Champions League Champions League: Totale Vereinnahmung bei Real Madrid
Madrid/mz. - Noch immer heißt es hartnäckig, bei Madrid handele es sich um das größte Dorf Spaniens. Tatsächlich kommen die meisten der rund 3,3 Millionen Einwohner vom Land. Alteingesessene Familien gibt es nur wenige, die meisten Bewohner sind Zugezogene oder Kinder von Zugezogenen. Vielleicht gilt die Hauptstadt deshalb als aufgeschlossen gegenüber Fremden. Und ganz gut zeigt sich das an der großen Bronzeplastik auf der Puerta del Sol: Der Bär am Erdbeerbaum gibt das Symbol und Stadtwappen Madrids, und hier lassen sich immer noch gerne Einheimische und Fremde fotografieren. Zugleich gilt das in den 60er Jahren geschaffene Werk als idealer Treffpunkt.
Für Sami Khedira und Mesut Özil wäre es keine gute Idee, sich hier zusammenzufinden. Wer Fußball-Profi bei Real Madrid ist, meidet tunlichst solche Plätze, wo der Menschenauflauf kaum zu beherrschen wäre. "Die Fans sind unglaublich und die Paparazzi noch krasser als in Deutschland", hat Özil früh festgestellt. "Essen gehen, ohne fotografiert zu werden, geht hier nicht."
Die deutschen Nationalspieler haben sich angewöhnt, im Privatleben neben Baseballkappen auch große Sonnenbrillen zu tragen - ein Versuch, um der Vereinnahmung zu entgehen, die bei kaum einem Klub größer ist als bei den Galaktischen.
Am Montag hat Real auf seine Homepage ein Interview mit Khedira gestellt, in dem dieser über seinen Zwiespalt vor dem Champions-League-Heimspiel im Santiago Bernabeu am Dienstag gegen Borussia Dortmund gesprochen hat. Die Königlichen haben den ersten Platz in ihrer Königsklassen-Gruppe D ja wegen des 1:2 in Dortmund an den deutschen Meister verloren. "Real und ein anderes Team werden in die nächste Runde gehen", tönt Khedira nun trotzig, um immerhin auch den BVB zu erwähnen: "Wenn es Dortmund sein wird, dann ist das auch für mich eine große Sache." Schließlich schätze er doch die Kollegen aus der Nationalmannschaft.
Die gespaltenen Gefühle kommen ihm deshalb bekannt vor, weil er schon vor zehn Jahren beim Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen angeblich nicht wusste, zu wem er halten sollte. "Ich war einerseits für die Deutschen, andererseits war ich Fan von Madrid, und Zinedine Zidane war damals mein Idol." Beim Siegtor des Franzosen habe er damals mit staunendem Mund vor dem Fernseher gesessen.
Der 25-Jährige, der wegen einer Muskelverletzung im Oberschenkel am Dienstag wohl nicht mitwirken kann, muss vermutlich so etwas sagen. So richtig rund läuft es für Khedira und Kollegen nicht. In der Primera Division ist Barcelona acht Punkte, Lokalrivale Atletico noch fünf Zähler voraus. Khedira hat verletzungsbedingt nur fünf der zehn Ligaspiele gemacht.
Tore und Torvorlagen sind nicht gelistet, aber das hat seinen Trainer Jose Mourinho noch nie gestört. Khedira und dessen Nebenmann Xabi Alonso bezeichnet der Portugiese als Schlüsselspieler im defensiven Mittelfeld, wo der gebürtige Stuttgarter meist die Bälle erobert, die der Spanier dann weit verteilt. Dafür interpretiert Khedira seine Rolle weit defensiver als im Nationalteam unter Joachim Löw.
Khediras Vertreter gegen Dortmund dürfte der filigrane Luka Modric sein. Dabei ist die kroatische Kreativkraft eigentlich in diesem Sommer aus England gelockt worden, um Mesut Özil im offensiven Mittelfeld ein bisschen Beine zu machen.
Wo der Lehrmeister Mourinho bei Sami Khedira gerne fördert, fordert der Zuchtmeister Mourinho bei Özil lieber. Einmal hat er bewusst öffentlich artikuliert, der 24-Jährige würde sich zu halbherzig einsetzen. Auch deshalb war Modric gekommen, der trotz ebenso schmächtiger Statur mehr Behauptungswillen mitbringt. Doch Özil gilt als der elegantere und bessere Taktgeber, wenn er denn sein Potenzial beharrlich abruft.
Bislang sind ihm in zwölf Einsätzen - neun in der Liga, drei in der Champions League - nur zwei Torvorlagen geglückt. Ihm fehlen derzeit die dominierenden Auftritte, und doch darf der gebürtige Gelsenkirchener wie vor zwei Wochen in Dortmund erneut als klassischer Zehner agieren, flankiert von Angel di Maria und Cristiano Ronaldo.
Dass es eine ewige Gratwanderung bedeutet, die königlichen Gewänder zu tragen, wissen die mittlerweile gut befreundeten Deutschen. "Ich bin im dritten Jahr da und kenne die Medien", erklärt Özil, man müsse mit dem rauen Ton umgehen. Khedira empfiehlt, einfach keine Zeitung zu lesen. Mitunter eine gute Lösung. Über Kollege Özil lästerte "El Mundo" wegen seiner Teilnahmslosigkeit beim 4:0-Pflichtsieg gegen Saragossa nämlich gerade: "Özil ist der Mitternachts-Express, der furchtbare Spiele macht, wenn der Vollmond scheint."