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Jubiläum Jubiläum: Extra-Sprung nur für Fidel

Von Michael Pietsch 28.07.2008, 19:30

Halle/Dresden/MZ. - Am Telefon in Dresden ist zunächst nur Helmut Gulbin. "Ja, bitte?" Dann ruft er nach seiner Frau: "Halle ist dran." Es dauert nur einen Moment, und Ingrid Gulbin nimmt den Hörer zur Hand - eine der erfolgreichsten deutschen Wasserspringerinnen und die einzige Athletin, die in beiden Teilen Deutschlands zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde.

Unter ihrem Mädchennamen Krämer war Gulbin 1958 als 15-Jährige DDR-Meisterin geworden und sammelte 1960 sowie 1964 in der gesamtdeutschen Mannschaft gleich vier Olympiamedaillen. Später arbeitete sie lange in Halle als Trainerin. "Ich habe ja nicht mehr so viele Verbindungen zu Sportlern oder Trainerkollegen von damals", erzählt sie. "Aber durch meine Hände gingen so erfolgreiche Springerinnen wie Martina Jäschke und Junioren-Europameisterin Beate Jahn."

Eines aber wird Ingrid Gulbin beim Stichwort Halle nie vergessen - eine ganz besondere Begebenheit. "1974 war Kubas Staatschef Fidel Castro in der DDR zu Besuch, auch in Halle. Und für ihn zog ich noch ein einziges Mal meinen Badeanzug an und sprang vom Dreimeterbrett", erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. Der Grund für das ungewöhnliches Ansinnen war ein politischer: "Fidel wollte jene Frau sehen, die die Amerikaner besiegt hatte." Ein Ausläufer des Kalten Krieg in der Neustädter Sprunghalle also.

Hintergrund: Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom hatte die Dresdnerin, damals noch als Ingrid Krämer, mit ihrem Doppelerfolg die seit 1924 anhaltende Siegesserie der US-Amerikanerinnen gesprengt. Nach 36 Jahren.

Den konkreten Sprung, den die Deutsche dem Revolutionär von der Zuckerinsel präsentierte, hat sie nicht mehr parat. "Ich weiß nur, dass der Schwierigkeitsgrad, der damals international noch Spitze war, momentan schon vom Nachwuchs beherrscht wird."

Am Dienstag wird Ingrid Gulbin 65 Jahre alt. Der Sport hat durchaus Spuren hinterlassen. Ihre Bewegungsfreiheit ist wegen eines Wirbelsäulenschadens eingeschränkt. Sie hält sich mit Schwimmen und Walken fit. Für eine pompöse Feier ist die lebenslustig wirkende Ex-Sportlerin aber nicht der Typ. Sie liebt die Zurückhaltung. Dass der Bildhauer Fritz Cremer sie zu DDR-Zeiten in einem Bronzedenkmal verewigte, das auf dem Dach der Dresdner Springerhalle aufgestellt wurde, ist ihr eher unangenehm. Ein Spaziergang mit ihrem Mann, Tochter Grit und den beiden Enkelinnen Julia und Sophia Richtung Meißen, abends eine Ballett-Aufführung im Dresdner Zwinger - so wird am Dienstag gefeiert. Das gibt ihr "mehr Freude als irgendwelches Tamtam".

Nach der politischen Wende hatte Gulbin ihren Trainer-Job bei den Wasserspringern des Dresdner SC - unter anderem entdeckte sie im Kindergarten den späteren Olympiazweiten Jan Hempel - verloren. Dann folgten drei Jahre Arbeitslosigkeit und ein neues Berufsleben bei einer Bank. Bis zur gesundheitlich bedingten Pensionierung vor fünf Jahren.

Die aktuelle Wassersprung-Szene begutachtet sie heute nur noch von weitem. "Olympia in Peking schaue ich mir sicher aus dem Fernsehsessel heraus an", sagt sie. Und wie schätzt sie die Chancen der jetzigen ersten Garde aus Deutschland ein? Ihre Antwort kommt mit schelmischem Unterton: "Die Chinesen sind klar favorisiert, wir sind Außenseiter. Aber wer hat damals schon mit der kleinen Ingrid Krämer gerechnet..."