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Geistiger Diebstahl Geistiger Diebstahl: Alles nur geklaut

17.12.2001, 12:38

München/gms. - Die Formulierungen waren identisch,Wort für Wort, Absatz für Absatz. Das waren keine neuenwissenschaftlichen Erkenntnisse, die Petra Taubert da vor sich liegen hatte. «Vorsicht: schon wieder dieselbe Hausarbeit», warnte die Dozentin in einer E-Mail alle wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Kommunikationswissenschaften der Universität München.Die Hausarbeit war dort im Wintersemester 1998 entstanden und mit der Note 1,3 bewertet worden. Jetzt war der «Zweistufenfluss der Kommunikation und das Meinungsführerkonzept» zum dritten Mal als Kopie eingereicht worden.

Nie war geistiger Diebstahl für deutsche Studenten einfacher als im Zeitalter des Internets: Ob «Spracherwerb bei Schimpansen», «Die Analyse der Duschszene aus Alfred Hitchcocks Film Psycho» oder «Die Geschichte der Schokolade» - bei hausarbeiten.de (www.hausarbeiten.de) stehen mehr als 17 000 Texte aus 190 Fachbereichen zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung. Andere Anbieter, wie Diplomica (www.diplomica.de) aus Hamburg, verkaufen über das Internet jeden Monat bis zu 500 Diplom- und Doktorarbeiten zum Preis von 396 Mark. Studenten zahlen die Hälfte.

Gesteigerte kriminelle Energie, weniger Ehrgefühl oder logische Konsequenz der Internet-Revolution? Für Deutschland gibt es keine gesicherten Zahlen, wie viele Studenten mit dem Internet betrügen. Anders sieht es in den USA aus: Die University of California in Berkeley meldete bereits 1997 eine Steigerung der Täuschungsversuche um 744 Prozent in nur drei Jahren. Für Aufsehen sorgte der Fall von zwei Theologiestudenten in Berkeley, die eine Hausarbeit aus dem Internet abgegeben hatten. Erst ihr Professor machte sie darauf aufmerksam, dass beide dieselbe Arbeit kopiert hatten.

Jetzt bekommen die akademischen «Bluthunde» bei der Fahndung nach digitalen Plagiaten Unterstützung aus dem Internet: Bereits 800 amerikanische Highschools und Universitäten nutzen den Suchdienst Turnitin.com, der jede hochgeladene Arbeit mit 800 Millionen Internet-Dokumenten vergleicht und in wenigen Sekunden erkennt, welcher Absatz abgeschrieben ist. Auch in Australien, China und Deutschland hat der Service regelmäßige Nutzer. Turnitin.com oder Konkurrenzsysteme wie Integriguard und die «Essay Verification Engine» weisen den Betrug auch dann nach, wenn bis zu 50 Prozent des Originals verändert wurden.

Gunther Eysenbach, Cybermediziner am Institut für klinische Sozialmedizin an der Universität Heidelberg und Herausgeber des «Journal of Medical Internet Research», überprüft regelmäßig Beiträge für sein Magazin mit turnitin.com: «Weil viele deutsche Ärzte und Doktoranden mit der obligatorischen englischen Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse Probleme haben, werden hemmungslos ganze Absätze aus amerikanischen Texten kopiert.»

Manchmal wird auch fleißig übersetzt: Tagelang überlegte Professor M. R. Theisen, Vorsitzender des Prüfungsamtes für Betriebswirtschaft an der Uni München, warum ihm eine vorgelegte Doktorarbeit so bekannt vorkam. Inzwischen hat er Beweise, dass der Doktorand eine Arbeit des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge bei Boston ins Deutsche übertragen hat.

Auch Theisen hat Turnitin.com getestet und macht sich keine Illusionen über die Moral der Studenten: «Der Einsatz digitaler Kontrollen und ihre Weiterentwicklung ist die einzige Chance, Plagiate zu entlarven, weil selbst in kleinen Fachbereichen die Menge der Arbeiten unüberschaubar ist. Bei Seminararbeiten stehen wir schon längst auf verlorenem Posten.»

Der wichtigste Grund für das fehlende Unrechtsbewusstseindeutscher Studenten scheint der Mangel an Strafen zu sein. Wer beim Kopieren der Hausarbeit auffliegt, erhält meist lediglich seinen Schein nicht und kann das Seminar noch einmal belegen - keine Abschreckung für Abschreiber. Ganz anders in den USA, wo die Studenten exmatrikuliert werden - auch wenn sie dann vergeblich zigtausend Dollars in ihre Ausbildung investiert haben.