Nische Nische: Erst zur OP, dann in den Urlaub
Istanbul/dpa. - Sommer, Sonne, Strände sind immer noch die größten Trümpfe, mit denen die Türkei alljährlich Millionen Urlauber aus Europa anlockt. Doch längst haben private Kliniken in Istanbul und an der türkischen Riviera auch eine Nische aufgetan, die in Ländern wie England, Deutschland oder den Niederlanden eine immer größere Resonanz findet - den Gesundheitstourismus. Sein Motto lautet: erst unter das Chirurgenmesser, dann an den Strand. Zu den Vorreitern auf diesem Gebiet gehört das Dünya Göz Hastanesi («Welt-Augenklinik») in Istanbul, das Augen-Operation und anschließendes Sightseeing zu einem touristischen Paket geschnürt hat.
«Wir holen die Patienten vom Flughafen ab, bringen sie ins Hotel, von dort in die Klinik und wieder zurück - außerdem reservieren wir die Stadtrundfahrten», sagt die Klinikchefin Gülferi Yildirim. Die meisten kämen wegen der «sehr populären Laser-Operation», um endlich von Brillen und Kontaktlinsen loszukommen. Im vergangenen Jahr zählte die Klinik 850 Ausländer - ohne die im Ausland lebenden Türken. Zurzeit seien es monatlich um die 200. «Bis Jahresende wollen wir auf 400 bis 500 pro Monat kommen», sagt die Klinikchefin.
«Sauber, kompetent, professionell», lautet das Urteil von Kerstin Baro aus Schlüchtern bei Frankfurt/Main nach überstandener Operation. Sie kam mit minus 6,25 Dioptrin auf beiden Augen an den Bosporus - und zum ersten Mal überhaupt in die Türkei. «Es war immer ein Traum, morgens mal aufzuwachen und zu sehen, was draußen für ein Wetter ist», erzählt die 30-Jährige. «Aber in Deutschland ist es nicht bezahlbar. Die nehmen ungefähr 3800 Euro.»
So ist denn auch der Kostenfaktor ein schlagendes Argument für den Gesundheitstourismus. Im Dünya Göz Hastanesi kostet die Laseroperation zwischen 650 und 700 Dollar (555 bis 600 Euro). «Wenn Sie das Flugticket, vier, fünf Tage Unterkunft und selbst noch ihre Einkäufe dazuzählen, kommen Sie niemals an 4000 Euro heran», rechnet Klinikchefin Yildirim vor. Das Paket für drei Tage einschließlich Stadtrundfahrt bietet die Klinik für 1100 Dollar (938 Euro) an.
Verbraucherschützer sehen den Gesundheitstourismus, der die Bundesbürger zunehmend in andere Länder führt, mit gemischten Gefühlen. Zwar seien die medizinischen Standards nicht von vorneherein schlechter zu beurteilen als in deutschen Kliniken, sagt Stefan Etgeton vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin. «Man sollte allerdings auch die Haftung im Fall von Schäden bedenken - da gilt dann das Recht des jeweiligen Landes.» Auch die Finanzierung sollte zuvor mit der Krankenkasse geklärt werden.
Welche Aufmerksamkeit der neuen Spezie «Gesundheitstourist» in der Türkei entgegengebracht wird, dafür lieferte Anfang des Jahres die Zeitung «Hürriyet» ein Beispiel. «Unser erster englischer Patient», verkündete das Blatt groß auf der ersten Seite. Brian Theaker (67) hatte sich in der Acibadem-Klinik ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen. Den «zweiten englischen Patienten», David Hood, machte wenig später die halbamtliche Nachrichtenagentur Anadolu in der urologischen Abteilung einer Klinik im Urlaubsort Kemer aus.
Während die Patienten im Dünya Göz Hastanesi die Operation aus der eigenen Tasche bezahlen, hat sich die Acibadem-Klinikgruppe auf den Patiententourismus verlegt. «Wir haben zurzeit Abmachungen mit acht ausländischen Versicherungen», so die Sprecherin Neslihan Aksu. Vorzugsweise gefragt seien Eingriffe in der Herz- und Gefäßchirurgie, Orthopädie oder plastischen Chirurgie.
Große Pläne hat auch das Dünya Göz Hastanesi, das im Herbst seine dritte Filiale in der Nähe des Istanbuler Flughafens eröffnen will. Schon lange verlässt sich die Klinikleitung nicht mehr allein auf die Mundpropaganda. Im Internet wird zurzeit an einer Online-Reservierung gearbeitet. Mit dem Türkei-Spezialisten Öger Tours in Hamburg laufen Gespräche über eine Zusammenarbeit. Im Sommer schickt die Klinik zudem ein mobiles Labor in türkische Feriendörfer und Urlaubsorte wie Cesme, Bodrum, Marmaris und Antalya und bietet dort kostenlose Augentests an.