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Joshua Bell Joshua Bell: Internetspieler fürchten ihn

30.10.2001, 12:22
Joshua Bell
Joshua Bell dpa

New York/dpa. - Internetspieler fürchten ihn. Wenn sich Joshua Bell beim Actionspiel «Half-Life» einloggt, haben Gegner kaum eineChance. Er ist rasend schnell und vollkommen konzentriert. Der New Yorker Violinvirtuose liebt den Adrenalin treibenden Zwang zum blitzartigen und doch präzisen Reagieren. Beim Computerspiel, beim Porschefahren und auch auf der Bühne. «Ich bin dann völlig versunken, es gibt nur noch die Musik», sagte Bell der dpa. Ab Sonntag (4.November) ist der «schnellste Geiger Amerikas» in vier deutschen Städten zu erleben.

«Ich freue mich diesmal ganz besonders auf Deutschland», sagte der Oscar- und Grammygewinner. «Im Land der großen Komponisten spiele ichBernstein und kann zeigen, dass auch Amerika Musikgenieshervorgebracht hat. Das ist mir wichtig.» Seine Botschaft dürfte verstanden werden, spätestens wenn er Leonard Bernsteins «New York, New York» spielt - knapp zwei Monate nachdem Terroristen das World Trade Center in Schutt und Asche legten.

New York ist so vital und voller Kraft wie eh und je, und genau so ist das Violinspiel des 33 Jahre alten Stars. Seiner Stradivari aus dem Jahr 1732, die einmal dem «Teufelsgeiger» Niccolo Paganini gehörte, entlockt Bell volle, warme und geschmeidige Klänge. Wenn ersie voller Hingabe zu fast aggressiver Schärfe steigert, ist der Mann bald schweißgebadet und sein Publikum ist, wie erst kürzlich im Central Park, völlig hingerissen. Kurz vor der Deutschlandreise hat er sich für vier Millionen Dollar (8,8 Millionen Mark/4,5 Millionen Euro) noch eine zweite Stradivari dazu gekauft. Ob er auch die «Gibson Strad» aus dem Jahr 1713 mit nach Hamburg bringt, blieb zunächst offen.

Im Mittelpunkt seiner Tournee steht die «West Side Story Suite», die auch auf seiner neuesten CD zu hören ist. Diese 20-minütige Zusammenfassung aller bekannten Themen der «West Side Story» hat der Musical-Komponist William David Brohn («Miss Saigon») speziell für Bell arrangiert. Bernstein, der 1990 starb, hatte das Projekt leidenschaftlich unterstützt, gerade weil dabei die Grenzen zwischen «E»- und «U»-Musik, zwischen ernster und Unterhaltungsmusik, aufgelöst werden.

Für solche «Crossover» ist der begeisterte Videospieler,Sportwagenlenker, Tennis- und Golfspieler, den dasEntertainment-Magazin «People» zu den «50 schönsten Menschen der Welt» zählte, seit Jahren ein Spezialist. «Dabei mag ich das Wort "Crossover" nicht so gern, weil das schon wieder wie eine neue Kategorie klingt. Ich will aber nicht in eine Schublade gepackt werden, sondern offen sein für alles, was mir musikalisch ganznatürlich erscheint.» Deshalb gehören zu seinem Repertoire neben Standardwerken von Mozart, Brahms und Sibelius auch Jazz, Country und Bluegrass.

Spätestens seit einem denkwürdigen Abend im Mai 1999 wünscht sich Bell auch, dass klassische Musik weniger steril aufgeführt wird. In der Alice Tully Hall, einem traditionsreichen New YorkerVeranstaltungsort für Kammermusik, bot der Klassik-Geiger zusammen mit Country-Musikern Bluegrass-Kompositionen von Edgar Meyer. Als daraus auch noch die CD «Short Trip Home» wurde, rümpften manche Klassik-Freunde die Nase, doch Bell war das egal. «Ich fand es wunderbar, vor einem Publikum aufzutreten, dass einem zuruft, was es gern hören möchte. Eine solche Atmosphäre würde manchmal auch der Klassik nicht schaden.»

Obwohl er schon mit 14 Jahren bei Auftritten in der Carnegie Hall gefeiert wurde, wirkt Bell ganz anders als der zarte «Wunderkind-Typ». Aufgewachsen auf einer Farm in Indiana, saß er genauso gern im Sattel und kletterte auf Bäumen wie er Geige spielte.Als Fünfjähriger bekam er Violin-Unterricht, mit zwölf studierte erbei dem großen Geiger und Musikpädagogen Joseph Gingold. Seinenjungenhaften Charme, seine unkomplizierte Art hat er sich bis heutebewahrt. Für die «New York Times» ist der Stargeiger deshalb dieVerkörperung des Kumpeltyps, des «all-American boy».

(Tourdaten: 4.11. Hamburg, 5.11. Stuttgart, 7.11. Berlin, 13. und14.11 Frankfurt/Main)