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Christian der 13. setzt auf Tradition

Von Sabine Wesner 15.01.2006, 16:24

Gräfenhainichen/MZ. - "Genau am 15. Januar 1991 haben wir als private Fleischerei unser Geschäft eröffnet", erinnert sich Christian Ziemer. Dabei liegt die eigentliche Gründung des Ziemer'schen Geschäftes am Gräfenhainichener Markt viel, viel länger zurück. "Im Jahr 1692 hat mein Vorfahr hier in diesem Haus die Fleischerei gegründet. Seit nunmehr zwölf Generationen wird das Geschäft immer an die Söhne weitergegeben. Und immer war es ein Christian, der hier die Geschäfte führte und seit über 300 Jahren die Bevölkerung des Ortes mit Fleisch- und Wurstwaren versorgte", erzählt der Chef.

Nicht ohne Stolz verweist er auf die ungewöhnliche Familientradition, die wohl eine der ältesten, wenn nicht gar die älteste im Land Sachsen-Anhalt ist. "Historische Urkunden und Dokumente, Gesellen- und Meisterbriefe fast aller Fleischer-Vorfahren belegen das", erklärt der zwölfte Christian Ziemer, der besonders stolz auf ein handgeschriebenes Innungsbuch aus dem Jahre 1704 ist, das Aufschluss über das damalige Fleischerhandwerk in Gräfenhainichen gibt.

Dass hier immer ein Ziemer das Sagen hatte, daran hat auch die DDR-Ära nichts ändern können. Damals hatte der heute 58-Jährige allerdings nur als Betriebsleiter in der Fleischerei das Sagen, die eigentlich ihm gehörte. Von 1978 bis 1990 war Ziemer Nummer zwölf in diesem Job. Die Fleischerei, Teil des Fleischkombinates Halle, die zum Schluss nur noch der Notschlachtung diente, gehörte ihm bald nicht mehr.

"Weil wir uns ein Eigenheim errichten wollten, mussten wir das alte Haus an die Stadt verkaufen. Denn wir durften nicht gleichzeitig zwei Häuser besitzen", erinnert sich der Meister an den unfreiwilligen und wenig ertragreichen Verkauf. Schließlich hingen viele Erinnerungen an dem Gemäuer, das älter als das Rathaus ist und einen zugemauerten unterirdischen Gang zum einstigen Schloss besitzen soll.

Jetzt sind die Ziemers wieder Eigentümer ihres Familien-Domizils. Sie konnten es von der Treuhand erwerben. "Eine Rückübertragung gab es nicht, dafür aber wenigstens das Vorkaufsrecht - für den vierfachen Preis", berichtet Ziemer. Mit der privaten Wiedereröffnung kam auch Ehefrau Susanne ins Geschäft. "Wir haben recht blauäugig angefangen. Es war ein Sprung ins kalte Wasser", erinnert sich die gelernte Kindergärtnerin, die bis damals die Kindereinrichtung am Hain leitete. "Seit 1991 bin ich hier als Mädchen für alles, als Verkäuferin, Zuständige für den Partyservice und die Buchhaltung angestellt", erzählt die 55-Jährige schmunzelnd. "Damals war das für alle eine große Umstellung."

In der Fleischerei musste fast alles umgebaut und modernisiert werden. Neue Maschinen, ein Kühlhaus und der Ausbau des Verkaufsraumes. "Wenn ich damals gewusst hätte, was da alles auf uns zukommt . . .", grübelt der Chef, der den Schritt aus heutiger Sicht aber nicht bereut. "Vielleicht wäre ich jetzt wie so viele arbeitslos." Und außerdem ist da noch Sohn Christian, der das Geschäft einmal übernehmen soll. 2007 wird der junge Mann, der nach dem Abi jetzt zeitgleich seine Lehre und die theoretische Vorbereitung auf die Meisterprüfung absolviert, seine Ausbildung abgeschlossen haben. "Und ich hoffe, dass dann mein Sohn alles übernimmt", ist der Meister froh, dass die Familientradition fortgeführt wird.

Heute stehen hier insgesamt 18 Beschäftigte in Lohn und Brot. "Bis zu 2 000 Kilo Fleisch, das wir täglich aus dem Schlachthof Torgau bekommen, werden hier in der Woche verarbeitet", erzählt der Chef, der seit drei Jahren Jäger ist. "Und deshalb können wir nun hier auch frisches Wild anbieten", erklärt der Meister. Neben dem Geschäft in Gräfenhainichen, verkaufen die Ziemers ihre Produkte auch in der Oranienbaumer Schloßstraße und in einem Verkaufswagen in Zschornewitz. "Außerdem haben wir noch zwei mobile Verkaufswagen, mit denen wir seit 1992 die Leute auf den Dörfern bis rein nach Brandenburg und Sachsen versorgen", erzählt Susanne Ziemer. "Und als neuesten Service übernehmen wir auch den Versand von Wurst- und Fleischwaren nach ganz Deutschland", berichtet die Geschäftsfrau von vielen ehemaligen Gräfenhainichenern, die auch in der Fremde immer mal gern ein Stück Wurst aus der Heimat essen möchten.

Wenn Christian Nummer 13 in die Fußstapfen seiner Vorfahren tritt, wird es sicher auch noch einen weiteren Service geben. "Der Junge ist sehr kreativ und ein Feinschmecker", erzählt Frau Ziemer. "Und deshalb frotzelt sie auch immer, dass wohl eher ein Feinkostfleischer werde", lacht der 22-Jährige, der die Familientradition der Ziemers als 13. fortsetzen wird.