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Es verging kein Tag ohne Fußball

Von Detlef Anders 29.05.2005, 14:52

Quedlinburg/MZ. - "Ostern 1938 sagte meine Mutter zu mir, wenn ich ein gutes Zeugnis bringe, darf ich mich beim Fußball anmelden." Günter Biermann lächelt bei der Erinnerung. Fußball war schon damals seine Welt. Am Itschensteg traf er sich mit seinem Freunden zum Bolzen. Die Schulranzen waren die Pfosten und Gummibälle ersetzten das heiß ersehnte Leder. Jeden Tag kamen die Jungs aus der Bismarck-Straße, wie die Stresemann-Straße damals hieß, an die Bode. Als "Süderstädter" traten sie gegen die anderen Straßenmannschaften aus der Schmalen Straße oder der Reichenstraße offiziell in Wettstreit. Ausgetragen wurden die Spiele auf dem Kleers. Doch Günter Biermanns Traum war der Moorberg.

Lohn für gutes Zeugnis

Als das Zeugnis wie gewünscht ausfiel, durfte der achtjährige Kicker zu Ernst Hütter, dem Jugendtrainer, auf den Moorberg zum Schülertraining. Am 2. August 1938 erhielt er den Ausweis für die Schülermannschaft. Der Traum wurde wahr. "Ich war mit acht Jahren der jüngste." Mit ihm wurde auch die spätere Torwartlegende Quedlinburgs Kurt "Aute" Sander, der Vater des heutigen Cottbusser Trainers Patrick, aufgenommen.

Sein größtes Geschenk waren die Fußballschuhe und der Fußball, die schließlich am Weihnachtsabend für ihn und seinen zwei Jahre älteren Bruder Hans unter dem Weihnachtsbaum lagen. "Das war Weihnachten, Ostern und Pfingsten auf einmal." Die Taufe gab es gleich am nächsten Tag trotz eines halben Meters Schnee. Zuvor spielte er mit Straßenschuhen, auf die ein Schuster Lederstriemen geklebt hatte. An die Kriegszeit hat er vor allem auch Erinnerungen an die Fahrten zu den Auswärtsspielen. Nur mit Jungmannuniform durften sie den Bahnhof verlassen. Als es zu einem Auswärtsspiel nach Frose ging, explodierte am Römergraben, wie Quarmbeck damals hieß, eine Luftmine über der Süderstadt. Scheiben gingen zu Bruch und der Zug kam viel zu spät in Frose an. Das Spiel war abgesagt und doch waren die Freude bei der Rückkehr riesig - weil die Eltern, die sich sorgten, ihre Kinder gesund zurück hatten.

Fußball "charascho"

Nach dem Krieg war Günter Biermann einer der Jungen, die zum russischen Stadtkommandanten gingen und ihn mehr gestikulierend als sprechend fragten, ob sie wieder Fußball spielen durften. Das "charascho" war für ihn wie eine Erlösung nach fußballfreien Monaten. Der Fußball blühte in Quedlinburg auf.

Fernsehen oder Motorräder gab es nicht. Die Stadt war mit ausgebombten und geflüchteten Menschen voll. "Wir hatten neun Nachwuchsmannschaften und bei den Herren war das Gedränge genauso." Der Enthusiasmus war bei den meisten Spielern sehr hoch. "Wir haben uns die ganze Woche auf den Sonntag gefreut und wenn wir verloren hatten, haben wir uns drei Tage lang geärgert." Heute vermisst Günter Biermann diese Einstellung bei manchen Spielern. Oft werde nach Arbeit und Prämien gefragt. Wenn das nicht passt, wollen manche gar nicht spielen, musste er erfahren.

Eigentlich wollte Biermann Sportkorrespondent werden. Doch nach einem mehrmonatigen Kurs an der Landessportschule in Freiburg wurde er ohne lange zu fragen an das Lehrerbildungsinstitut nach Staßfurt geschickt, um sich als Lehrer ausbilden zu lassen. Bis 1966 unterrichtete Günter Biermann in Groß-Börnicke und fuhr im Sommer oft mit dem Fahrrad zum Fußballtraining nach Quedlinburg. Erst dann wurde er nach Badeborn versetzt.

Als Günter Biermann 1966 die Fußballschuhe auszog, hängte er sie nicht sang- und klanglos in den Schrank. Er übernahm für drei Jahre die Abteilungsleitung und wurde 1968 Vorsitzender der Rechtskommission des Kreisfußballverbandes, das spätere Sportgericht im Kreis. Bis 2001 verhandelte er jährlich zehn bis 15 Streitfälle zwischen den Vereinen.

61 Jahre Spielberichte

Doch auch heute lässt ihn der Fußball nicht los. Als Mannschaftsleiter füllt er die Spielformulare aus, versorgt die Schiedsrichter in den Pausen mit Kaffee und Würstchen und hat während des Spiels seinen Platz hinter dem Tor. Bis vor zwei Jahren war er auch noch Stadionsprecher. In der nächsten Saison will er auch wieder den Stift zücken und die Spielberichte für die Mitteldeutsche Zeitung schreiben, die ihm nach dem Beinbruch sein Bruder Hans abgenommen hat. Das ist für ihn Ehrensache. Schon mit 14 Jahren hat er die Spielberichte für das Quedlinburger Kreisblatt geschrieben. "Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig oder gar nicht", ist seine Lebenseinstellung. Seine Bände mit sechs Jahrzehnten Quedlinburger Fußballgeschichte hat er inzwischen seinem Sohn Uwe vererbt. Der ist ein "echter Biermann" geworden, spielt aber nicht selbst, sondern hat für den QSV auf eine Spielerkarriere verzichtet und sich mit zwölf Jahren als Schiedsrichter ausbilden lassen.

Zwei Söhne und zwei Töchter hat Günter Biermann, der angesichts des zeitintensiven Hobbys vor allem seiner ersten, zu früh verstorbenen Frau Gisela, und seiner heutigen Frau Eva für ihr Verständnis dankbar ist. "Auf seinem Grabstein wird mal stehen - Fußball war sein Leben", meint Eva Biermann. "Ohne Fußball hat es für mich keinen Tag gegeben", räumt Günter Biermann ein. Dabei weiß er eigentlich gar nicht so recht, warum er so geworden ist. "Mein Vater hatte dafür kein Interesse."

Sein schönstes Erlebnis hatte er auch nicht als Spieler, sondern als Zuschauer. "Am Karfreitag 1977 haben wir auswärts in Aschersleben 3:0 gewonnen und sind in die Bezirksliga aufgestiegen." Heute freut er sich auch über kleine Siege oder darüber, dass der Verein vor zwei Jahren die schwere Finanzkrise überstanden hat und viele Spieler einen Beitrag leisteten.