Kein Platz für Blumen: Anonyme Gräber stärker gefragt
Hannover/dpa. - Wenn am Totensonntag (22.11.) auf den Friedhöfen wieder Menschen ihrer gestorbenen Angehörigen oder Freunde gedenken, haben viele kein Grab zum Verzieren mit Blumen oder einer Kerze.
Denn immer häufiger werden Menschen anonym und ohne Grabstein bestattet - nach der Einäscherung verschwindet die Urne auf dem Friedhof unter einer Rasenfläche oder an einer anderen Stelle.
Der umstrittene Trend ist in Norddeutschland und in Ballungsräumen ausgeprägter, als in traditionell religiös geprägten Landstrichen. In Großstädten gibt es auf einigen Friedhöfen inzwischen bis zu 50 Prozent anonyme Beisetzungen, meint die Sprecherin des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur, Kerstin Gernig.
Die Gründe sind unterschiedlich: Die Vereinsamung der Menschen gehe oft der anonymen Bestattung voraus, sagt Gernig. Häufig lebten die Angehörigen nicht in der Nähe, um das Grab zu pflegen. «Viele entscheiden sich in diesem Fall für die anonyme Bestattung, weil die Friedhofspflegekosten wegfallen», sagt Bestattungsunternehmer Rüdiger Rolf aus Hannover. Waren vor fünf Jahren noch drei von zehn Bestattungen anonym, seien es mittlerweile sieben. Teils werde die anonyme Beisetzung von den Verstorbenen gewünscht, teils von den Angehörigen.
Die Evangelische Kirche geht von bundesweit 15 Prozent anonymer Bestattungen aus. Hauptgrund seien oft die als hoch empfundenen Friedhofsgebühren. «Die einmalige Gebühr bei Erdbestattungen beträgt rund 3000 Euro. Bei der anonymen sind es rund 1000 Euro», sagt der hannoversche Bestatter. In Braunschweig kostet die anonyme Bestattung 505 Euro. «Für die Erdbestattung bezahlen die Menschen 1984 Euro für 25 Jahre», sagt Bettina Röder vom Stadtfriedhof Braunschweig. In Göttingen sind anonyme Urnengräber für 990 Euro möglich.
Entgegen vieler Vermutungen haben anonyme Bestattungen aber nichts mit sozialer Herkunft zu tun. «Die Leute wollen nach ihrem Tod einfach niemandem zur Last fallen. Viele wollen ihren Angehörigen ersparen, sich 20 Jahre um das Grab kümmern zu müssen», sagt Rolf.
Die Kirchen unterdessen lehnen anonyme Bestattungen ab. «Die anonyme Bestattung ist eine Form der Bestattung, die der Würdigkeit des Menschen nicht entspricht», sagt der Oberlandeskirchenrat Hans Christian Brandy von der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Namen und Daten auf Grabsteinen seien zeitliche Symbole für den bleibenden Wert eines Menschen.
«Hinzu kommt, dass die anonyme Bestattung die Trauerarbeit erschwert», meint Brandy. Auf kirchlichen Friedhöfen seien anonyme Bestattungen nicht möglich. Es gebe gute Alternativen wie Rasenflächen mit in Boden eingelassenen Namenstafeln.
«Das macht ebenfalls die Grabpflege überflüssig, bietet aber einen Ort der Trauer», sagt Brandy. Es gebe auch Gemeinschaftsanlagen, bei denen jeder Name festgehalten sei. Den meisten Menschen gehe es schließlich nicht um die Anonymität, sondern um den Pflegeaufwand.
Auch das Bistum Hildesheim spricht sich gegen die anonyme Bestattung aus. «Aus unser Glaubenssicht befürworten wir die Erdbestattung», sagt der Leiter des Fachbereichs Lithurgie, Prof. Franz-Wilhelm Thiele. Schon alleine aus psychologischer Sicht sei es zu befürworten, als Angehöriger ein gekennzeichnetes Grab vorzufinden. «Der Mensch braucht für die Trauer einen Ort.» Deshalb käme es auch schon mal vor, dass Angehörige ein Grab nachträglich exhumieren lassen, um den Verstorbenen «regulär» zu bestatten.
Bestatter, die dazu übergegangen sind, Menschen die Wiese der anonymen Beisetzungen vorab zu zeigen, führten deutlich weniger anonyme Beerdigungen durch, meint Kuratoriumssprecherin Gernig. Es gebe allerdings auch tragische Fälle, in denen eine ausführliche Beratung nicht stattgefunden habe. Angehörige merkten erst nach der Beisetzung, was sie sich damit angetan haben. «Doch so wie es keine Generalprobe für eine Beisetzung gibt, gibt es eben auch keine Wiederholungsmöglichkeit.»