuer Rudy Pevenage.
Aber das raffinierte System ist nur ein Mosaiksteinchen im AufbauUllrichs, der das Ziel in Erfurt nach 184 km 14 Sekunden hinter demSieger Peter Wrolich (Österreich) vom Team Gerolsteiner erreichte.Zuletzt hat er an sechs Tagen alle Alpenpässe der Tourstreckeabgefahren, darunter das Zeitfahr-Terrain nach L'Alpe d'Huez und diePassage nach Besancon, auf der am 24. Juli vielleicht der allesentscheidende Kampf gegen die Uhr stattfindet. Ullrich geht davonaus, dass sein ewiger Bezwinger Lance Armstrong in seinerVorbereitung «keine Fehler» macht und sehr ehrgeizig sein großes Zielangehen wird, die Tour zum sechsten Mal in Serie zu gewinnen. «Aberdie Tour nur auf das Duell Ullrich/Armstrong zu reduzieren, wäre einFehler.»
Letztes Jahr - noch im Bianchi-Trikot - lief ihm der Formaufbau«leichter von der Hand». Aber nach seiner Trainings-Klausur in derSchweiz und Frankreich «ist die Form jetzt ähnlich wie im vergangenenJahr zu dieser Zeit». Im oberen Pulsbereich bei 190 Schlägen proMinuten «fehlt mir noch etwas». Aber die Rundfahrten durchDeutschland und die Schweiz sollen Ullrich das letzte Quäntchenbringen und «weitere Gramm Körpergewicht» noch verschwinden lassen.Ullrichs optimaler Zeitplan: «Am besten ich habe am Tourstart am 3.Juli in Lüttich noch nicht Topform, sondern erst mit Beginn derPyrenäen-Etappen. Die letzten fünf Alpen-Etappen werden der Hammerund die Tour entscheiden.»