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Auf Achse Auf Achse: Fernfahrer in Beinahe-Abstinenz

Von Katrin Löwe 23.06.2006, 20:35

Köckern/MZ. - Es ist Freitagnachmittag. Noch einmal Beine hochlegen auf der Autobahn-Raststätte Köckern (Landkreis Bitterfeld), dann naht für Karl-Heinz Raube das freie Wochenende. Eines, an dem er das machen kann, was er dieser Tage viel öfter gern tun würde: Fußball sehen.

Raube ist Fernfahrer. "Da bleibt wenig Zeit für Fußball", sagt der Mann aus Bergen auf der Insel Rügen. Jeden Sonntagabend macht er sich auf den Weg, pendelt bis freitags zwischen Skandinavien und Österreich. Ein Sessellift muss derzeit von Kitzbühel gen Norden geliefert werden. Die Weltmeisterschaft würde fast komplett an Raube vorbeigehen, hätte er nicht vorgesorgt. Ein Griff hinter seine Fahrerkabine offenbart das Rezept: Dort liegt ein kleiner mobiler Flachbildschirm-Fernseher. Nagelneu. "Den habe ich extra für die WM gekauft", sagt der Mann aus dem Norden. Wenn die ohnehin für Lkw-Fahrer vorgeschriebenen Pausen günstig fallen, dann holt er das Gerät aus dem Karton und schaut sich die Spiele an.

Manchmal kriegt Raube auch etwas von der WM-Begeisterung mit. "Die Fähren sind voll, weil viele Skandinavier nach Deutschland kommen", erzählt er. Vergangene Woche war der Fernfahrer in dem Land, dem die Deutschen am Sonnabend im Achtelfinale gegenüber stehen. "In Schweden ist die Euphorie genau so groß wie hier. Die haben auch Flaggen an den Autos und tragen T-Shirts in ihren Nationalfarben." Nicht mehr lange, wenn es nach Raube geht: 2:1 für Deutschland ist sein Tipp für das Spiel am Sonnabend. Zum Finale will Raube seine Pause dann so organisieren, dass er eines sehen kann: "dass Deutschland Weltmeister wird".

Roland Borchert aus Stralsund setzt derweil auf Radio und Telefon. "Er telefoniert viel mit unserem Sohn", sagt Ehefrau Ilona, die ihn gerade auf einer Tour begleitet. Andere Fahrer haben fußballtechnisch mehr Glück. "Ich bin jeden zweiten Tag zu Hause, bisher konnte ich sogar alle deutschen Spiele sehen", sagt Fan Volker Schmidt aus Erfurt. Im Ernstfall, da halten die Trucker ohnehin zusammen. Über Funk werden die neuesten Ergebnisse ausgetauscht. "Und man trifft auf den Parkplätzen immer mal nette Kollegen, die einen Fernseher dabei haben, auf dem man mit schauen kann", erzählt der Thüringer. Wenn das nicht klappt, bleibt immer noch die Suche auf Raststätten. In Köckern lockt im Schnellrestaurant ein großer Bildschirm. "Als die Deutschen gespielt haben, war es hier richtig voll. Die sind alle erst nach dem Spiel weitergefahren", erzählt eine Mitarbeiterin.

Nur einige wollen von Fußball besser nichts mehr hören. "Polska, nach Hause", radebrechen zwei Polen, erregt über das frühe Ausscheiden ihres Teams. Für sie hat sich das Fernfahrer-Fußball-Problem ohnehin erledigt.