Frankreich Frankreich: Antibes ist in Festivalstimmung

Juan-les-Pins/dpa. - Die Sonne steht noch ziemlich hoch amHimmel, als die ersten Jazzfans kommen. Gut eineinhalb Stunden sindes bis zum Beginn des Konzerts. Doch manche können es offenbar nichtabwarten - oder wollen noch einen gut gekühlten Rosé nehmen, bevorsie ihren Platz suchen. Rechtzeitig zu kommen, ist in Juan-les-Pinsnie verkehrt, wenn Festival ist - in diesem Sommer vom 13. bis 22.Juli. Für Jazzfans ist der kleine, zu Antibes an der Côte d'Azurgehörende Ort eine der ersten Adressen, wo fast alle Jazz-Größen von Ray Charles bis Duke Ellington oder Diana Krall schon einmal gespielthaben. Und nicht nur das: Kaum irgendwo sonst ist das Wetter so gutund die Atmosphäre so entspannt - in Juan-les-Pins gibt es Jazz nurunter blauem Himmel.
Die Bühne im «Pinède Gould», wo die Mehrzahl der Künstlerauftritt, ist nicht weit vom Ufer des Mittelmeers entfernt. Es siehtaus, als könnte man Anlauf nehmen und sich in die Wellen stürzen,falls eine Abkühlung notwendig wird. Über den Wipfeln der Pinienrechts neben der Bühne geht die Sonne jetzt langsam unter. Sitzplätzegibt es inzwischen nicht mehr, die Zuhörer schauen gespannt nachvorne. Dort sind mittlerweile die Drums aufgebaut, zwei Saxofonestehen neben dem Piano. Und als kurz darauf die Musiker vorgestelltwerden, gibt es schon den ersten kräftigen Applaus.
Das Publikum ist bunt gemischt: Vorne in der dritten Reihe hateine Familie gleich ein halbes Dutzend Stühle für sich belegt. Einbraun gebrannter Steve-Martin-Verschnitt neben ihnen swingt im Takt.Der mindestens 80-jährige Senior in blütenweißem Hemd daneben bleibtdagegen bewegungslos. Während die Sonne in den Sinkflug überzugehenscheint, gibt es auf der Bühne gerade einen Wechsel: Die Brassbandgeht, vier schwarze Sängerinnen aus Alabama kommen. Die Zuschauerstehen und klatschen mit. Jemand hat einen Papierflieger geworfen,der über die Köpfe der Zuhörer schwebt. Mittlerweile ist es fastdunkel, an der Küste beginnt es zu funkeln: Die Côte d'Azur macht dasLicht an - perfekte Stimmung für ein Jazzkonzert.
Der Jazz ist schon lange am Cap d'Antibes zu Hause - und das hatviel mit Sidney Bechet zu tun. Ein Gedenkstein mit seiner Büsteerinnert in Juan-les-Pins an den Musiker, der den Jazz nach Europabrachte. Schon in den zwanziger Jahren spielte er in den angesagtenClubs in Paris, in den Fünfzigern kam er jeden Sommer nach Antibes,um unter blauem Himmel aufzutreten und zu komponieren. Etliche seinerStücke sind hier entstanden. Im Mai 1959 starb er an Krebs - im Jahrdarauf gab es das erste Festival.
Der allsommerliche Jazz bringt das Leben in Antibes nichtdurcheinander. Die Palmenfächer hängen fast bewegungslos in der Luft.Der Himmel ist blau, das Thermometer zeigt schon am Vormittag mehrals 20 Grad. Frankreich ist in Ferienstimmung. Am Boulevard Baudouinin Juan-les-Pins reihen sich kleine Restaurants und Straßencafés mitKorbstühlen und Bistrotischen aneinander, wo Einheimische undFestivalgäste Pastis trinken.
Der Weg zum Strand ist leicht zu finden: Man geht einfach denLeuten mit den Luftmatratzen hinterher. An der Küste entlang stehenUnmengen von Sonnenschirmen, und Mitte Juli ist an den Stränden schoneiniges los. Vor allem französische Familien machen hier Urlaub.Baden im Mittelmeer ist kein Problem, das Wasser ist schon sehrangenehm. Der Strand von Juan-les-Pins ist kilometerlang. An jedemStrandabschnitt wie am Bijou Plage gibt es Liegen und Sonnenschirme.Es geht ausgesprochen flach ins Wasser. Vorne plantschen die ganzKleinen mit Schwimmflügeln, dahinter paddeln Kinder mitSchlauchbooten, weit draußen liegen einige größere Yachten vor Anker.Und die sonnenbadenden Erwachsenen beobachten das alles schläfrig vonder Liege aus - Sommer am Strand wie aus dem Bilderbuch.
Wer nach einem solchen Nachmittag zurück in den Ort kommt, mussauf den Jazz nicht lange warten. Denn während des Festivals gibt esnicht nur im «Pinède Gould» Konzerte, sondern zum Beispiel auch indem kleinen Pinienwald neben dem Club Bouliste. Dort versammeln sichjeden Tag spätestens am frühen Abend die Pétanque-Spieler ausJuan-les-Pins - für das inoffizielle Begleitprogramm des Festivals.Auch hier sind Könner am Werk: Vor dem Flachdachbau des Clubhausesfliegen die Kugeln - und fast immer landen sie im Umkreis des«Schweinchens», wie die kleine Zielkugel beim Boulespielen heißt.
Die Männer in kurzen Hosen und T-Shirts fachsimpeln,beglückwünschen sich für gute Würfe und fluchen über missglückte.Eben ist ein «Tireur» in die Hocke gegangen - seine Aufgabe ist es,eine gut platzierte Kugel der Gegenmannschaft wegzuschießen. Er machtdas mit einer unscheinbaren Bewegung der rechten Hand - ein lautesKlack, und das gegnerische Team liegt wieder hinten. So geht esstundenlang.
Direkt neben dem Club Bouliste ist zwischen den Pinien eine kleineBühne aufgebaut, davor ein Halbkreis aus Stühlen. Fast alle sindbereits besetzt. Der Keyboarder, ein Drummer und ein schwarzerBassist sind gerade gekommen. «Le Off du Jazz à Juan» heißt das, wassie hier machen: das Programm abseits der Hauptbühne. Hier spielennicht die Stars, die großen Namen des Jazz, dafür ist es noch eineSpur entspannter als im «Pinède Gould». Jazz hören, der Sonne beimUntergehen zusehen und in den Pausen zwischen den einzelnen Stückeden Zikaden lauschen - das ist beim «Jazz à Juan» schon eineMischung, die sich nur schwer toppen lässt.
Während des Festivals könnte man locker die ganze Zeit inJuan-les-Pins bleiben, aber dann würde man Antibes gar nicht sehen.Und das wäre zumindest schade. Denn Vieil Antibes ist nur wenigeKilometer entfernt, und die Altstadt ist ausgesprochen schön. DerVieux Port ist heute ein Parkplatz für ansehnliche Luxusyachten. EinStück weiter südlich - an der Stelle, wo die Griechen ihre Akropolisund später die Römer eine Festung bauten - steht heute dieGrimaldi-Burg. Picasso hat dort 1946 mehrere Monate lang gewohnt -die 25 Gemälde, die er in dieser Zeit malte, schenkte er der Stadt.
Die Straßen im Zentrum der Stadt sind schmal, die Häuserfrontenockerfarben, die Fensterläden aus Holz - mediterrane Atmosphäre vonAnfang an. In der Rue de la République ist Flohmarkt: Stände mitBüchern und Antiquitäten, Kirschholzmöbeln oder Silberwaren vomBesteck bis zum Kerzenleuchter reihen sich hier aneinander. Wer eherfür das Mittagessen einkaufen will, geht in die benachbarten Fleisch-und Fischgeschäfte oder in einen der vielen Delikatessenläden.
Noch besser ist ein Bummel durch die Markthalle am Cours Masséna,wo fast alles zu haben ist, was gut schmeckt und hier immer auch gutaussieht. Es gibt Charcuterie, Oliven und Auberginen, Zwiebeln undKnoblauch, Rosen und Lavendel, Gewürze aller Geschmacksrichtungen vonChili bis Anis oder auch Konfitüren nach Art der Côte d'Azur:hausgemacht, ohne Konservierungsstoffe und mit allen erdenklichenAromen wie Rhabarber oder Banane-Vanille.
Nebenan riecht es nach Erdbeeren, Feigen sind aber auch imAngebot. Ein Händler reicht Weißbrot mit Tapenade - Olivencreme - zumProbieren. Und wer befürchtet, nach diesem üppig-südfranzösischemSinnesrausch schwindlig zu werden, geht schnell auf einen Espresso ineines der vielen Cafés rund um den Markt. Kaum sitzt man, wird esplötzlich laut: Die «Pin Stripe Brass Band» aus New Orleans, die amvorigen Abend noch auf der Bühne zu hören war, zieht nun durch dieStraßen der Altstadt. Trompete, Tuba und Pauke sind schon von weitemzu hören, satter Südstaatensound in Südfrankreich - das passt. EinigeZuschauer klatschen den Rhythmus mit, andere lehnen sich im Caféentspannt zurück und gucken einfach nur fasziniert: «Jazz á Juan», sosoll es sein.