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Hinter Gittern

Von Kristin Hensel 28.12.2005, 11:22

Halle/AHA. - „Zaunwelten“ heißt nun ein höchst spannendes Projekt von Majken Rehderund Nicole Andries, das sich erstmalig mit dem Phänomen der selbstgebautenZäune in der DDR auseinandersetzt. Denn, ehrlich gesagt, bisher habendiese Zäune, die hierzulande jeder kennt, nie Aufmerksamkeit erregt. Umsoamüsanter sind daher die Erkenntnisse, die die beiden jungen Kulturwissenschaftlerinnenaus den alten Bundesländern auf ihren Streifzügen durch dieostdeutsche Provinz sammelten. Monatelang zogen sie von Tür zu Tür undwurden nicht selten zu Kaffee und Kuchen eingeladen.

In der Ausstellung „Zaunwelten“ sind diese Geschichten über die Zäuneund ihre Erbauer zusammengefasst. Auf mehreren Stationen quer durchDeutschland fanden die „Zaunwelten“ großen Anklang. Pläne, die Ausstellungnach Halle zu holen, gibt es bereits. Bis zum 8. Januar sind die „Zaunwelten“noch im Berliner Museum für Kommunikation zu sehen.

Auf der Suche nach dem Zaun der Marke Eigenbau öffnete sich vor MajkenRehder und Nicole Andries eine neue Welt von kulturgeschichtlichem, fastpolitischem Wert. „Ja, die DDR war ein Land der Zäune. Da waren Grenzenund Zäune rund um dein Leben“, sagt das Ehepaar Karin und Dieter Behrendtaus Brandenburg bei einem Gespräch – während es an dem eisernen,mit einer großen Sonne verzierten Gartenzaun lehnt.

Wie Ottfried Matthes stolz erzählt, konnte so ein Gartenzaun auch schonmal zum Lebenswerk werden. „Der Zaun, das ist eine Liebeserklärung anmeine Frau. Die runden Teller, die da mit eingeschweißt sind, die Ausstanzteile,die hab’ ich in Form eines W’s eingesetzt, weil meine Frau Wanda heißt.“Als die Baumärkte noch nicht den Osten erobert hatten, konnte Mangelauch als Segen verstanden werden. Das ganze Land schien von einer kreativenHeimwerkerkultur erfasst. Ob Industrieschrott wie Moniereisen, Plastikschwimmkugelnaus dem Heizungsbau, Bremsscheiben von Flugzeugrädern,Zahnräder aus dem Getriebe von Landmaschinen oder Kranbauabfälle,alles fand irgendwie Verwendung. Und so entstanden Gartenzäune MarkeEigenbau, die entweder Blumen- und Tiermotive, Initialen sowie Jahreszahlenoder auch schon mal Hammer und Sichel zierten. Die Privatproduktionwar Teil der Eigenheimkultur. Engpass trieb die Kreativität und damit denWunsch nach Individualität im sozialistischen Alltag an. „Ich wollte immereinen Zaun haben, den keiner hat“, betont zum Beispiel Edith Hesse gegenüberihren beiden Interviewpartnerinnen.

Ohne Frage lassen sich die Berliner oder auch die Chinesische Mauer in dieGruppe der wohl einflussreichsten Bauwerke der Menschheit einreihen. Distanzzu halten liegt in der Natur des Menschen. Und so teilen wir auch gerneden uns umgebenden Raum auf.

Für die beiden Wissenschaftlerinnen Majken Rehder und Nicole Andries warder Einblick in ein eher buntes Kapitel ostdeutscher Alltagskultur von erstaunlichemErgebnis, denn im Westen trennt man Heim und Hof gerne durch einekaum Durchsicht bietende, meterhohe Hecke ab. Östlich des Eisernen Vorhangesdagegen lag die Sicht frei, zumindest bis zu Nachbars Garten. Der Zaunwurde so zu einem Ziergerüst, das mehr ein- als ausladen wollte. „Für meineBegriffe ist ein Zaun ein Aushängeschild, man sieht erst den Zaun und danndas Haus“, begründet Peter Feldhahn das Blumenmotiv an seinem Zaun.

Doch leider greifen auch hierzulande immer mehr Menschen zu den Standardangebotenaus dem Baumarkt. Die Kultur der Zäune bleibt somit tatsächlichnur noch ein Thema fürs Museum.

AUSSTELLUNG „ZAUNWELTEN“; noch bis 8. Januar; Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16, 10117 Berlin; Di–Fr von 9–17 Uhr, Sa–So von 11–19 Uhr; Zur Ausstellung gibt es das Memory-Spiel „Auch Du erinnerst Dich!“; 40 Kartenpaare, 60er Jahre DDR-Design, Sankt Oberholz Verlag, 14,90 Euro; „ZAUNWELTEN, ZÄUNE UND ZEITZEUGEN“; Geschichten zur Alltagskultur der DDR, von Nicole Andries und Majken Rehder, Jonas Verlag Marburg, 78 Seiten, 10 Euro