Wilder Auftritt in MarseilleRB Leipzig in der Europa League: Das Aus von RBL hinterlässt Fragezeichen

Marseille - Plötzlich krachte es. Zwei Turnschuhe landeten auf dem Reportertisch, darüber eine Trainingshose in den Farben von Olympique Marseille, ein schwarzes Trikot, das wütende Gesicht eines jungen Franzosen und eine Faust, die es zu dem deutschen TV-Journalisten hinzog, der es gewagt hatte, sich zu freuen, als es im Spiel am Donnerstagabend zwischen OM und Leipzig so schnell und unerwartet 1:0 gestanden hatte. Bruma hatte getroffen, 95 Sekunden waren gerade mal gespielt, RB führte.
Drei Tore brauchten die Franzosen jetzt, um das Europa-League-Halbfinale noch zu erreichen. Quelle catastrophe! Dachte der Franzose. Dachte aber auch der Deutsche, der schnell bemerkte, dass das hier im „Velodrome“ ein wenig anders läuft als in deutschen Stadien. Eine Stange nur trennte die Reporterplätze von den Sitzen, auf denen noch mehr junge Männer standen, die alle zornig aussahen – und die alle ihre Fäuste schwangen.
Nichts wie weg also, und wie der Medienmann auf die andere Tribünenseite wechselte, da wandelte sich ebenso die Stimmung in dieser monumentalen Arena von Schock in Exstase. Ging nämlich auch ganz schnell. Stefan Ilsanker glich mit einem Eigentor aus (6.), Bouna Sarr erhöhte auf 2:1 (9.), Florian Thauvin traf zum 3:1 (39.), Dimitri Payet zum 4:2 (60.), nachdem RB fünf Minuten zuvor durch Jean-Kevin Augustin das Tor ins Halbfinale wieder aufgeschossen hatte. Schließlich beendete Hiroki Sakai in der Nachspielzeit diese wilde Partie von der sich Leipzigs Coach Hasenhüttl mit einer unzweideutigen Erkenntnis verabschiedete: „Wir sind raus!“
RBL nimmt den Abend in Marseille als Extremerfahrung mit
Aufgrund der aufgeheizten Tribünenlage wird sich nicht jeder, der die Leipziger begleitet hat, darüber so geärgert haben wie der Österreicher, der die 94 Minuten in Marseille als Extremerfahrung genauso mit in seine Karriere nehmen wird wie seine Spieler, die im Velodrome vorgeführt bekamen, was es heißt, in der Hölle Fußball zu spielen.
Zum ersten Mal in einem Europapokalspiel war dieses architektonische Meisterwerk mit 65.000 Zuschauern ausverkauft. Was das für RB bedeutete, wurde schon vor dem Spiel deutlich, als der Mannschaftsbus mit Böllern und Rauchwerk begrüßt wurde, was auch im Inneren die Atmosphäre unterstützte, die von der ersten Sekunde an infernalisch war.
Den Sachsen flatterten sofort die Nerven. Alles schien eine Nummer zu groß, denn wie anders war das zu verstehen: Zweimal standen sie laut Zwischenergebnis in der Runde der letzten Vier, und zweimal flogen sie binnen weniger Minuten wieder raus. „Das ist sehr enttäuschend“, sagte später Timo Werner, der mit einem maladen Oberschenkel 90 Minuten lang auf der Bank saß. „Gerade, wenn du so einem Stadion zwei Mal den Nackenschlag verpasst.“
RB Leipzig kassiert schon wieder Standard-Gegentore
Aber es ging einfach nichts zusammen. Vor allem in der Defensive nicht. Wieder gab es zwei Tore nach Standards. „Unsere alte Schwäche ist zurück“, sagte Hasenhüttl. Dazu fielen zwei Tore nach Kontern, was ähnlich problematisch ist, denn die Meister im Umschalten sind eigentlich die Sachsen. „Das haben wir einfach hergeschenkt“, befand deshalb schwer zerknirscht Emil Forsberg. Der Schwede ist 26 Jahre alt, er gehört zu den erfahreneren Spielern. Die Atmosphäre habe ihn nicht belastet, sagte er. „So etwas muss man lieben, das ist Fußball. Das darf keine Rolle spielen.“
Hat es aber, wie Hasenhüttl bemerkte, der nicht verstand, dass sein Team „sich von der Stimmung im Stadion hat anstecken lassen. Ich dachte, wir wären schon weiter.“ Stattdessen musste der Trainer einsehen, dass seinem jungen Kader genau das fehlt, was man in den großen Partien braucht, wenn volle Stadion zum Bersten erregt sind und junge Männer auf Reportertische springen: gute Nerven und ein bisschen Lässigkeit.
(mz)