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Ernährung Ernährung: Mehr als bloße Nahrungsaufnahme

15.03.2002, 08:56

Bonn/Hamburg/dpa. - «Ziel sollte es sein, wieder bewusst auf seinen Körper zu hörenund mit Genuss zu essen», erklärt Ernährungsexpertin Birgit Jähnigvom Verbraucherdienst aid in Bonn. Ein tolles Essen sei aus demGenusserleben des Menschen nicht wegzudenken, sagt JoachimWestenhöfer, Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie ander Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. «Vor demEssen kommt nur der Urlaub und dann gibt es verschiedene Dinge wieFlirten, Liebe, Sexualität, die Familie», fasst der Experte eineStudie von 1991 zusammen.

Für Joachim Westenhöfer steht die genussorientierte Qualität vonEssen - wie auch bei der Sexualität - im Dienst der Art- undSelbsterhaltung. Was gut für Leib und Seele ist, wird mit wohligenGefühlen bedacht. Üble Erfahrungen lösen Ekel und Abneigung aus.

Die angeborene Vorliebe für Süßes sicherte während der Evolutiondas Überleben. Sie half, zuckerhaltige Nahrung - etwa reife Früchte -zu finden. Ohne die ebenfalls genetisch bedingte Abneigung gegenBitteres hätten sich die Menschen hingegen auf der Suche nach Nahrungvergiftet. Daher sind Kinder skeptisch, wenn etwas neu und nicht süßist. Und da Gemüse oft Bitterstoffe enthält, zählt es nicht zu denkindlichen Favoriten.

«Essverhalten ist immer als Ergebnis eines individuellenEntscheidungsprozesses anzusehen», erklärt Joachim Westenhöfer. Aberob frisches Obst und Gemüse oder Süßes und eine Tiefkühlpizza imEinkaufskorb landen, werde nicht nur von Verstand und Magengesteuert. «Unsere Vorlieben sind von Kindheit an mit Liebe und Hass,mit der Kultur, in der wir leben, unserem sozialen Umfeld und dereigenen spezifischen Persönlichkeit verwoben», sagt Paul Rozin,Ernährungspsychologe an der Universität von Pennsylvania inPhiladelphia.

Orientieren sich Kinder anfangs noch am Essverhalten der Eltern,ändert sich dies später. Sobald etwa die Clique des Jugendlichen zumGlimmstängel greift, Bier zischt und Döner «cool» findet, ist Gemüsevöllig «out». Denn die Wahl der Lebensmittel dient nicht selten dersozialen Identifikation. Auch Hummer oder Austern werden oftmalsnicht um ihrer Selbst willen gegessen, sondern sind Prestigeobjekte.Doch es wird nicht nur aus Lust, sondern immer mehr auch aus Frustund Langeweile gegessen. Was angenehme Gefühle verstärken kann, solldann auch das seelische Gleichgewicht wieder einpendeln.

Vielen ist der Spaß am Essen allerdings vergangen: Jede Mahlzeitverursacht Stress und ein schlechtes Gewissen. «Mehr als die Hälftealler Erwachsenen und Jugendlichen, insbesondere Frauen und Mädchen,sind mit ihrem Gewicht, ihrer Figur und ihrem Essverhaltenunzufrieden», erklärt Ingrid Brüggemann vom aid. Da werden verbissenKalorien gezählt und Leckereien verboten. Rigide Kontrolle führe aberlangfristig nicht zum Erfolg - die Psyche lässt sich nichtunterdrücken. Der nächste Fressanfall ist vorprogrammiert.

Flexibel sein, auf den eigenen Körper hören und mit allen fünfSinnen essen, empfiehlt Gesundheitswissenschaftler Christof Wiesneraus Berlin. Beim Genuss für Augen, Nase, Zunge, Ohren und Finger seigrundsätzlich nichts verboten - aber alles nur in Maßen erlaubt.