1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Marc Wortmann: Marc Wortmann: Witwentröster bleiben ohne Trost

Marc Wortmann Marc Wortmann: Witwentröster bleiben ohne Trost

Von Margit Boeckh 20.03.2002, 10:43

Halle/MZ. - Zivi-Literatur mit Härtefaktor undzugleich berührender Sensibilität liefertWortmann, indem er einen 19-jährigen Zivildienstleistendenüber seine zwanzig Monate währenden Erlebnissein einem Altenheim berichten lässt.

Das ist ausschließlich mit Frauen jenseitsder 80 belegt. Die wenigsten sind noch einigermaßengut drauf; wer es noch zu sehr scheint, wirdvon den überlasteten Schwestern ("Wichtigist, dass wir den Alten die Grundversorgunggarantieren") bald ausgebremst zu pflegeleichteremVerhalten. Auch nur der Ansatz individuellerSelbstbehauptung kostet Zeit und Nerven. Beidesleistet sich eigentlich nur Zivi Jan Oltrogge.Womit er zwar den Pflegekolleginnen notabenein die Quere, aber den derart persönlicherZuwendung lange entwöhnten Pfleglingen ganzsachte nahe kommt. Über Explosionen von Gestankund Gejammer, die vordergründig die Welt seineshelfenden Einsatzes prägen, macht sich "unserjunger Mann" zunehmend bewusst daran, diepsychischen Verkrustungen seiner Witwen behutsamzu durchdringen.

Er hilft den mehr oder minder skurrilen undschwierigen Frauen, ihre Erinnerungen freizu legen und findet so hinter ihren verdrehtenAngewohnheiten den Abglanz jener Welten, indenen sie noch sie selbst waren. Geliebteund Ehefrauen, Mütter und Schwärmende, Eroberinnenoder Träumerinnen. Der kurze Sommer mit Jan,dem Zivi, gibt ihnen etwas von der Zeit zurück,in der sie noch wirklich lebten.

Bei aller Intimität und despektierlichen Detailslässt Marc Wortmann die Altenheim-Beschauseines Undercover-Helden niemals ins peinlichIndiskrete oder Voyeuristische abschmieren.Vielmehr wahrt der Autor die respektvolleDistanz eines nicht zimperlichen, latent zärtlichenChronisten. Ihm gelingt eine verbale und dramaturgischeGratwanderung, die den Roman der Tagebuch-Plattitüdeenthebt. Erfreuende Stilsicherheit inbegriffen.Sollte man etwa eben noch über Klischee-Poesiewie "Die Bäume sind kahl, und aus grauem Himmelfällt lautloser Regen" stolpern, setzt Wortmannsofort versöhnend mit einem subtilen Sprachbildnach "Ein Wind kippt den Regen, und der Regenscheint die Erde nicht zu erreichen".

"Der Witwentröster" ist ein Buch, das malwieder höchst erfolgreich vom Authentischenlebt und sich ganz auf die dem wirklichenLeben innewohnende Spannung verlassen kann.Es verweigert sich anmaßender Philosophieund gibt dem Leser doch weit mehr als nurdas Abbild. Der Autor erzählt nicht einfachdie grundbösen Geschichten aus dem Altenknast,wie sie immer mal wieder in den Medien dasGruseln lehren. Viel mehr bietet Wortmann,der selbst Mitte der achtziger Jahre Ziviin einem Hamburger Altenheim war, Ansichtsmaterialaus einer ganz normalen Welt.

Der säuerliche Dunst alltäglicher Verzweiflung,der durch die Witwengeschichten weht, dieNicht-Gespräche besuchender Angehöriger inbegriffen,erinnert nachdrücklich an die gleichgültigeEntsorgung des Allzumenschlichen in Gestaltdes Alters, das die Jüngeren irgendwann nurnoch anödet. Keine Gebrauchslektüre fürs Altenheimoder für hilfsbeseelte Zivis. Eher ein Handbuchwider die Trägheit des Herzens für alle, obmit oder ohne Oma im Altenheim.

Marc Wortmann: Der Witwentröster, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 352 S., 19,90 Euro.