Hardrocker Bilic gegen Imperator Terim
Wien/dpa. - Rock im Park oder Tanz auf dem Vulkan - im Kampf um den Einzug ins EM-Halbfinale zwischen Kroatien und der Türkei treffen zwei Trainer-Welten aufeinander.
Der smarte Hardrocker Slaven Bilic träumt vor dem Viertelfinale am Freitag (20.45 Uhr) vom erneuten Duell gegen Deutschland, sein temperamentvoller Gegenspieler Fatih Terim befiehlt seiner Mannschaft das Finale. «Wir sind entschlossen, ins Endspiel zu kommen und werden kämpfen wie die Löwen», kündigte der türkische Trainer vollmundig an - und vertraut weiterhin seinem autoritären Führungsstil und der Leidenschaft seiner türkischen «Comeback-Könige».
Die Personalsorgen Terims werden aber immer größer. Am Vorabend des Spiels musste der Coach auch noch den Ausfall von Verteidiger Servet Cetin wegen dessen Leistenverletzung verkünden. Im wichtigsten Spiel der Türkei seit dem WM-Halbfinale gegen Brasilien (0:1) 2002 stehen Terim nur noch 15 Feldspieler und zwei Torhüter zur Verfügung. Besonders schmerzlich sind die Sperren gegen Torhüter Volkan Demirel und Spielmacher Mehmet Aurelio.
Der 39 Jahre alte Bilic verzichtet vor dem wichtigsten Spiel seiner jungen Trainerkarriere darauf, die Angriffslust der «Feurigen» mit den Hass-Gesängen des kroatischen Skandalsängers Marko Perkovic zusätzlich zu schüren. Auch der für die EURO komponierte Song «Vatreno ludilo» (feuriger Wahnsinn), den der Hobby-Gitarrist mit seiner Rock-Band Rawbau aufgenommen hat, wird nicht gespielt. Bilic bevorzugt diesmal die leisen Töne. «Ob Heavy Metal oder Klassik spielt keine Rolle. Wir spielen immer mit Energie und Emotionen», betonte der Coach. «Und wir spielen für unser Land», ergänzte Kapitän Niko Kovac, der nach der EM seine internationale Karriere beenden will: «Wenn Gott mir Gesundheit gibt, würde ich gerne noch 20 Jahre spielen, aber das ist nicht möglich.»
Mit himmlischem Beistand will er den größten Erfolg der Kroaten nach dem dritten Platz bei der WM 1998 in Frankreich feiern. Im Halbfinale am kommenden Mittwoch in Basel wäre dann Deutschland der liebste Gegner und die Möglichkeit zur «echten» Revanche für das 1:2 beim EM-Viertelfinale 1996 gegeben. «Ich bete zu Gott, dass wir gegen die Türkei gewinnen«, sagte er im Team-Camp in Bad Tatzmannsdorf. Der Glaube hat schon ein bisschen geholfen. Die zuletzt angeschlagenen Ivan Rakitic aus Schalke und Darijo Srna meldeten sich beim Abschlusstraining einsatzbereit. «Wir sind die bessere Mannschaft», behauptet Bilic.
Die gute Mischung aus «jungen Wilden und erfahrenen Spielern» sowie der Zusammenhalt des Teams ist für den Dortmunder Mladen Petric Kroatiens Erfolgs-Geheimnis und das Ergebnis von Bilic' Arbeit. Mit natürlicher Autorität, ohne Kumpanei und auf erfrischend ehrliche Art hat er seine Truppe im Griff. «Ich muss nicht lauthals betonen, dass ich der Boss bin. Ich muss nicht der Freund der Spieler sein, aber ich will ihnen nahe sein», hat der promovierte Jurist, der in einem Akademiker-Haushalt aufwuchs, einmal gesagt.
Sein Gegenspieler aus der Türkei ist von einem ganz anderen Kaliber. Terim (54) gilt als harter Hund, was in seiner Kindheit begründet liegen mag. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen musste er sich an der Seite seines beinamputierten Vaters schon als Junge um das tägliche Brot seiner Familie kümmern. Als Fußballprofi schlug er sich gelegentlich mit handfesten Argumenten durchs Leben - Terim soll sogar den Polizeichef von Istanbul verprügelt haben.
In Wien steht Terim am Scheideweg. Ein Sieg gegen die Kroaten macht ihn zum Helden, nach einer Niederlage wird man ihn zum Teufel jagen. Terim wird's egal sein. Nach der EM hört er ohnehin als Nationaltrainer auf und wird eines von zahlreichen Angeboten europäischer Spitzenclubs unterzeichnen. Doch nach den eindrucksvollen und erfolgreichen Aufholjagden gegen die Schweiz (2:1) und Tschechien (3:2) will er Fußball-Geschichte schreiben. Dass er wegen der Sperren von Mehmet und Demirel, über dessen Einspruch am Montag verhandelt wird, und den zahlreichen Verletzungen womöglich ein halbes Dutzend Spieler ersetzen muss, sei kein Problem: «Wir haben einen großen Vorteil - wir geben niemals auf.»