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Adolf Buchleiter Adolf Buchleiter: Flüchtiger Blick genügt nicht

Von Brigitte Mittels 04.04.2001, 16:42

Bitterfeld/MZ. - "Ein flüchtiger Blick genügt nicht" - so heißt eine der großformatigen Zeichnungen Adolf Buchleiters, die noch bis 15. April in der Bitterfelder Galerie am Ratswall zu sehen sind. Sein Nachdenken über das Leben offenbart sich hinter Tausenden von feinen, mit einem speziellen Kugelschreiber gezeichneten Linien, die letztendlich Landschaften ergeben. Fiktive, sich auflösende, in meisterlich erzeugten Grauschattierungen ertrinkende. Nein, ein flüchtiger Blick genügt nicht, um Details zu erkennen. Eine Ahnung von dem zu erhaschen, was unter den Schichten von Strichen verborgen ist.

"Noch nie", so Galerist Ralph Becker, "sind die Leute so dicht an das Bild herangetreten." Und noch nie sei so oft die Frage gestellt worden: Wie muss man sich einen Menschen vorstellen, der so intensiv, so besessen wirkend, auf riesigen Flächen zeichnet? Doch - auch hier genügt nicht ein flüchtiger Blick. Denn seine Kollegen aus der Zeit, als Buchleiter noch Professor für Gestaltungslehre an der Universität Kassel war, kannten zumeist nur seine Plastiken. Filigrane, fast verspielte und doch technisch und formal perfekt ersonnene Pendelmaschinen, bewegliche Objekte oder Kreisel, die einen Durchmesser von zweieinhalb Metern haben.

"Über seine Zeichnungen", erinnert sich Walter Langsdorf, "wussten wir nur wenig. Zumal er auch kaum ausstellte." Und fügt hinzu: "Wir wussten ja nicht einmal, dass er eine Lebensgefährtin hatte." Renate Rothkegel, seine ehemalige Studentin, war es 18 Jahre lang. Ungeachtet dessen, dass er von seiner Familie getrennt lebte und nicht geschieden war, hielt sie ihm den Rücken frei für eine Obsession: das Zeichnen. "Ich war immer mit dabei", sagt sie. Als die Blätter zu Dantes Göttlicher Komödie entstanden zum Beispiel. Sechs Zeichnungen in einer Größe von fünf Quadratmetern. Oder jene ebenso großen Märtyrer-Bilder, von denen zehn geplant waren und drei vollendet wurden.

Bilder, die so große Aufmerksamkeit erregen sollten, als Buchleiter nach langer Zeit wieder in Kassel ausstellte. Und die ihn tödlich verletzten, als er sie nach der Exposition zu Hause wieder einlagern wollte. "Ja", sagt Renate Rothkegel, "besessen war er wirklich. Er brauchte kein gesellschaftliches Leben." Zwei kurze Reisen von einer Woche in den gemeinsamen 18 Jahren. Nie Kino, im Theater oder Konzert "vielleicht zehnmal in dieser Zeit." Dafür die zweite Obsession zu Hause: die Musik. Zwei Stunden täglich musizierte er, auf dem Flügel, auf dem Bandoneon, mit dem Cello. "Er ging auch nicht aus dem Haus, selbst wenn der Kühlschrank leer war", so Renate Rothkegel, "es gab für ihn kein gesellschaftliches Leben."

Sein häufigster Satz sei gewesen: "Das brauche ich nicht." Sie schnitt ihm das Haar, weil der Weg zum Frisör ihn vom Zeichnen abgehalten hätte. Und wenn sie nicht anwesend war, um neue Tusche zu besorgen, verdünnte er sie. War ihre Welt nur neben seiner Welt? "Nein", sagt sie, "unsere gemeinsame Freude an der Kunst hat unser Leben bestimmt. Und das war ungewöhnlich. Bis zum Sterben." Nach dem Tod Buchleiters erwarb Renate Rothkegel von der Familie das Gesamtwerk und gründete den Rothkegel-Verlag. Zwei Bücher, die auch in der Galerie betrachtet werden können, sind bisher erschienen: "Die gezeichnete Stadt" und "Der stille Reichtum der Erinnerung." Sie möchte, dass sein so erstaunliches Werk bekannt wird. Auf das ein flüchtiger Blick nicht genügen wird.