SV Halle Lions SV Halle Lions: Kristen McCarthy ist die seelsorgende Profispielerin

halle (Saale) - Plötzlich verfinstert sich die Miene der sonst so strahlenden Kristen McCarthy. Nachdenklich sitzt sie jetzt in dem Café in Halles City. Wie sie ihre Zeit in Rumänien erlebt hat, ist die Frage. McCarthy muss etwas schlucken.
Bis Ende Dezember hatte die 25-jährige US-Amerikanerin - eine von zwei Neuzugängen bei den Bundesliga-Basketballerinnen der Halle Lions - in dem südosteuropäischem Land gespielt. Dort wurde ihr Vertrag aufgelöst, weil der Verein ICM Arad sie nicht mehr bezahlen konnte. Was sie aber vor allem beschäftigt: das Elend, das sie in Arad, einer Stadt ganz im Westen von Rumänien erlebt hat.
„Ich kannte zwar Obdachlose“, erzählt sie. „Aber wenn man jeden Tag sieht, dass die Leute einen anbetteln, nach Essen suchen, um zu überleben. Das ist schlimm.“ Weil sie die Not nicht einfach geschehen lassen wollte, wurde McCarthy sozusagen zur seelsorgenden Profispielerin. „Es gab ein Restaurant, in dem wir umsonst essen konnten. Von dort habe ich Essen herausgebracht.“
Sie spricht kein Rumänisch. Und die Obdachlosen kein Englisch. „Man hat es aber in den Augen gesehen. Sie waren dankbar.“ Und dann schiebt sie dieses Wort nach: Demut. „Ich habe dort gelernt, demütig zu sein. Das Leben, das ich lebe, nicht als selbstverständlich anzusehen.“ Bodenhaftung bewahren. Bescheiden bleiben.
Kristen McCarthy ist eine bekennende Christin. „Ich bin damit aufgewachsen“, sagt sie. „Der Glaube ist mir sehr wichtig.“ Jeden Sonntag zum Beispiel verfolgt sie, wenn es denn der Sport zulässt, die Gottesdienste in ihrer Heimat in Kalifornien per Livestream. Wegen der Zeitverschiebung dann abends um 20 Uhr. In den USA ist so etwas möglich. In Rumänien verfolgte der Familienmensch - sie hat zwei Schwestern und zwei Brüder - Gottesdienste per Übersetzung im Ohr. Sie hängt an ihrer Familie. Dass sie Weihnachten 2015 das erste Mal nicht zu Hause war, weil in Rumänien durchgespielt wurde, war hart. Nächste Woche bekommt sie dafür Besuch vom Papa. Er bleibt sieben Tage.
Kristen McCarthy ist aber nicht nur ein Familienmensch, der sich für Nächstenliebe und Respekt einsetzt, sie ist nebenbei auch eine tolle Basketballerin. Sie spielte bereits in den Topligen in Frankreich und Italien. In Island, wo sie von 2014 bis 2015 spielte, war sie die beste Werferin der Liga. 28,2 Punkte warf sie im Schnitt, wurde dort auch Meisterin mit ihrem Team Snaefell. Freilich, Island ist keine europäische Spitzenliga. Aber es ist ein Fingerzeig für die Leistungsfähigkeit der variablen Spielerin, die auf dem Flügel und im Aufbau eingesetzt werden kann.
Am Sonntag wird sie in Marburg das erste Mal für Halle auf Korbjagd gehen. „Zeit wird es“, sagt sie. „Immer nur Training ist auf die Zeit ermüdend.“ Sie muss lachen. Sie will endlich spielen. Und sie hat einen Traum. Noch einmal Meisterin werden - wie in Island. „Das war ein großartiges Gefühl. Ich will das wieder erleben.“ Vielleicht mit Halle? Sie lächelt. „Wir haben Talent“, sagt sie nur. (mz)