Blumengöttin Flora Blumengöttin Flora: Rückkehr eines alten Mädchens
Quedlinburg/MZ. - "Jetzt könnte ichheulen." Mühsam nur bewahrt Rautendelein Rieneckerdie Fassung. Für die 73-jährige Quedlinburgerinist es wohl, als ob ein Kind nach langer Abwesenheitzurück kehrt. Flora heißt die junge Dame.Wobei - jung ist sie - im übertragenen - Sinnenun nicht mehr. 100 Lenze zählt das Mädchen,das sich für ihr Alter aber in ausgezeichneterVerfassung präsentiert. Makellos bronzefarbendie Haut und straff der Busen. Eine Göttin.
Allerdings: Flora ist mit zwei Meter Körpergrößeetwas in die Höhe geschossen und mit vierZentner Leibesgewicht nicht gerade ein zartesPflänzchen. Drum müssen Frank Herweg und seinKollege Wolfgang Allerholt auch dicke Riemenum die Hüften legen und der Kran, den dieFirma Gärtner und Schäfer kostenlos zur Verfügunggestellt hat, muss die Dame auf den Sockelheben.
Donnerstag Morgen, 9.45 Uhr, hat Quedlinburgein seit 57 Jahren für immer verloren geglaubtesWahrzeichen zurück: Die Blumengöttin Florasteht wieder auf dem Rondell auf dem Bahnhofvorplatz.Nicht das Original, sondern ein Duplikat,das im Winter dieses Jahres in der Kunst-und Bronzegießerei von Frank Herweg das Lichtder Welt quasi zum zweiten Mal erblickte.Bis dahin war es ein weiter Weg. 1998 hatteder Quedlinburger Mittelalterverein Burgvolkzum ersten Mal auf die 1944 zu Kriegszweckeneingeschmolzene Göttin aufmerksam gemachtund ihre Wiederbeschaffung angeregt. 40000Mark waren dafür veranschlagt worden - amEnde wurde es doppelt so teuer. InklusiveSockel und Hinweistafel. Ein Spendenmarathonwar notwendig. Rautendelein Rienecker gingsammeln und verkaufte Postkarten mit altenBildern der Flora.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Esbräuchte keines Duplikates, erklärte der QuedlinburgerKünstler Wolfgang Dreysse, ein neuer Flora-Entwurfverstaube seit zwölf Jahren in seinem Atelier.Allerdings: Die Neue hatte nichts mehr vonder Jungfräulichkeit ihrer Schwester, warderen angenehmen Proportionen beraubt undglich eher einer Vielgebärenden. Auf Stöckelschuhen!Der inzwischen beachtlich angewachsene Flora-Revival-Fanklubstöhnte auf - und lehnte ab. Nun war es anHerweg und seinen Mitarbeitern, aus einemalten Foto die Ur-Flora wieder zu modellieren."Das hat mich gereizt", gesteht der 42-jährigeBerliner, "und die Tatsache, dass die ersteFlora von der renommiertesten Gießerei Deutschlandsgeschaffen wurde." 1901 war die Nummer einsbei Gladenbeck in Bronze gegossen worden,für eine der bekanntesten Firmen weltweiteher ein Zubrot. Gladenbeck goss lieber richtiggroß - die Victoria auf der Berliner Siegessäulebeispielsweise, etwas respektlos von den BerlinernGoldelse getauft.
Im Dezember vergangenen Jahres dann wurdedas erste kleine Tonmodell des Replikats hergestellt,bevor ein Modell im Maßstab 1:1 erfolgte,mit dem dann ein Gipspositiv für die eigentlichenGussformen geschaffen wurde. "Die Flora wurdein Einzelteilen gegossen, um das Risiko zuminimieren, dass beim Guss etwas nicht vollständigausgeformt wird", erläuterte Herweg gesternMorgen nach getaner Arbeit. Die Einzelteile"aus meiner Leib- und Magen-Bronze nach Geheimrezept"(Herweg) wurden dann verschweißt und die Nähteso geglättet - der Fachmann nennt das "ziselieren"- dass die Figur da steht, wie aus einem Guss.Am Mittwoch dann hat Herweg die Flora in einenTransporter geladen und ist nach Quedlinburggefahren. Noch am gleichen Tag brachte erdas Stadtwappen am Sockel, und die Gedenktafelan der Brücke über die Bode an. Gestern nunwurde eine Stunde vor Plan und nahezu problemlosdie Flora auf den altrosafarbenen Sockel gehoben.
Dann verhüllte Rautendelein Rienecker mitihrem Mann Ernst, der sie allein fünf Malin die Gießerei nach Berlin gefahren hat,noch einmal ihr Mädchen. Für die offizielleEnthüllung.