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Dreharbeiten Dreharbeiten: Eine Schweizer-Samburu-Romanze

Von Ulrike Koltermann 08.09.2005, 07:39
Mitglieder der deutschen Filmcrew und kenianische Statisten drehen in Ngelai in Kenia eine Szene des Films «Die Weiße Massai». (Foto: dpa)
Mitglieder der deutschen Filmcrew und kenianische Statisten drehen in Ngelai in Kenia eine Szene des Films «Die Weiße Massai». (Foto: dpa) Constantin

Ngelai/dpa. - So muss sich Hemingway auf Safari gefühlt haben.

Doch in den khakifarbenen Zelten wohnten im vergangenen Jahr weder Großwildjäger noch Safaritouristen. Das Buschcamp im Samburuland im wilden Norden Kenias war eine Weile lang Unterkunft für Schauspieler, Kameraleute, Maskenbildner und alle, die im Abspann des Films «Die Weiße Massai» aufgezählt werden. Knapp 100 Menschen wurden hier weitab jeder Siedlung und Wasserstelle etwa sechs Wochen lang verpflegt. Sie drehten in der Nähe des Originalschauplatzes die Geschichte der «Weißen Massai», die nun in deutschen Kinos zu sehen ist.

Das Buch über die leidenschaftliche Liebe einer jungen Schweizerin zu einem Samburu-Krieger, der weder lesen noch schreiben kann, hat in Deutschland Millionen Frauen fasziniert. Nach dem Oscar-Erfolg «Nirgendwo in Afrika» ist es die zweite große deutsche Produktion in Kenia. Produzent war Altmeister Günther Rohrbach, Präsident der Deutschen Filmakademie. Regie führte Regine Huntgeburth, die zuvor mit dem Kinderfilm «Bibi Blocksberg» Erfolg hatte.

«Ruhe bitte! Wir wollen drehen!» Der Ruf hallt in kurzen Abständen über den Drehort, erst auf Englisch, dann auf Kisuaheli für die kenianischen Mitarbeiter und dann auf Maa, der Sprache der Samburus, die als Statisten mitwirken. Und dann hören auch die alten Frauen auf zu plappern, die mit kahl geschorenen Köpfen und pfundschweren Perlenschmuck um den Hals im Schatten einer Akazie sitzen. «Ton ab!» - «Ton läuft!» - «Action!». Ein schlaksiger Blonder mit Sonnenhut lässt die Klappe vor der Kamera zusammenknallen. «Die Weiße Massai121, die Vierte!».

Mit Liebe zum Detail haben die Bühnenbildner einen afrikanischenDorfladen aufgebaut. Das Lager ist mit Maschendraht abgetrennt, der vollgehängt ist mit kleinen Waschpulvertüten, Teepackungen, bunten Perlenschnüren, Sisalseilen und Plastikkämmen. Auf den Regalen findet sich die Grundausstattung eines Samburu-Haushalts: Aluminiumtöpfe, kratzige Wolldecken, Speiseöl und Insektenspray.

Lemalian, der junge Samburu-Krieger, steht an der Ladentheke undspielt versonnen mit den metallenen Gewichten der Waage. Er scheint das Prinzip nicht ganz durchschaut zu haben. Carola, seine blonde Frau, räumt die letzten Waren ins Regal, bevor der Laden eröffnet werden soll. Da tritt der korpulente Dorfchef ein und schiebt einen Jungen vor sich her. «Carola!», sagt er barsch. «Das ist mein Neffe. Er wird für dich arbeiten, und du wirst ihn dafür bezahlen.» Der Ton verrät, dass er nicht mit Widerspruch rechnet.

Carola versucht es dennoch. «Ich brauche ihn nicht», erwidert sie und schaut ihn aus ihren hellen Augen offen ins Gesicht. Der Mann legt mit Nachdruck seine Kladde auf die Ladentheke. «Ich denke doch. Denn ohne meine Lizenz kannst Du den Laden nicht öffnen», sagt er. Der Junge guckt verschüchtert. Als Carola ein leises «okay» murmelt, packt der Dorfchef ihn am Nacken und schickt ihn in das Warenlager.«Schnitt!», ruft jemand im Hintergrund.

Lemalian verliert seinen einfältigen Gesichtsausdruck und grinstüber das ganze Gesicht. In der Umbaupause haben die Maskenbildner ihren Auftritt. Die ockergefärbten langen Zöpfe des Kriegers müssen geordnet werden. Sein Oberkörper wird mit Öl eingerieben, damit er schön glänzt. Die junge Frau in Rock und Trägerhemd bekommt die Haare leicht toupiert, damit sie verwuschelter aussieht. Die Regisseurin kommt dazu, scherzt mit den Hauptdarstellern und bespricht den Ablauf der nächsten Szene.

Allmählich wird es heiß in dem kleinen Laden mit demWellblechdach. Durch die Fenster dringt das Licht riesigerScheinwerfer, abgemildert durch weiße Schirme. Draußen knallt die afrikanische Mittagssonne. Die Schauspieler sind schon seit sechs Uhr morgens im Einsatz. Allein die Maske des Samburu-Kriegers braucht zwei Stunden.

Lemalian trägt ein rotes Lendentuch und Sandalen aus altenAutoreifen. Über den nackten Oberkörper hat er kreuzweise dünnePerlenschnüre gebunden. Um den Hals trägt er ein perlenbesticktes Band, das mit einem großen Perlmuttknopf verziert ist. Seine Ohrläppchen sind mit elfenbeinfarbenen Ringen geweitet, so groß wie Serviettenringe. «Prima Arbeit», sagt er und lacht. «Genial, was man mit Silikon alles machen kann.»

Spätestens sobald er den Mund aufmacht, wird klar, dass er keineinheimischer Samburu ist. Jacky Ido spricht ausgezeichnetes Englisch mit leicht französischem Akzent. Seine Eltern stammen aus dem westafrikanischen Burkina Faso, er selbst ist in Paris aufgewachsen. «Es war nicht einfach, einen Darsteller für diese Rolle zu finden», sagt der Produzent Rohrbach. «Wir haben etwa 150 Samburu gecastet. Aber einer von hier wäre überfordert gewesen, beispielsweise bei den Liebesszenen», meint er. «Dafür sind die kulturellen Unterschiede zu groß.»

Für den 76-Jährigen (23.10. 1928), der Dutzende von Filmenproduziert und viele Auszeichnungen bekommen hat, war es das erste Projekt in Afrika. «Ich bin stolz, dass wir eine Kultur zeigen, die es in zehn, zwanzig Jahren vielleicht nicht mehr gibt», sagt er. Mit Schirmkappe und dunkler Brille gegen die Äquatorsonne geschützt, sitzt er auf einem Safaristuhl im Schatten und schaut in die weite Landschaft. Soweit das Auge reicht sind keine Siedlungen zu erkennen, allenfalls hier und da ein Hirtenjunge mit rotem Hüfttuch, der seine Rinder oder Ziegen hütet.

«Wir wollten es so authentisch wie möglich machen, deshalb drehen wir auch im Samburuland und nicht in Südafrika, wo vieles leichter gewesen wäre», sagt Rohrbach. Von den schauspielerischen Fähigkeiten der Samburus ist er begeistert. «Sie spielen mit einer großen Natürlichkeit und haben viel Geduld, wenn die Szenen oft wiederholt werden müssen», sagt er. Dabei wüssten die wenigsten, was überhauptein Film ist, denn in vielen Dörfern gibt es weder Strom nochFernseher.

Die Samburu gehören zu den letzten Stämmen Kenias, die nochtraditionell leben. Sie leben von ihren Herden und ziehen mit ihnen dorthin, wo die Tiere Futter finden. Sie ernähren sich vor allem von Milch und Fleisch. Als Delikatesse gilt es, das Blut direkt aus der Halsschlagader eines soeben getöteten Tieres zu trinken. Die niedrigen Hütten werden aus Stöcken und Kuhmist gebaut.

Die Gesellschaft ist streng hierarchisch: Nach ihrer Beschneidung werden die Jungen zu Kriegern, die dann einige Jahre unverheiratet bleiben. Sie dürfen aber Geliebte haben, die sie mit Perlenketten beschenken. Junge Mädchen werden vor der Heirat beschnitten, was im Unterschied zur Jungen-Beschneidung oft bleibende gesundheitliche Schäden zur Folge hat. Vielehen sind üblich. Wegen mangelnder gesundheitlicher Versorgung breiten sich Krankheiten schnell aus. Malaria endet häufig tödlich, weil es keine Medikamente gibt.

Dies ist die Welt, für die die Schweizerin Corinne Hofmann Endeder 80er Jahre ihre Existenz in der Schweiz aufgibt. Bei einemStrandurlaub in Mombasa verliebt sich die damals 27-Jährige Hals über Kopf in Lketinga, einen Samburu-Krieger, mit dem sie sich kaum unterhalten kann, weil beide nur wenig Englisch sprechen. Lketinga ist wie viele junge Männer an die Küste gereist, um mit Tanzaufführungen in den Hotels Geld zu verdienen. Bei den Touristen sind die Krieger mit den roten Tüchern als Massai bekannt, auch wenn manche von ihnen anderen Stämmen angehören.

«Es ist eine wahnsinnige Geschichte, die hätte man so gar nichterfinden können», sagt Rohrbach. «Wenn man die Lebensumstände hier erst gesehen hat, wird noch deutlicher, mit welchem Mut und welcher Besessenheit sie dem Mann gefolgt ist.» Mit Unterbrechungen habe sie es immerhin vier Jahre ausgehalten.

Corinne Hofmann reist Lketinga von der Küste in den Samburu-Distrikt nach, in überfüllten Kleinbussen, die stundenlang überBuckelpisten holpern. «Ihr Massai», wie sie ihn gerne nennt, lässt sich eher zögerlich auf die Beziehung ein. Doch die junge Frau ist ebenso unbedarft wie entschlossen. Von ihrem Ersparten kauft sie einen Geländewagen und gründet dann einen Krämerladen. Dass sie damit den Stolz ihres Mannes verletzt und die Konventionen der Samburu über den Haufen wirft, scheint ihr nicht bewusst zu sein.

Die Geschichte endet, wie exotische Beziehungen häufig enden: Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter treten die kulturellenUnterschiede immer deutlicher hervor. Lketinga entwickelt einekrankhafte Eifersucht und beginnt zu trinken, seine an SchweizerVerhältnisse gewohnte Frau leidet an Malaria, Hepatitis, schwindenden Ersparnissen und wachsenden Kommunikationsschwierigkeiten. Unter dem Vorwand eines Heimaturlaubs verlässt sie Kenia mit der Tochter undkommt nicht wieder zurück.

Das Buch «Die Weiße Massai» liest sich wie eine Rechtfertigungihrer Flucht. Kritiker haben der Autorin vorgeworfen, dass sie sich allzu naiv auf ein scheinbar wildromantisches Leben eingelassen habe, um dann bei ihrer Flucht einen Scherbenhaufen zurückzulassen. «Der Film soll beide Seiten zeigen», sagt Rohrbach, «er soll auch deutlich machen, dass Lketinga seine eigene Würde hat».

Die Umbaupause ist beendet, der Produzent wendet sich wieder denDreharbeiten zu. In dem kleinen Laden steht Carola nun allein hinter der Verkaufstheke. Es ist der erste Geschäftstag. Als Lemalian die Tür öffnet, stürmt das halbe Dorf hinein: Krieger mit ockergefärbten Haaren, kichernde Mädchen mit Säuglingen im Tragetuch, alte Männer mit Stöcken in der Hand. Die junge Frau strahlt über den Andrang und beginnt, ihre Kunden zu bedienen.

Carola wird von der Erfolgsschauspielerin Nina Hoss gespielt. Zur Vorbereitung auf ihre Rolle hat sie eine Weile mit den Samburus zusammengelebt. «Die Menschen hier sind sehr warmherzig und haben Humor. Man kann sich gut bei ihnen aufgehoben fühlen», meint sie. «Ich kann die Faszination nachvollziehen, die das Land und die Menschen auf Corinne Hofmann ausgeübt haben», sagt sie. «Aber ich frage mich immer noch: Wie hat sie das so lange durchgehalten?»

Die Dreharbeiten in der staubigen Hitze waren für alle Beteiligten anstrengend. Nina Hoss musste zwischendurch mehrfach nach Berlin fliegen, um dort als Emilia Galotti auf der Bühne zu stehen. Doch jedes Mal, wenn sie in den Busch zurückkam, ließ der Stress nach. «Diese weite Landschaft macht mich ruhig», sagt sie. «Und was gibt es Schöneres, als unter dem Sternenhimmel zu duschen?»