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Handball Handball: Große Herausforderung für Heinevetter

Von Tino Scholz 11.01.2013, 20:43

Granollers/mz. - Schon ein garstiges Gerstenkorn reichte, um das fragile Gebilde deutsche Handball-Nationalmannschaft sichtbar zu machen. Vor einigen Tagen schwoll das linken Auge von Nationaltorwart Silvio Heinevetter an, der Keeper musste daraufhin mit einer Trainingseinheit aussetzen, sich Salbe aufs Auge schmieren und warten, was passiert. "Auge zu und durch", witzelte er, während Bundestrainer Martin Heuberger wohl ein paar Stoßgebete gen Himmel schickte.

Wenn es eine Sache gibt, die sich Heuberger am Samstag im ersten Spiel der deutschen Mannschaft bei der Handball-WM gegen Brasilien nicht leisten kann, dann ist das ein einsatzunfähiger Silvio Heinevetter. Der Bundestrainer setzt große Hoffnungen in den Profi von den Füchsen Berlin, den letzten verbliebenden Weltklassespieler im einst so fürstlich gespickten Auswahlkader.

Viele Ausnahmekönner traten in den vergangenen Jahren aus Altersgründen zurück, wegen gesundheitlicher Probleme oder weil sie sich mit Funktionären des Handball-Verbands überworfen hatten. Und als wäre die Nationalmannschaft nicht schon genug ausgeblutet, mussten vor dieser WM auch noch Holger Glandorf und Uwe Gensheimer verletzungsbedingt absagen.

Deshalb entfällt nun vor allem auf Heinevetter die Aufgabe, für die besonderen Momente zu sorgen. Mit famosen Leistungen soll er nicht nur einen großen Teil zum Einzug ins Achtelfinale beitragen, sondern die deutsche Auswahl dann auch in einem K.-o.-Spiel zu einem Sieg gegen einen Favoriten tragen, der an gewöhnlichen Tagen vielleicht nicht möglich wäre.

Die Chancen dafür stehen gut, denn rechtzeitig zur WM präsentiert sich Heinevetter nach einer durchwachsenen Bundesliga-Hinrunde in Topform. "Silvios Leistungen in den drei Testspielen waren schon beeindruckend", findet Heuberger.

Kleine Duelle mit Gegenspielern

Die Torhüter-Position im Handball ist sehr speziell, sie macht eminent viel für den Erfolg einer Mannschaft aus. "Ohne guten Mann zwischen den Pfosten", sagt Heinevetter, "bist du in der Liga sechs, sieben Plätze schlechter." Bei einer WM, die nach der Vorrunde sofort in einen K.-o.-Modus übergeht, wächst die Bedeutung noch mal.

Heinevetter liebt solche Situationen, sein ohnehin ausgeprägtes Ego wird dann noch mal ein Stück größer. Das äußert sich zuweilen darin, dass er überdreht. Er verliert sich oft in kleinen Duellen mit Gegenspielern, er springt sie an, beschimpft sie, rennt ihnen quer übers Feld hinterher. "Die Gegenspieler sollen Angst bekommen", sagt Wieland Schmidt, "um dann beim nächsten Angriff den Tick zu lang nachzudenken."

Schmidt war in den 70er und 80er Jahren einer der weltbesten Torhüter, gewann 1980 mit der DDR Olympia-Gold und lehrte Heinevetter beim SC Magdeburg das Torwartspiel. "Silvio kann jedes Team besser machen", findet er.

Trotz seiner herausragenden Stellung ist Heinevetter allerdings nicht gegen Kritik gefeit. Dass er bis heute noch keine Bundesliga-Saison und noch kein großes Turnier mit dem Nationalteam auf konstant hohem Niveau gespielt hat, wird ihm vorgeworfen. Der Grund liegt wohl ausgerechnet in seinem aufreibenden Spielstil begründet.

"Konstanz reinzubekommen ist schwer, weil Silvio sich als Wettkampftyp in jedes einzelne Spiel reinsteigert", erklärt DHB-Assistenztrainer Frank Carstens. Da gebe es eben auch mal den einen oder anderen Ausreißer. Schmidt wiederum glaubt: "Silvio powert sich manchmal schon zu früh aus. Er sollte sich in den Spielen kurze Ruhepausen gönnen."

Transfer nach Kiel platzte

Doch Heinevetter hält nicht viel von solchen Vorschlägen. "Ich werde immer ausrasten", sagt er. Dieser Tick Extravaganz gepaart mit seinem Privatleben, das ihn in der Vergangenheit oft mit der Schauspielerin Simone Thomalla auf die Roten Teppiche dieser Republik spülte, kostete ihn vor einiger Zeit nach Expertenmeinung sogar den Sprung zu einem absoluten Weltklasseverein.

Aus Kiel hört man, dass der Abonnementmeister THW vor etwa einem Jahr ernsthaftes Interesse an Heinevetter gehabt haben soll. Der Wechsel aber sei schlussendlich geplatzt, weil sich die eher konservative Vereinsführung nicht traute, seinen ebenso konservativen Fans diesen Wildfang zu präsentieren.

Heinevetter kommt langsam an einen Scheideweg in seiner Karriere. Er ist 28 Jahre alt, seinen bislang letzten Titel errang er 2007 mit dem SC Magdeburg. In Berlin steht er bis Ende Juni 2014. Nur muss sich Heinevetter auch bewusst sein, dass die Chancen auf einen bedeutenden Titel in nächster Zeit sowohl in seinem Klub, als auch im Nationalteam eher gering sind - die Konkurrenz ist in beiden Fällen einfach zu groß.

Schon bald wird er sich zwischen dem Leben in der Hauptstadt und der Befriedigung durch Titelgewinne entscheiden müssen. Eine Tendenz ist noch nicht erkennbar, denn Heinevetter ist und bleibt vor allem eines: unberechenbar.