Denksport Denksport: Faszination auf 64 Feldern
Halle/MZ. - Über einen dunklen Weg geht es zwischen Haus und Garage zur Eingangstür, wo der 50-Jährige freundlich in die Wohnstube bittet. An einem großen Tisch haben sich die Mitglieder der Familie versammelt. Neben Konrad Reiß und seiner Frau Katharina sitzen auch die
Töchter Viktoria, Josephine, Rebekka und Stephanie. Eines eint diese Familie - nicht nur an diesem Tisch - sondern in jeder Lebenslage. Es ist die Begeisterung für eines der ältesten Brettspiele der Welt - Schach. Das Spiel der Könige beziehe seine Faszination vor allem aus seiner Zeitlosigkeit, erklärt Konrad Reiß seine Passion. "Schach ist eine Synthese aus Spiel, Wissenschaft und Kunst", erzählt der 50-Jährige begeistert.
Selbst der Nachwuchs der Familie teilt diese Faszination für das Spiel mit den 32 Figuren. Wenn auch drei der sechs Töchter mittlerweile ihre eigenen Wege gehen, spielen dennoch alle im Verein der SG 1871 Löberitz. Die angehende Grundschulpädagogin Stephanie Reiß studiert seit drei Jahren in Halle. Trotz der Prüfungsvorbereitungen für ihr Staatsexamen findet die 22-Jährige die Zeit, an jedem Wochenende nach Hause zu fahren. Auch Rebekka Reiß, die in Leipzig studiert und sich gegenwärtig auf ihre Zwischenprüfungen vorbereitet, versäumt kein Wochenende mit Schach. Im Jahr 2004 feierte die 21-Jährige ihren bisher größten Erfolg. Sie wurde zusammen mit der Mannschaft aus Sachsen-Anhalt deutsche Meisterin.
Konstanze Reiß fehlt dagegen heute am Tisch. Sie befindet sich zur Zeit in Chicago, wo die Abiturientin für ein Jahr als Au-Pair arbeitet. Die 16-jährige Josephine und die 14-jährige Viktoria Reiß sind ebenfalls dem Spiel der Könige verfallen. Vor wenigen Wochen errang Josephine den Titel der Landesmeisterin in der Altersklasse U 16. "Unsere Töchter haben das Schachspiel schon mit der Muttermilch aufgenommen", erklärt Mutter Katharina Reiß, die ebenfalls gelegentlich Schach spielt, schmunzelnd. Konrad Reiß besteht aber darauf, dass es nicht der väterliche Druck gewesen sei, der die Töchter einst zum Schach führte.
Der 50-Jährige ist ein gemütlicher Mann. Mit verschränkten Armen sitzt der bei der Stadtverwaltung Zörbig Angestellte zurückgelehnt auf seinem Stuhl und hört aufmerksam zu. Im Hintergrund der Wohn
stube hängen sechs Gemälde, die sich alle dem Thema Schach widmen. Ein aufgestelltes Schachspiel steht in einer Ecke des Raumes. Stolz zeigt Reiß auf eines der ersten gusseisernen Schachbretter aus dem 18. Jahrhundert aus seiner privaten Sammlung . Der gelernte Werkzeugmacher leitet seit 1978 die Schachgemeinschaft der SG 1871 Löberitz. Eine Aufgabe, die seine ganze Kraft bündelt. Gleichsam eine Aufgabe, bei der er sich seiner Leidenschaft für das geliebte Spiel mit den 64 Feldern hingeben kann. Konrad Reiß hat seine Freizeit dem Schachspiel gewidmet. Die Leidenschaft dazu hat er von seinem Vater geerbt.
Doch Reiß ist nicht nur Spieler und Präsident des Löberitzer Schachclubs - der 50-Jährige erweist sich auch als Mäzen. Um eine Ausstellung über die Geschichte des Schachs auf die Beine zu stellen, will er dem Löberitzer Verein schon bald seine umfangreiche Privatsammlung zum Thema Schach stiften.
"Das Schöne am Schach sind auch die vielen Freundschaften, die man bei den Spielen und Reisen knüpft", schaltet sich Rebekka Reiß wieder ein. "Mittlerweile hat sich durch die Reisen zu den Austragungsorten ein Freundeskreis aufgebaut, der immer fester und stetig größer wird", berichtet Konrad Reiß. Bis nach Lettland hätten sie ihre Reisen zu Freunden schon geführt, bringt Rebekka die Reiselust der Familie zum Ausdruck.
In einer Situation aber finden Könige und Damen überhaupt keine Beachtung mehr, da sind sich Töchter und Mutter vollends einig: Nämlich genau in dem Moment, wenn Jan-Josef Liefers im Fernsehen zu sehen ist. Dann bleibt selbst dem Familienoberhaupt Konrad Reiß nichts anders übrig, als als sich still und leise in den Hintergrund zu verkrümeln.