1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Olympia 2008: Olympia 2008: Abbruch des spießrutenähnlichen Fackellaufs nicht ausgeschlossen

Olympia 2008 Olympia 2008: Abbruch des spießrutenähnlichen Fackellaufs nicht ausgeschlossen

Von Sven Busch 08.04.2008, 16:59
Die olympische Fackel auf dem Weg durch London: Auf der rund 50 Kilometer langen Strecke zwischen dem Wembley-Stadion im Nordwesten der britischen Hauptstadt und der Arena im Stadtteil Greenwich im Südosten kam es am Sonntag immer wieder zu Protestaktionen und Handgemengen. (Foto: dpa)
Die olympische Fackel auf dem Weg durch London: Auf der rund 50 Kilometer langen Strecke zwischen dem Wembley-Stadion im Nordwesten der britischen Hauptstadt und der Arena im Stadtteil Greenwich im Südosten kam es am Sonntag immer wieder zu Protestaktionen und Handgemengen. (Foto: dpa) EPA

Peking/dpa. - Mit Empörung, Ohnmacht sowie Unverständnis habenSpitzenfunktionäre aus aller Welt am Rande der olympischen Woche inPeking auf gewalttätige Proteste und die erloschene Flamme in derfranzösischen Metropole reagiert. Aber schon jetzt scheint klar: DieFackel ist vier Monate vor dem Beginn der Spiele von Peking auf ihrerletzten großen Weltreise. Bereits bei den Winterspielen 2010 inVancouver soll die Flamme zwar im griechischen Olympia entzündet,danach allerdings nur noch in Kanada laufend zur Schau gestelltwerden.

«So kann es nicht weitergehen», schimpfte IOC-Mitglied SergejBubka, und IOC-Vizepräsident Thomas Bach gab zu bedenken: «Man musssehr sorgfältig abwägen. Ein Abbruch würde ein Zurückweichen vorGewalt bedeuten. Wenn man gegen Gewalt ist, muss man auch gegenGewalt aufstehen. Je bedrohter eine positive Botschaft ist, umsowichtiger ist sie.»

Intern diskutieren die Mitglieder des Internationalen OlympischenKomittes (IOC) bereits seit Tagen über einen Abbruch desSpießrutenlaufens nach der Station San Francisco am Mittwoch und eineWiederaufnahme auf chinesischem Boden ein paar Wochen vor derEröffnungsfeier. Am Freitag wird die IOC-Exekutive über die nächstenSchritte des 137 000 Kilometer langen und von Chinesen als «Reise derHarmonie» angepriesenen Fackellaufs entscheiden - die Abschaffung derinternationalen Route bei zukünftigen Spielen gilt als beschlosseneSache.

«Ich beteilige mich nicht an Spekulationen», sagte IOC-PräsidentJacques Rogge, «ein wichtiges Symbol ist attackiert worden, und ichbin sehr traurig, für die Athleten und die Menschen, die sich daraufgefreut haben.» Für das australische IOC-Mitglied John Coates wäreeine Unterbrechung das falsche Signal: «Das ist, als ob man demTerrorismus nachgeben würde.» Das Pekinger Organisations-KomiteeBOCOG ist Veranstalter des Fackellaufs.

Vor den Spielen 2004 in Athen war die Flamme erstmals auf Welttourgeschickt worden. Das vermeintlich emotionale Schauspiel istinzwischen zu einer weltweiten Inszenierung mit riesengroßemPropaganda-Potenzial gewachsen. Eine weitere Störung der«symbolischen Friedensbotschaft» müsse unter allen Umständenverhindert werden, so der offizielle Tenor der 205 in Pekinganwesenden Nationalen Olympischen Komitees (NOK), aber das PR-Desaster für die chinesischen Olympia-Macher und die Sponsoren istvier Monate vor der Eröffnungsfeier längst perfekt.

Der deutsche Bundestag wird am Donnerstag über die Lagedebattieren. Als «peinliches Schauspiel» kritisierte DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen den Fackellauf. «Beide Seitentun einem eigentlich leid, und man fragt sich, ob dieser Fackellaufeinen Sinn hat in der Vorbereitung der Olympischen Spiele», sagte vonRichthofen, der vom Sportausschuss zur Sitzung am Mittwoch alsExperte eingeladen wurde, dem Deutschlandfunk.

China hat für seine Staatsspiele mindestens 30 Milliarden Dollarund sein ganzes Prestige investiert. Das Politbüro der chinesischenKP will sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Dementsprechendwuchtig lief die Kampagne zur Schadensbegrenzung an. Eine «Handvoll»Unruhestifter habe in Paris der Mehrheit prochinesischer Zuschauergegenüber gestanden, die mit teilweise sogar selbst genähtenchinesischen Nationalflaggen freudig dem Olympischen Feuer zugejubelthätten, berichteten Chinas Zeitungen.

Schon seit Wochen werden die Kritik an China und die Proteste derTibeter als Verschwörung antichinesischer Kräfte dargestellt, die denAufstieg Chinas als politische und wirtschaftliche Macht verhindernwollten. Solche Töne kommen im patriotischen Volk gut an. DieVorwürfe über «voreingenommene Berichterstattung» ausländischerMedien werden von Chinesen meist ungeprüft übernommen. Auch dieSatellitenübertragung des US-Nachrichtensender CNN oder dereuropäischen TV-Station Eurosport über die Zwischenfälle in Pariswurden häufig zensiert. Waren kritische Stimmen zu hören, verschwandder Ton und der Bildschirm wurde schwarz.

Nachdem die Unruhen beim Fackellauf in Paris eine neue Stufe derEskalation erreicht hatten und die Flamme sogar für 20 Minutenerloschen war, machte sich beim nächsten Gastgeber USA schon vor derAnkunft des «gestürzten Symbols» (L'Équipe) in San FranciscoAlarmstimmung breit. Peter Ueberroth, Präsident des NationalenOlympischen Komitees der USA (USOC), reiste früher als vorgesehen ausPeking ab und soll nach dpa-Informationen sogar ein Krisen-Telefonatmit US-Präsident George Bush geführt haben. Ueberroth erwarte, soBach, «eine Mischung aus Hooliganismus und Zirkus.»

Die Fackel war am Dienstag in der kalifornischen Küsten-Metropoleeingetroffen. 500 Sicherheitskräfte standen auf dem Flughafen bereit.Am Vorabend hatte es bereits Protestaktionen gegen die Politik Chinasin Tibet gegeben. Unter anderem hatten Mitglieder der Gruppe«Studenten für ein freies Tibet» die Golden-Gate-Brücke erklommen undzwischen den Stahlseilen ein Transparent mit der Aufschrift «EineWelt, ein Traum, Freies Tibet» aufgehängt. Brückenarbeiter entferntendas Plakat, sieben Personen wurden festgenommen.

Auch an der 10 Kilometer langen Route am Mittwoch werden auf dereinzigen US-Station der Fackel anti-chinesische Demonstrationenerwartet. «Wir machen uns Sorgen, aber wir hoffen auf die Vernunftder Menschen», erklärte USOC-Generalsekretär Bill Scherr, «es isteinfach furchtbar unangemessen, dass der Fackellauf so beeinträchtigtwird.»

Ein Ende der Unruhen ist nicht in Sicht und die erhoffte Wende desIOC bei der moralischen Legitimierung der Vergabe der Spiele anPeking wurde durch die jüngsten Zwischenfälle erneut zumindestempfindlich gestört. «Wir respektieren das Recht eines friedlichenProtests, aber die Fackel hat auch das Recht, friedlich herumgereichtzu werden», hieß es in einer IOC-Pressemitteilung. The games must goon, aber Zuversicht hört sich anders an.