Paralympics Paralympics: Deutschem Rudervierer droht juristischer Ärger
Halle (Saale)/MZ. - Halles Ruder-Gemeinde hat am Donnerstagabend neben ihren sportlichen Qualitäten auch noch ihren Befähigungsnachweis auf zwei weiteren Tätigkeitsfeldern bestanden: Organisationstalent und Partytauglichkeit. Um halb sechs war Tino Kolitscher, der Silbermedaillengewinner der Paralympics in London, in Berlin-Tegel gelandet.
Um halb acht begann die Feier am Bootshaus Böllberger Weg im Rahmen des Sommerfestes der Stiftung Sport Region Halle. Doppel-Olympiasieger Andreas Hajek war da. Selbstverständlich auch Carl Ertel, der in den letzten anderthalb Jahren der Heimtrainer für den erblindeten Tino Kolitscher war.
"London war ein tolles Erlebnis. Es gibt jede Menge Gründe zum Feiern", freute sich der 37 Jahre alte Tino Kolitscher, der auch in den kommenden Jahren eine sichere Medaillenbank ist.
Doch bei aller Freude um Tino Kolitscher: Um den Silber-Vierer von London wird es vermutlich noch lang anhaltenden juristischen Ärger geben. Der Hallenser Kolitscher kann dafür zwar nichts, muss sich aber auf eine vergiftete Atmosphäre rund um das Boot einstellen. Die Fronten sind verhärtet. Vordergründig geht es um die Nominierung des Bootes für London, doch es spielen weitere Faktoren eine Rolle: Geld, aber auch berufliche und soziale Absicherung.
Der Ärger begann im Winter, als die für die Paralympics fest eingeplante Inga Orlowski krank wurde. Das Problem: Es war kein passender Ersatz da, um die vom Weltruderverband (Fisa) geforderten Kriterien für die Zusammensetzung eines Bootes mit behinderten Sportlern zu erfüllen. Konkret: Zwei sehbehinderte und zwei gehbehinderte Sportler müssen den Vierer bilden.
Nach Orlowskis Ausscheiden war der sehbehinderte Kai-Kristian Kruse der erste Anwärter für den Nachrückerplatz. Er hätte aber eben ein anderes Handicap als die gehbehinderte Orlowski mitgebracht. Das Boot wäre so deshalb nicht startberechtigt gewesen.
"Es gehört nun einmal zu den Besonderheiten des Behindertensports, dass für die Zusammensetzung des Bootes immer die Mannschaftskameraden eine Rolle spielen. Nicht jeder kann in beliebiger Zusammensetzung starten, man ist meist von einem anderen Mannschaftsmitglied abhängig. Das ist zugegeben schwer zu verstehen", erklärt Thomas Böhme, verantwortliche Trainer des Vierers.
Weil also ein einfacher Tausch Orlowski gegen Kruse nicht möglich war und gegen die Regeln verstoßen hätte, musste ein zweiter Tausch folgen. Christiane Quirin - mit nur fünf Prozent Sehkraft wie Kruse sehbehindert, aber die Nummer zwei aller Vorentscheidungen - musste auf einmal ihren Platz für Kruse räumen.
Ersatzfrau für Orlowski wurde Astrid Hengsbach. Damit war der spätere Silber-Vierer von London mit den beiden gehbehinderten Hengsbach und Anke Molkenthin sowie den sehbehinderten Kruse und Kolitscher geboren. Nur: Hengsbach war zuvor bei keiner der Qualifikationen dabei.
"Ich kann mich mit dieser Entscheidung nicht abfinden", sagt Christiane Quirin. "Schließlich hatte ich alle Qualifikationsnormen erfüllt. Und es ging schließlich um die Teilnahme an den Paralympics, das passiert einem ja auch nicht alle Tage." Und sie stellt klar: "Ich bin sportlich fair. Ich habe höchsten Respekt vor den Sportlern, die in London am Start waren. Mich ärgert aber, dass ich keine vernünftige Chance hatte."
Quirin schrieb im letzten halben Jahr Protestbriefe an den Deutschen Behindertensportverband (DBS), hoffte auf ein Ausscheidungsrennen. Das kam nie zustande. "Es hätte nur Unruhe in die Vorbereitung auf die Paralympics gebracht", rechtfertigt sich Trainer Böhme. Und weiter: "Außerdem war klar, dass ein Boot mit Christiane Quirin langsamer gewesen wäre, als der London-Vierer."
Christiane Quirin sagt, dass sie jedes Ergebnis nach einem Ausscheidungsrennen akzeptiert und sich auch mit der Rolle der Ersatzfrau abgefunden hätte. "Es hat aber nie einen Test gegeben, und deshalb bleibt es Spekulation, ob die anderen besser waren."
Quirin beharrte bis vor Beginn der Paralympics auf ihrem Startrecht, wurde aber zwei Mal vom DBS abgewiesen. "Einen angebotenen Vergleich mit einer Entschädigungszahlung von 1 000 Euro empfand ich als Hohn. Das habe ich abgelehnt."
Nun will Christiane Quirin vor ein ordentliches Gericht ziehen. "Es geht auch ums Geld. Mir ist die Medaillenprämie in London entgangen. Dazu geht es um die Sporthilfe für das kommende Jahr und die weitere Kaderzugehörigkeit."