Interview mit Dieter Hecking VfL Wolfsburg-Trainer Dieter Hecking vor dem Bundesliga-Spiel gegen RB Leipzig im Interview

Leipzig/Wolfsburg - Dieter Hecking hat eigentlich gerade den Kopf nicht frei. Nach sechs Punkten aus sechs Spielen findet sich der Trainer des VfL Wolfsburg im Zentrum einer Debatte wieder, bei der er sich Fragen nach Investition und Ertrag gefallen lassen muss. Zu diesem Zeitpunkt kommt der Überraschungsaufsteiger RB Leipzig mit einer Serie aus drei Siegen und drei Remis eigentlich gerade zur Unzeit zum Sonntagsspiel nach Wolfsburg.
Wären da nicht die Erinnerungen an zwei Lebensjahre, als Hecking selbst in und für Leipzig Fußball gespielt hat. Der 52-Jährige war zwei Jahre Spieler beim damaligen VfB Leipzig, mit dem er 1993 in die 1. Liga auf- und ein Jahr später wieder abstieg. Martin Henkel sprach mit Dieter Hecking über eine Zeit, die ihn „enorm geprägt“ hat.
Der heute 52-jährige Dieter Hecking hat in seiner aktiven Karriere 36 Bundesliga-Spiele gemacht - sechs Mitte der 80er Jahre für Borussia Mönchengladbach und 30 in der Saison 1993/1994 für den damaligen VfB Leipzig. Hecking spielte von 1992 bis 1994 für die Sachsen, stieg mit dem Verein die erste Liga auf und direkt wieder ab.
Den größten Teil seiner Spielerkarriere verbrachte Dieter Hecking allerdings in der zweiten Liga. 184 Mal lief er dort auf für Hessen Kassel, Waldhof Mannheim, Hannover 96 und ebenfalls den VfB Leipzig.
Weitaus höherklassig verlief Heckings Trainer-Karriere. Die startete bei den Regionalligisten SC Verl und VfB Lübeck. In der Saison 2005/06 führte er Alemannia Aachen in die Bundesliga, verließ den Verein aber nach drei Spielen, um zu Hannover 96 zu wechseln.
Es folgte eine Station beim 1. FC Nürnberg, ehe Hecking nach der Vorrunde der Saison 2012/13 zum VfL Wolfsburg wechselte. Den VW-Werksklub führte Hecking Richtung nationale Spitze. Höhepunkt war das Jahr 2015, als der VfL Vizemeister wurde, den DFB-Pokal und den Supercup gewann - und Hecking zu Deutschlands Trainer des Jahres gekürt wurde.
Herr Hecking, Sie spielen am Sonntag gegen einen Aufsteiger, der sechs Punkte mehr hat als Ihre Mannschaft. Gehen Sie als Underdog in diese Partie?
Hecking: (lacht) Nein, tun wir nicht, wir wollen gewinnen. Aber wir haben Respekt vorm Gegner.
Wie haben Sie den Neuling in der ersten Liga aus der Ferne erlebt?
Hecking: RB Leipzig hat eine hochinteressante Mannschaft, deren Saisonstart so nicht unbedingt zu erwarten war. Vor allem verfügen sie über viele Alternativen in der Offensive. Sie machen es richtig gut: Sie spielen sehr diszipliniert, sehr gut gegen und mit dem Ball und haben enorm viel Tempo im Umkehrspiel. Da sind sie brandgefährlich. Das wird in der ersten Liga bestehen.
Anders als der VfB Leipzig in der Saison 1993/94. Der Neuling ist damals sofort wieder abgestiegen. Mit Ihnen als Spieler. Was kann RB vom damaligen VfB lernen?
Hecking: Seinen Weg nicht zu verlassen. Wir hatten damals nach sieben Partien und alter Zweipunkte-Regel 6:8 Punkte. Wir waren unangenehm zu spielen, standen kompakt und hinten dicht. Und auf einmal hieß es, wir sollten mehr nach vorne spielen, offensiver auftreten. Wir haben dem Druck nachgegeben - und keine Balance mehr gefunden.
"Ich habe die Zeit in Leipzig sehr genossen"
Sie waren eine Saison zuvor nach Leipzig gezogen. Plötzlich standen Sie als altbundesdeutscher Zweitligaspieler mitten im alten, neuen Osten. Und das nicht einmal drei Jahre nach dem Fall der Mauer. Wie ist das für Sie gewesen?
Hecking: Ich kann mich noch erinnern, wie wir im Bruno-Plache-Stadion trainierten und hinten dran war so eine Art Anbau. Der war innen noch gestaltet wie zu DDR-Zeiten, dort hat das alte Regime noch ziemlichen Eindruck auf mich gemacht. Aber ich habe die Zeit in Leipzig sehr genossen. Und sie hat mich stark geprägt.
"Alle haben sich eine Weile lang beäugt"
Wodurch?
Hecking: Meine Frau und unsere zwei Töchter sind damals mitgekommen. Und wir mussten uns in einigem umstellen. Bei der Heizung zum Beispiel. Wir sind nach Großpösna in ein Haus gezogen, in dem gab es nur Kohleofen.
Willkommen im wilden Osten?
Hecking: Ja, klar, das war ein Stück weit so. Wir mussten unsere Gewohnheiten schnell beiseite schieben, aber wir haben auch Demut gelernt. In dieser Zeit sind wir als Menschen und als Familie sehr gereift, zumal ja auch unsere beiden Zwillingssöhne in Leipzig geboren wurden. Leipzig war eine absolute Bereicherung.
Und fußballerisch?
Hecking: Die Zeit war genauso prägend. Ich kam als durchschnittlicher Zweitligaspieler nach Leipzig und da stand ich vor diesen Lok-Spielern, Thorsten Kracht, Matze Liebers, Bernd Hobsch, Matthias Lindner, Frank Edmond, Maik Kischko. Viele waren mehrfache Nationalspieler, sie hätten alle erste Bundesliga spielen können. Wir hingegen waren drei „Wessis“. Alle haben sich eine Weile lang beäugt. Aber dann hatten wir sehr schnell ein gute Miteinander.
Sie haben damals auch im Zentralstadion gespielt. 100.000 hätten hinein gepasst, es kamen nicht mehr als vier-, fünftausend. Wie ist das gewesen?
Hecking: Zum Teil ziemlich gruselig. Das Stadion war so riesig, wir haben uns irgendwo in der fünften Etage umgezogen, da sind wir zum Warmmachen gar nicht erst runter auf den Rasen gegangen, weil das zu weit war.
"Lok und Chemie sind nicht auf die Beine gekommen - was ich schade finde"
Also kalt aufs Feld?
Hecking: (lacht) Nein, wir haben uns oben auf den Mauersteinen vorbereitet.
Auf den Ruinen des Zentralstadion wurde 2006 die neue Arena gebaut, in der RB Leipzig seine Heimspiele austrägt. Fast immer vor ausverkauften Rängen. Was halten Sie von der Liaison zwischen Red Bull, RB und der Stadt Leipzig?
Hecking: Für mich ist Fußball in Leipzig vor allem eine Erinnerung an Sachsen bzw. Chemie und Lok bzw. VfB Leipzig. Diese Rivalität hat die Stadt damals, als ich da war, beherrscht. Das war gelebte Tradition. Aber sie sind nicht auf die Beine gekommen, was ich sehr schade finde. Und jetzt bildet sich etwas Neues, was hochattraktiv ist. Wenn man als Verein so arbeitet, dass man in sieben Jahren in die Bundesliga aufsteigt, dann ist das eine beachtliche Leistung. Und für Leipzig freut es mich einfach. Die Stadt ist für mich eine der attraktivsten, die ich kenne, und sie hat sich Bundesliga-Fußball, wie ich finde, verdient.
Eine Menge Fußballfans teilen Ihre Ansicht nicht.
Hecking: Das kann ich auch verstehen. Wenn man bei einem Traditionsverein arbeitet oder Fan eines solchen ist, dann ist die Kritik an RB nachvollziehbar. Einfach, weil man dort davon ausgeht, dass man sich Tradition und Erfolg erarbeiten muss. Beim VfL Wolfsburg ist es hingegen ähnlich wie in Leipzig. Da ist viel Neid im Spiel. Und dann findet man sich schnell in einer Schublade wieder. Aber Fakt ist: Gut arbeiten muss man überall.
"Da ist viel Neid im Spiel"
Genau das fällt Ihnen gerade als Kritik vor die Füße. Der VfL ist momentan nur 13.
Hecking: Es lohnt sich immer, genauer hinzuschauen. Wir haben aus den ersten Spielen fünf Punkte geholt, wir waren gut unterwegs und müssen in Hoffenheim eigentlich gewinnen. Und dann verlierst du gegen den BVB ein Spiel, das hätte 3:4 oder 4:5 ausgehen müssen. Dann hätte jeder gesagt, was für ein Spektakel. Was uns wirklich zurückgeworfen hat, war das Spiel in Bremen. Das war leidenschaftslos, selbst diese Partie aber hätten wir gewinnen müssen, wir haben bis zur 87. Minute 1:0 geführt. Das hat uns richtig wehgetan.
"Der einzige Abgang, der wirklich überraschend war, war der von Naldo"
Der VfL hat bis dato nur vier Tore erzielt. Woran liegt das, immerhin spielen in Ihrer Offensive mit Julian Draxler und Zugang Mario Gomez zwei Nationalspieler?
Hecking: Das ist tatsächlich unser Problem. Wir haben unsere Chancen, aber wir treffen zu selten. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass wir einen großen Umbruch in der Mannschaft haben. Wir haben eine neue Nummer eins im Tor, eine neue Innenverteidigung. Und wir haben mit Daniel Didavi, Joshua Guilavogui und Luiz Gustavo drei verletzungsbedingte Ausfälle im Mittelfeld. Wir wollen damit nichts entschuldigen, aber es ist auch eine Erklärung für unsere aktuelle Situation.
Wurde der Umbruch bewusst herbei geführt oder hat er sich ergeben, weil mit Max Kruse, Dante, Naldo, Bas Dost und André Schürrle fünf Leistungsträger im Sommer den Verein verlassen haben.
Hecking: Das kam in der Öffentlichkeit leider so rüber, als wollten alle weg. Aber es ist so nicht richtig. Es gab in allen Fällen sinnvolle Überlegungen, und natürlich hat im Fall von André Schürrle auch der wirtschaftliche Faktor eine Rolle gespielt. Der einzige Abgang, der wirklich überraschend war, war der von Naldo.
Außerhalb von Wolfsburg heißt es, der VfL habe einen Standortnachteil, um Spitzenfußballer langfristig zu halten.
Hecking: Ich wage zu behaupten, dass es wenige Vereine gibt, die infrastrukturell innerhalb eines Klubs besser aufgestellt sind als wir. Alle Arbeitsbedingungen sind perfekt. Und das sollte im Vordergrund stehen. Vor zwei Jahren waren wir Vizemeister, wir haben Champions League gespielt, wir haben den Pokal gewonnen. Da hat sich auch niemand über Wolfsburg beschwert.
Auch Julian Draxler wollte im Sommer weg – nach nur einem Jahr.
Hecking: Dieses Thema sollten wir gar nicht mehr so hoch hängen. Julian hat verstanden, dass das nicht der richtige Weg war. Aber da ist bei keiner Seite etwas hängen geblieben.
"Ich bin aber zuversichtlich, dass wir bald Treffer von Mario Gomez sehen"
Julian Draxler ist nicht enttäuscht gewesen?
Hecking: Natürlich wird er enttäuscht gewesen sein, das ist menschlich. Das haben wir ihm auch zugestanden. Aber Julian ist Profi und mittlerweile wieder zu hundert Prozent bei der Sache, was seine Einstellung im Training und im Spiel anbetrifft.
Wird Mario Gomez gegen Leipzig spielen, er war zuletzt verletzt?
Hecking: Das werden wir sehen, aber ich sehe seinen Einsatz positiv.
Er hat noch kein Tor für den VfL erzielt, wie bewerten Sie seinen Einstand für den VfL?
Hecking: Als Mensch überragend. Als Spieler fehlt ihm eigentlich nur das Tor. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir bald Treffer von Mario Gomez sehen werden.