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Finnland Finnland: Endlose Stille auf und am Saimaa-See

Von Katharina Klink 11.05.2005, 18:05
Ein See ohne Ende - aus der Luft sind die vielen Verzweigungen, Ecken und Winkel des Saimaa-Sees deutlich zu erkennen. (Foto: dpa)
Ein See ohne Ende - aus der Luft sind die vielen Verzweigungen, Ecken und Winkel des Saimaa-Sees deutlich zu erkennen. (Foto: dpa) Finnische Zentrale für Tourismus

Mikkeli/dpa. - «Vorsicht, jetzt wird's steil», ruft Ilmo, der Fahrradführer noch.Dann braust er den Berg hinunter. Die schmale, steile Straße führtzwischen großen Fichten und Kiefern hindurch, vorbei an Schonungenund Lichtungen und endet schließlich an einer Brücke über eineschmale Wasserzunge. «Das ist schon der Saimaa-See, der ist hierquasi überall», erklärt der Reiseführer.

Immerhin ist der Saimaa auch der größte See Finnlands und derviertgrößte Europas. Nicht als großes Becken, sondern in unzähligeArme, Buchten und kleinere Seen zerfasert, reicht er gut 250Kilometer nordöstlich von Helsinki gelegen fast bis an die russischeGrenze. Seine Ufer sind insgesamt 14 850 Kilometer lang, und es gibtfast 14 000 Inseln. «Und dabei sind nur die gezählt, die größer sindals 10 mal 10 Meter», hatte Mechthild Kostamoinen erklärt,Stadtführerin in der Provinzhauptstadt Mikkeli.

Deshalb stößt, wer in dem Seengebiet unterwegs ist, zwangsläufigauf zahlreiche Ufer und Brücken. Von Anttola aus, einer Kleinstadt amnördlichen Ufer des Sees, geht es mit dem Fahrrad gen Süden. Vomgemütlichen Radeln am Strand kann dabei keine Rede sein: «Die Bergeam See sind immerhin bis zu 160 Meter hoch», erzählt Ilmo.

Geteerte Straßen, befestigte Wege, manchmal auch nur Trampelpfadeführen hinauf und hinab, durch Nadelwälder hinein in das Labyrinthder Wasserwege und Inseln. Mal taucht links die Silhouette des Seesauf, dann wieder glitzert das Wasser des Saimaa rechts in derSommersonne. Nur selten begegnen den Radlern Autos oder Fußgänger.«Auf, auf!», feuern ein paar Wanderer sie bei einer Steigung an,munter grüßen andere, die bei einer Abfahrt rasant überholt werden.

Nach einer letzten, anstrengenden Steigung auf der InselLaajavuori steigt Ilmo mitten im Wald schließlich vom Sattel. «Lasstdie Räder einfach hier auf der Lichtung stehen», sagt er. Über dieverwunderten Blicke seiner Gäste amüsiert er sich: «Wir sind inFinnland, ihr müsst nicht abschließen.» Dann klemmt er sich einenriesigen Rucksack auf den Rücken, und los geht es - wieder bergan.

«Das war eindeutig ein Elch, und er hatte es eilig», sagt Ilmonach nur wenigen Wanderminuten und zeigt auf den Weg. In dem weichenBoden zeichnen sich tiefe Hufabdrücke ab. Das Tier habe erst vorwenigen Stunden den Weg gekreuzt. Ob es gefährlich ist, einemExemplar zu begegnen? «Ach, der Elch hätte mindestens so viel Angstwie ihr.»

Über Stock und Stein führt der Wanderweg: Weicher, matschigerWaldboden wechselt sich mit hartem Granitstein ab. Manchmal sind dieSteine mit Moos oder Flechten bewachsen, die silbrig-grau schimmern.Auch das Unterholz hat oft diese seltsame Farbe, von der sich dasfrische Grün der Birken abhebt. Wegen der hohen Bäume schaffen es dieStrahlen der Junisonne nur selten bis an den Waldboden. Dort brauchenzahllose Blaubeersträucher noch ein paar Wochen, ehe man ihre Früchteim Juli ernten kann.

Gekennzeichnet wird der Wanderweg durch farbige Bänder, die umBäume, Sträucher oder Steine geschlungen sind. Das hilft demOrtsfremden auch deshalb, weil sich die finnischen Namen mit ihrenvielen Buchstaben auf den Hinweisschildern kaum jemand merken kann.Wie bei einer Schnitzeljagd kann der nächste farbige Hinweisallerdings durchaus gut versteckt sein. Auch kleinere Kletterpartientrauen die Organisatoren der Wanderwege ihren Gästen durchaus zu.

Dafür kümmern sie sich aber auch um die Pausen: Viele Rastplätzesind mit einem Laavu, einem kleinen Unterstand mit schrägem Dach,ausgestattet. In der zu einer Seite offenen, kleinen Hütte könnensich Wanderer vom Regen geschützt ausruhen - Hartgesottene schlafenhier sogar im Winter. Zu einem Laavu gehört eine Feuerstelle mitgroben, flachen Bänken direkt am See. Auch ein Stapel Holz und eineeiserne Kaffeekanne liegen immer bereit: Und wenn das Feuer erstmalbrennt, kocht bald das Wasser, das aus dem See geschöpft wird.

Wer zu Fuß, mit dem Rad, auf einem Pferd oder Skiern unterwegsist, genießt in Finnland generell mehr Rechte als in vielen anderenLändern. Das so genannte Jedermannsrecht regelt, dass sich jeder inder Natur frei bewegen kann, auch auf dem Land anderer, solange erkeinen Schaden anrichtet. Wanderer dürfen auch ihr Zelt für einigeTage aufstellen und Fische für die eigene Versorgung fangen, sofernsie dazu nur eine einfache Angel mit Wurm verwenden.

Wer sich nicht auf sein Angler-Glück verlassen will, kann sich wieIlmo aber auch einen Rucksack für das Picknick packen: Einetraditionelle Marschverpflegung ist Muikkukukko - ein Brot, in dessenMitte geräucherte Fische eingebacken sind. Zu einer finnischenBrotzeit gehören außerdem Bratwürste, die auf einen Stock gespießtüber dem offenen Feuer gegrillt werden. Und der starke Kaffeeschmeckt mit dem Blick auf den still daliegenden See besonders gut.

Ilmo deutet auf einen Haufen Steine in der Nähe des Ufers: «EineSauna», sagt er. Den ungläubigen Besuchern erklärt er: «Zunächstmacht man unter den Steinen ein Feuer.» Zwei Stunden lang werden sieerhitzt, rundherum steht ein provisorisches Zelt - «eigentlich nureine Plane mit ein paar Stöcken». So können die Finnen auch fernjeder Zivilisation ihrem liebsten Hobby frönen. Und für die Abkühlungzwischen den Saunagängen sorgt ein beherzter Sprung in den See.

Dessen klares, kaltes Wasser lässt sich auch trockenen Fußes voneinem Boot aus genießen. Sportlich und traditionell zugleich ist dieFahrt mit so genannten Kirchenbooten: «Die schlichten Ruderboote ausHolz gehörten früher einer ganzen Gemeinde zusammen», erklärt TiinaLeinonen, eine Führerin für Kanu-, Wander- und Radtouren. Weil einBoot für eine Familie zu teuer war, legten die Gemeindemitgliederzusammen. «Jede Familie bediente dann eine Ruderbank.» Mehr als einDutzend Menschen hatten in dem Boot Platz. «So ging es am Sonntag zurKirche - von der eigenen Taufe bis zur Beerdigung.»

Die Ruderer müssen sich ganz schön in die Riemen legen, um dasmassive Boot in Bewegung zu setzen. Dann gleitet es fast geräuschlosan den Landzungen und Schären des Saimaas vorbei. Unterbrochen wirddie andächtige Stille nur durch das rhythmische Eintauchen derRuderblätter in den See. Ein paar Möwen begleiten das Boot vorbei anvereinzelten Stegen und seltenen Hütten am Ufer. «Das Seengebiet istsehr dünn besiedelt», erzählt Tiina, die besonderen Wert aufumweltschonende und besonders naturverbundene Ausflüge legt.

Mit viel Glück könnten Touristen mit ihr sogar auf die äußerstseltene Saimaa-Ringelrobbe stoßen, sagt Tiina. Die Robbe ist das amstärksten bedrohte Säugetier Finnlands, und der Bestand wird auf noch200 Tiere geschätzt. Häufiger anzutreffen sind in der Region vieleVogelarten: Fischadler, Ohrentaucher, Pirol und Birkhühner gehören zuden insgesamt mehr als 100 Nistvögeln im Seengebiet. An einigen Ufernsind auch Biber, Hermelin, Zwergwiesel, Bisam und Fischotter zuHause. Allerdings stehen Teile des Sees unter Naturschutz und könnennicht einfach auf eigene Faust erkundet werden. An vielen Orten gibtes aber Naturlehrpfade, die Flora und Fauna erklären.

Wer im Juni am Saimaa-See unterwegs ist, wird gegen Abend miteinem besonderen Schauspiel belohnt: Rund um den Mittsommer ist derSee in bläuliches Dämmerlicht gehüllt. An der Wasseroberfläche ziehtNebel auf, über den Baumwipfeln leuchtet der Himmel in merkwürdigemDunkelblau. In dem kühlen Dämmerlicht tauchen am Ufer voraus steileFelsen auf: «Um den Fräuleinberg rankt sich eine Sage», sagt Tiina.Eine unglücklich verliebte Jungfrau habe sich vom Felsen gestürzt.

Der Aufstieg führt auf einem engen Pfad hinauf, über felsigen, mitMoos bewachsenen Grund. Ein kleiner Handlauf sichert den Weg auf denletzten Metern. Auf der Felsplattform angekommen, breitet sich derSee wie eine riesige Malerpalette vor dem Betrachter aus: Die Armeund Becken leuchten in Blautönen und Grauvarianten. Grüne Landzungenschieben sich in die Wassermassen, und dunkle Felsen ragen heraus.Hütten oder Häuser sind nicht zu sehen - beim Radeln, Wandern oderRudern am Saimaa begleiten mehr Möwen als Menschen den Urlauber.

Zerfaserter Riesen-See - der Saimaa erstreckt sich in Südostfinnland bis an die russische Grenze. (Grafik: dpa)
Zerfaserter Riesen-See - der Saimaa erstreckt sich in Südostfinnland bis an die russische Grenze. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschildt