Eiskunstlauf Eiskunstlauf: Grimma statt der Glitzerwelt

Grimma/dpa. - Peggy Schwarz platzt bei scheußlichstem Regenwettermit einem strahlenden Lächeln ins Café am Markt, und schon sieht der Alltag in der Provinz gar nicht mehr so grau aus. «Wer geht schon nach Grimma - außer ich?», fragt die blonde junge Frau spöttisch. Ein reichliches Jahr ist es her, dass die frühere Weltklasse-Paarläuferin in der sächsischen Kreisstadt einen Neuanfang gewagt hat. Mit einerABM-Stelle als Eiskunstlauf-Trainerin für 37 Eissternchen. Fort von Berlin, raus aus der Glitzerwelt, durch die sie noch bis vergangenes Jahr tanzte. Für einen Job in einer Stadt, die nicht gerade als Eiskunstlauf-Hochburg gilt. «Noch nicht», sagt Peggy Schwarz, lacht und schwärmt von den kleinen Erfolgen ihrer Erstklässler.
Die Berlinerin, immerhin vier Mal bei Olympischen Winterspielendabei und mit WM- und EM-Bronze dekoriert, ist drahtig wie eh und je, vor kurzem 30 Jahre alt geworden und allein erziehende Mutter eines sechsjährigen Sohnes. Die Energie, die sie versprüht, steckt an. «Ein paar lächeln manchmal schon zurück. Aber es gibt auch viele grimmigeLeute in Grimma.» Peggy Schwarz weiß, dass manchem die Sorgen schier über den Kopf wachsen. Aber was sind echte Sorgen im Vergleich zu dem, was sie in ihrem Leben durchgemacht hat?
Trauriger Höhepunkt war jener Tag vor fünf Jahren, als Peggy vom17. Stock eines Berliner Hochhauses in den Tod springen wollte. «Daswar ein Jahr nach der Geburt meines Sohnes. Ich hatte Depressionenund fühlte mich der Verantwortung nicht gewachsen. Überall um michherum sah ich glückliche Familien, aber ich selbst hatte keine»,erzählt sie. Im letzten Moment dachte sie an Michel. «Ich habe dannselbst Hilfe gesucht, mich sogar in die Psychiatrie einweisenlassen.» Ihr Problem war nicht das Kind, sondern die eigene, nichtbewältigte Kindheit.
Peggy Schwarz lebte viele Jahre bei den Großeltern. Ihren Vatersah sie nur einmal, zu ihrer Mutter hat sie bis heute kein Verhältnisaufbauen können. «Ich bin schon mit vier Jahren in den Sportgeflüchtet. Da war ich gut und anerkannt. Aber das Gefühl, als Kindgeliebt zu werden, habe ich immer vermisst.»
Sie wollte es besser machen, verliebte sich in den Fußballer HeikoBrestrich und brachte 1995 ihren Michel zur Welt, den sie nun alleingroß zieht - allen Problemen zum Trotz. Vier Jahre hat sie dieDoppelbelastung als Mutter und Sportlerin gemeistert. Doch weil sieihre Ausbildung zur Erzieherin abgebrochen hatte, stand sie nach demabrupten Ende ihrer Karriere ohne Job da. «Ich wäre sogar Fensterputzen gegangen, nur um Geld zu verdienen», sagt Peggy Schwarz. EinFax aus Grimma hat das verhindert. «Das Eis in der Fabrikhalle warmies, die Kabinen und das Geld eigentlich auch. Aber ich hatteendlich einen Job.» Den sie wegen chronischer Hüftprobleme strenggenommen gar nicht machen dürfte.
Das Ende der Karriere war nur das i-Tüpfelchen auf dieKatastrophen im Leben der Peggy Schwarz. Wieder einmal hatte sie einbesseres Ergebnis bei Europa- und Weltmeisterschaften verpatzt, weilsie beim Doppelaxel gestrauchelt war. «Ich kann den im Schlaf, nur imWettkampf eben nicht», rätselt sie noch heute, was ihr Dauerproblemauf dem Eis war. Irgendwann erfuhr sie aus der Zeitung, dass sichMirko Müller nach einer anderen Partnerin umsieht. «Alle haben esgewusst, nur ich nicht. Ich fühlte mich ziemlich unfair behandelt.»Den Kontakt zu ihrem «Ex» hat sie trotz des Rauswurfs nichtabgebrochen. «Ich rufe ab und zu mal an und will wissen, wie es ihmgeht. Mirko ist inzwischen ja auch Papa geworden.»
Einen guten Draht hat sie nach wie vor auch zum Berliner TrainerKnut Schubert. Und wie eine Wahnsinnige freut sie sich jedes Mal,wenn sie hin und wieder eine Einladung für einen Auftritt in einerEisshow bekommt. «Für das Paarlaufen würde ich immer noch allesgeben», sagt Peggy Schwarz und ertappt sich einmal mehr beim Träumenvon der Glitzerwelt, die nicht mehr ist. «Ich vermisse das so sehr.»