Öffentliches Leben ruht: Erster Corona-Toter in Hamburg

Hamburg - Tag eins der in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs noch nie dagewesenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens: Wegen der Corona-Pandemie sind sämtliche Schulen am Montag unmittelbar nach Ende der März-Ferien vorerst bis Ende des Monats geschlossen worden. Das gilt auch für die Kitas der Stadt. Daneben hat der Senat bereits am Sonntag ein Verbot aller öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen unabhängig von der Teilnehmerzahl angekündigt. Davon sind auch Clubs, Bars, Casinos, Bordelle, Fitnesscenter, Jugend- und Stadtteilzentren sowie alle Sportanlagen betroffen.
In den kommenden Tagen schließen auch die meisten Geschäfte des Einzelhandels. Das kündigte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) unter Berufung auf Absprachen zwischen Bund und Ländern an. Ausgenommen seien Supermärkte und andere Läden, die zur Versorgung der Menschen dienen. Apotheken, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte und Banken blieben geöffnet. Das Sonntagsverkaufsverbot sei für diese Bereiche bis auf weiteres aufgehoben. Restaurants und Gaststätten dürfen nur noch von 6 bis 18 Uhr geöffnet werden, Spielplätze werden geschlossen.
Unterdessen bestätigte die Gesundheitsbehörde am Montag den mutmaßlich ersten Corona-Toten in Hamburg. Es handele sich um einen Bewohner einer Seniorenresidenz im Stadtteil Klein Borstel, sagte ein Sprecher der Gesundheitsbehörde. Der Mann sei bereits am Freitag gestorben und man habe nun bei Untersuchungen posthum das Virus festgestellt. Gleichwohl sei noch nicht erwiesen, dass die Krankheit auch die Ursache für seinen Tod war. Das werde noch untersucht. Zuvor hatte die „Bild”-Zeitung berichtet. Nach dpa-Informationen war der Mann 1944 geboren, zu möglichen Vorerkrankungen war zunächst nichts bekannt.
Die Flut der Absagen machte auch vor dem Hamburger Hafengeburtstag nicht halt. Die Wirtschaftsbehörde sagte am Montag die 831. Auflage des Spektakels mit erwarteten rund eine Million Besuchern ab, das ursprünglich vom 8. bis 10. Mai geplant war.
Von Sonntag auf Montag waren in Hamburg 64 neue Fälle von Infektionen mit Sars-CoV-2 bestätigt worden. Damit stieg die Gesamtzahl der gemeldeten Infektionen auf 260, 16 Personen befinden sich in stationärer Behandlung, vier auf einer Intensivstation. Unter Hamburgs geschätzt rund 2000 Obdachlosen ist bislang nur ein Fall einer positiv getesteten Person bekannt.
Wegen der Rückreisewelle aus Risikogebieten sowie aus der Schweiz und Österreich sei in den kommenden Tagen mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen zu rechnen. Bereits bei den 64 neu gemeldeten Fällen besteht nach derzeitigen Informationen überwiegend ein Zusammenhang mit Reiserückkehrern aus einem vom Robert-Koch-Institut (RKI) definierten Risikogebiet oder es handelt sich um Personen, die Kontakt zu bereits bekannten erkrankten Personen hatten.
Trotz der offiziell geschlossenen Schulen gebe es für Kinder, deren Eltern Betreuungsprobleme haben, eine Notbetreuung, sagte der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, der Deutschen Presse-Agentur. „Es muss sich niemand rechtfertigen. Wer in die Schule kommt, wird auch betreut.” Das gelte für alle Kinder und nicht nur für Kinder von Eltern mit sogenannten systemrelevanten Berufen in medizinischen Bereichen, bei der Polizei, der Feuerwehr oder der Müllabfuhr. „Alle Schulen sind geöffnet. Es wird niemand abgewiesen.”
Für alle Daheimgebliebenen erarbeiteten die Schulen derzeit Pläne, wie diese mit Unterrichtsmaterial versorgt werden können. Wie sie dies konkret machen, sei aber den einzelnen Schulen überlassen, da diese sehr unterschiedlich ausgestattet seien, sagte Albrecht. Manche Schulen verfügten bereits über ein umfassendes E-Learning-System. „Da geht es sehr einfach. Es gibt aber auch Grundschulen, die haben noch nicht mal einen E-Mailverteiler der Eltern.” Dort werde teilweise in Turnhallen Unterrichtsmaterial zur Abholung bereitgestellt.
Bei den Gesundheitsämtern zeichnete sich unterdessen eine Überlastung ab. So sagte ein Ratsuchender der dpa, er versuche seit Sonntagabend erfolglos, jemanden über die Ärzte-Hotline 116 117 zu erreichen. Auch über die Hotline-Nummern der Gesundheitsämter komme er nicht weiter.
Von einer Überlastung kann dagegen auf St. Pauli keine Rede sein. Seit Sonntagnacht ist tote Hose auf der Roten Meile. „Ich habe sowas überhaupt noch nicht erlebt auf der Reeperbahn”, sagte Guenter Zint vom St.-Pauli-Museum. Dass die meisten Betriebe auf der Reeperbahn nun sechs Wochen lang komplett dicht sein werden, „das ist für manche ganz heftig”, sagte der 78-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Viele Wirte bangten um ihre Existenz. „Das ruft alles nach Insolvenz”, sagte der Inhaber des Clubs „Tunnel”, Georg Roll. Das gilt möglicherweise auch für Bordelle. „Wenn man 1,5 Meter Körperabstand halten soll, denke ich, dass das auch in den Bordellen nicht mehr funktioniert”, sagte Reeperbahn-Fotograf Zint.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) warnte vor einem akuten Mangel an Blutspenden und bat die Bevölkerung eindringlich, weiter zum Spenden zu gehen. „Die Versorgung mit lebensrettenden Blutpräparaten ist derzeit noch auf niedrigstem Niveau gesichert”, sagte der medizinische Geschäftsführer des DRK-Blutspendediensts Nord-Ost, Torsten Tonn. Doch das könne sich angesichts der Infektionsdynamik rasch ändern. „Sollten in den kommenden Tagen nicht genügend Blutspenden eingehen, wäre die Patientenversorgung innerhalb kurzer Zeit nicht mehr lückenlos abgesichert.”
Nach SPD, Grünen, CDU und AfD sagte am Montag auch die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ihre ursprünglich für den Abend geplante Fraktionssitzung wegen der Corona-Pandemie ab. Die neu gewählten Abgeordneten würden nun am Mittwoch kurz vor der konstituierenden Sitzung der Bürgerschaft „unter Einhaltung der allgemein empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen im Rathaus zusammenkommen und sich dort als Fraktion konstituieren”, teilte ein Sprecher mit. Die künftig nicht mehr in der Bürgerschaft vertretene FDP verschob ihren für den 3. April geplanten Landesparteitag nach eigenen Angaben auf unbestimmte Zeit.
Angesichts des stark eingeschränkten öffentlichen Lebens forderte die CDU schnelle und unbürokratische Hilfen für die Hamburger Wirtschaft. Zwar habe der Gesundheitsschutz oberste Priorität, weswegen er die vom rot-grünen Senat eingeleiteten Maßnahmen unterstütze, sagte der Landesvorsitzende Roland Heintze. Zugleich müsse die Wirtschaftskraft der Stadt erhalten werden. Förderkredite, öffentliche Bürgschaften und der Beschluss des Bundeskabinetts, das Kurzarbeitergeld zu stärken, seien richtige Maßnahmen.
Die Agentur für Arbeit in Hamburg stellte ihren Publikumsverkehr wegen der Ausbreitung des Coronavirus ein. Alle persönlichen Termine entfielen ohne Rechtsfolgen und müssten nicht abgesagt werden, teilte die Behörde mit. Um dennoch die wichtigsten Dienstleistungen erbringen zu können, konzentriere sich die Agentur für Arbeit auf die Bearbeitung und Bewilligung von Geldleistungen. Wer arbeitslos werde, könne sich telefonisch melden. Anträge auf Grundsicherung könnten formlos in den Briefkasten geworfen werden. Auch die Finanzämter wurden für den allgemeinen Publikumsverkehr bis auf weiteres geschlossen.
Gleichzeitig untersagte die Justizbehörde allen Personen, die in den vergangenen 14 Tagen ein Risikogebiet besucht oder in dieser Zeit Kontakt mit einer an Covid-19 erkrankten Person gehabt haben, ab sofort den Zutritt zu Gerichtsgebäuden, Staatsanwaltschaften und Gefängnissen. Alle anderen Personen, sofern sie nicht an Gerichtsverhandlungen beteiligt seien, seien aufgefordert, möglichst keine Prozesse zu besuchen. Gerichtsverfahren würden auf dringende Fälle reduziert. Gleichzeitig werden Ersatzfreiheitsstrafen etwa für nicht bezahlte Geldstrafen wegen Schwarzfahrens verschoben oder unterbrochen. Betroffen seien davon etwa 90 Personen. Darüber hinaus werde der Jugendarrest vorübergehend nicht vollzogen.
Zunächst ohne Einschränkungen lief der Regional- und Nahverkehr in Hamburg und Schleswig-Holstein. Nur der Schülerverkehr sei eingestellt worden, teilten Sprecher von Verkehrsbetrieben mit. Zudem sei die Fernverbindung von Hamburg nach Kopenhagen eingestellt worden, da es Einreiseverbote an der deutsch-dänischen Grenze gibt. Der Zugverkehr von und nach Sylt werde planmäßig abgewickelt. Wie es in den kommenden Tagen weitergehe, nachdem die Insel für Feriengäste gesperrt wurde, müsse sich zeigen, sagte eine Bahn-Sprecherin. (dpa/lno)