Kunst um 1968 in Bielefelder Ausstellung
Bielefeld/dpa. - Ein bronzener Penis in Lederjacke, Andy Warhols «Elektrischer Stuhl» und der Maler Anselm Kiefer mit Hitler- Gruß: All dies unter das Motto «Unschuld» zu stellen, ist befremdlich.
Bielefelds Museumsdirektor Thomas Kellein sieht das anders: «Die Künstler haben subjektiv unschuldig gehandelt. Sie haben das System auf den Kopf gestellt, enorme Forderungen gestellt und wären niemals auf die Idee gekommen, dass ihr Handeln nicht gut sein könnte.» Kellein ist Kurator der Ausstellung «1968. Die Große Unschuld».
Rund 350 Werke überwiegend aus dem Jahr '68 sind bis Anfang August in der Bielefelder Kunsthalle zu sehen. «1968 ist der Beginn der zeitgenössischen Kunst», meint Kellein. Mehr als 150 Künstler sind vertreten. Das Spektrum reicht von Andy Warhol über Joseph Beuys bis hin zur Grande Dame der Gegenwartskunst, Louise Bourgeois (97), oder Yoko Ono. Politisch und provokant sind viele der Werke. Es sei «brandgefährlich», sich an eine Schau über 68er-Kunst zu wagen, erklärt Kellein. «Ich bin mir des Problems bewusst, dass es bei diesem Thema jeder besser weiß.»
Der Abschnitt «Kunst und Revolution in Österreich» widmet sich beispielsweise den Wiener Aktionisten um Günter Brus. Er setzte sich so stark mit Körperlichkeit auseinander, dass er Fäkalien, Urin und Onanieren zum heillosen Entsetzen der Öffentlichkeit zur Kunst erklärte. Ein anderer Themenkomplex heißt «Heroische Sinnbilder». Es zeigt den gleichnamigen Selbstporträt-Zyklus des Mythenmalers Kiefer. Man sieht ihn dort in einsamen Landschaften mit Hitler-Gruß. Der Nebenraum ist Beuys und seinem «Filz-TV» sowie Werken der Beuys- Schüler Jörg Immendorff und Blinky Palermo vorbehalten.
Ganz aus dem Geist der Aufbruchszeit kommt auch «Der Angriff der Frauen», in dessen Mittelpunkt die provokanten Phallus-Skulpturen von Bourgeois stehen. «Jäger, Sammler, Malerfürsten» mit deutschtümelnden, aber bereits zersplitterten und fragmentierten Hunde- und Jägermotiven von Georg Baselitz sind ebenso zu sehen wie Warhols «Große elektrische Stühle». Diese Werk-Serie prangert den gesellschaftlichen Voyeurismus an. In der Ästhetik weicht sie bizarrerweise kaum von Warhols weltberühmten Marylin-Monroe-Bildern ab. Herausragende einzelne Werke sind darüber hinaus «Das Schimpftuch» von Sigmar Polke und «Swingeing London» (rpt «Swingeing London») des britischen Pop-Art-Begründers Richard Hamilton.
Für den Betrachter ist die Schau ein Wechselbad der Gefühle: Sie regt auf, bringt zum Lachen, lässt erschaudern und stimmt zugleich nachdenklich. Ob Film, Fotografie, Lichtkunst, Malerei oder Skulptur: Die Vielfalt der Medien spiegelt die Individualisierung der Künste von damals wider. Verbindender Zeitgeist ist der Protest gegen die künstlerischen «Väter»: So zelebriert Palermo seinen ganz persönlichen Abschied vom traditionsreichen Tafelbild, indem er ganz radikal eine einzige bunte Stoffbahn über den Keilrahmen spannt.