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Ländliche Tradition Ländliche Tradition: Alles ohne viel Federlesen

Von Beate Lindner 09.03.2001, 16:57

Schönewerda/MZ. - Zusammen sind sie sage und schreibe 639 Jahre. Und dabei drücken solche Küken wie Kerstin Greschuchna mit ihren 32 Lenzen und Christine Mensch mit ihren 33 Lebensjahren den Durchschnitt noch gewaltig. Sogar über das "Alter" von Adi Ernst (49) oder Heidrun Siegmund (46) haben die anderen Frauen, die letzten Freitag in der Küche von Anneliese Mensch lachen, nur ein Späßchen auf den Lippen. Das sei doch noch kein Altern, hört man zwischen dem Gelächter hervor.

Und währenddessen sind die Hände jener zehn Frauen unentwegt am Zupfen und Ziehen. Von ihren Münder ganz zu schweigen. Und auf ihren Häuptern steckt hier eine schlohweiße Feder, strahlt dort Flaum zwischen den Locken durch. Auf dem Tisch möchte man sich am liebsten niederlassen, so kuschelweich mutet der Federberg an, den die Frauen unter ihren Fittichen haben: Federnschließen in Schönewerda. Oder Federnschleißen? Oder Feddernschließen in Schönewärre? Einmal abgesehen davon, dass Anneliese Mensch - sie ist übrigens die hochgelobte Gastgeberin - oder Christa Kuche und Annerose Röhr sowieso reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, ist das ganz egal, weil nämlich die illustre Frauenrunde ohnehin in der Zwischenzeit einmalig ist.

Das, was früher nicht nur in Schönewerda gang und gäbe war, nämlich Federn vom eigenen Federvieh für das Bettzeug zu bearbeiten, gehört zu den ländlichen Traditionen aus Omas, gar Uromas Zeiten, die wirklich vom Aussterben bedroht sind. Und gerade deshalb zelebrieren es die Schönewerdaer Frauen geradezu, genießen bei allem Ernst an der Sache diese gemeinsamen Stunden. "Früher hat nach den Federschließerinnen kein Hahn gekräht, so normal ist diese Arbeit gewesen", kann sich Anneliese Mensch noch sehr genau erinnern. "Früher hat hier auf dem Dorf doch jeder noch alles selbst gemacht. Und wir machen heute noch alles selbst", Anneliese Mensch muss nicht ausdrücklich darauf verweisen, dass ihr kein gekaufter Kuchen auf den Tisch kommt und nur junge Hühner den eigenen Suppentopf erreichen, ihre eigenen Gänse die Glücklichsten weit und breit sind. Und Tomaten gibt es bei Mensch's auch nur in der Tomatenzeit. "Mir brauchen sie mit dem anderen Zeug gar nicht zu kommen", winkte sie federgeschmückt ab.

13 Uhr haben sich die Frauen versammelt. Und Christa Kuche, die für die lustige Runde sogar gereimt und gedichtet hat, versichert: "Wir haben uns lange auf diesen Tag gefreut." Nun wird es langsam dunkel draußen, und im Hause Mensch duftet es schon lecker nach Bratkartoffeln. Für die Versorgung an diesem Nachmittag, der ausnahmsweise bis in die Nachtstunden dauern wird, ist Christine Mensch verantwortlich, sie wuselt von der Küche in die Speisekammer und wieder zurück.

Vieles wurde natürlich vorbereitet, da hatten nicht nur Christine und Anneliese Mensch ihre Finger im Spiel, sondern auch Heidrun Siegmund, die älteste Tochter der Gastgeberin. Die Kuchen sind nach dem Kaffeetrinken zunächst wieder kalt gestellt worden, der Abend sei ja noch lang, hört man da nur. Jetzt freuen sich die Frauen erst mal aufs Abendbrot, der Duft ist vielversprechend. Ganz am Ende gibt's Stöberkanne, so eine Art Abschlussschmaus nach getaner Arbeit. Für den Moment aber sind die Federberge noch größer als der Hunger sein darf, erziehen sich alle zur Zurückhaltung. Die Münder, die stehen nicht still. Gesungen wird und geschnattert. Und natürlich auch mal getratscht, selbst die traurigen Themen verschwinden nicht zwischen den Federn. "Wir lachen zusammen und weinen auch zusammen", beschreibt Annerose Röhr die Atmosphäre beim Federnschließen und schon wird - ganz vorsichtig - der nächste Sack mit Federn über dem Küchentisch geleert. Und zehn Hände greifen geübt zu.