HFC-Torjäger putschte den Trainer Nach dem Zweitliga-Aufstieg wurde Lutz Schülbe zur tragischen Figur
Kapitän und Torjäger Lutz Schülbe ebnete vor 30 Jahren den Weg in die 2. Liga. Er erinnert sich an eine tolle Saison, einen Trainer-Putsch und ein bitteres Ende.

Halle (Saale) - Die Aufnahmen sind schon ziemlich alt. Dazu hat sie offensichtlich ein Amateur aufgenommen, mit einer Hobbykamera. Der Privatfilm, zu finden bei Youtube, ist aber trotz der qualitativen Mängel ein bedeutsames Fußball-Zeitdokument. Sind es doch die einzigen bewegten Bilder, die vom letzten DDR-Oberligaspiel des Halleschen FC Chemie öffentlich zugänglich sind.
Unerklärlicherweise in Blau-Weiß spielten die Hallenser damals beim Chemnitzer FC. Den Platz in der 2. Bundesliga hatten sie schon sicher, aber es ging an diesem 25. Mai 1991 noch um die Qualifikation für den Uefa-Cup. Ein Punkt musste dafür her.
Der CFC konnte zwar in Führung gehen, aber der HFC hatte ja Lutz Schülbe, Kapitän und Torjäger. In der 49. Minute war der zur Stelle, glich zum nötigen 1:1-Endstand aus. Leider, das ist der größte Makel am Hobbyfilm, fehlt aber genau die Entstehung dieses finalen HFC-Oberligatores. Erst die Jubelluftsprünge von Trainer Bernd Donau sind wieder zu sehen.
HFC-Torjäger Lutz Schülbe: Nur Torsten Gütschow traf häufiger
Also muss der Torjäger selbst ran: „Das war so ein Klassiker von mir, der Ball kam an den langen Pfosten, ich habe richtig darauf spekuliert und per Flugkopfball getroffen“, erzählt Schülbe und vor dem inneren Auge fügt sich ein, was in der Aufnahme fehlt.
Jenes 13. Saisontor des damals 29-jährigen Angreifers, besser war nur Dresdens Torsten Gütschow mit 20 Treffern, öffnete die Tür zum Europapokal und war zugleich der krönende Abschluss einer „genialen“ Spielzeit, wie Schülbe sagt. „Ich war fit, hatte Spaß auf den Platz. An die Saison zur Bundesliga-Qualifikation habe ich nur schöne Erinnerungen.“
Die er heute, 30 Jahre später, immer mal wieder mit den alten Weggefährten teilt. Solchen wie dem damaligen Trainer Bernd Donau, den Schülbe in pandemiefreien Zeiten nahezu wöchentlich gesehen hat. „Die Traditionsmannschaft des HFC trainierte immer mittwochs bei mir in Ammendorf, da ist er dabei“, erzählt der heutige Präsident des Verbandsligisten BSV Ammendorf im halleschen Süden. „Da setzte ich mich mal für eine halbe Stunde dazu und dann geht es nur um die alten Zeiten.“
Warum der HFC Trainer Karl Trautmann putschte
Eine Geschichte muss Schülbe dann immer wieder erzählen. Die über seine Tat, die womöglich für die Zweitligaqualifikation entscheidender war als jedes der 13 Saisontore. Bekannt ist sie heute als Putsch von Ostfriesland.
Mit dem damaligen Spielführer als Initiator begehrte die HFC-Mannschaft 1990 im Trainingslager vor der letzten DDR-Oberligasaison gegen Trainer Karl Trautmann auf. Erfolgreich: Präsident Bernd Bransch unterstützte das Ansinnen der Spieler, Assistent Bernd Donau übernahm und führte die Mannschaft in die zweite Bundesliga und den Uefa-Cup.
Damit man diesen heute unvorstellbaren Putsch versteht, muss Lutz Schülbe ausholen. Der gebürtige Eisleber feierte zwar Anfang der 1980er Jahren mit Dynamo Dresden seine größten sportlichen Erfolge, zwei Pokalsiege, sein Herz gehörte aber immer dem HFC. Ab 1985 spielte quirlige Angreifer für die Rot-Weißen, schoss sie mit 18 Toren 1986/87 zurück in die Oberliga.
Lutz Schülbe: 6.000 D-Mark Monatsgehalt in Halle
Dann kam die Wende und im Sommer 1990 war klar: Die nächste DDR-Oberligasaison wird die letzte sein und nur die besten sechs Mannschaften werden es direkt in die Bundesligen schaffen. „Für mich persönlich war das die klare Zielstellung“, sagt Schülbe. „Ich hatte damals meinen ersten Profivertrag unterschrieben, 6.000 D-Mark Monatsgehalt, und hatte mir gerade ein Haus gekauft. Ich wollte unbedingt Profi in Halle bleiben, war deshalb unglaublich heiß auf die Saison.“

Anders Karl Trautmann. So hat es zumindest Lutz Schülbe erlebt. „Er wirkte auf mich zu ruhig und unmotiviert. Das ging mir auf den Sack. Gerade im Vergleich mit Bernd Donau, der total unter Strom stand, die ganze Trainingsarbeit gemacht hat“, erklärt er. Als er auch im Trainingslager den nötigen Ehrgeiz vermisste, fiel der Entschluss zur Revolte. „Ich bin dann an einem Abend durch alle Zimmer gezogen und habe mir die Unterstützung gesichert.“
Bei der Abstimmung am nächsten Morgen gingen dann tatsächlich auch alle Spielerhände in die Höhe. „Ich hätte den Trainer nicht ablösen können, wenn die Meute nicht zu 100 Prozent hinter mir gestanden hätte“, sagt Schülbe. „Aber das hat uns damals ausgezeichnet. Menschlich waren das alles wunderbare Kerle in der Mannschaft, auch die jungen.“
HFC erwischt beim Zweitliga-Absteiger eine „Goldene Generation“
Ein Faktor für den folgenden Erfolg. Der andere ist das Glück, genau zum richtigen Zeitpunkt eine goldene Generation erwischt zu haben. Große Talente wie Dariusz Wosz, Rene Tretschok oder Jörg Nowotny, die später in der Bundesliga auflaufen, standen in der 1990/91er Mannschaft des HFC.
Nach Rumpelstart zeigten die ihre Klasse und vorn machte Strafraumkünstler Schülbe, ganz in der Mode der Zeit mit Schnauzer und Vokuhila, die Tore. Während der HFC aber Sieg um Sieg feierte, war die Welt unübersehbar im Wandel. Die Stadien wurden leerer, die Menschen zog es in den Westen. Dazu wurden die Betriebe abgewickelt.
Kein Ostverein, der von den Umwälzungen nicht betroffen war. Beim HFC ging es nach der Euphorie des Sommers 1991 besonders schnell bergab. Der Start vor 30 Jahren in die 2. Liga war zwar noch erfolgreich. Aber schon das Uefa-Pokal-Heimspiel gegen Torpedo Moskau geriet zur Enttäuschung. Der HFC gewann zwar, aber das Kurt-Wabbel-Stadion war spärlich besetzt.
HFC spielt im Europapokal gegen Moskau vor fast leeren Rängen
„Da erreicht der Klub zum ersten Mal seit 20 Jahren den Europapokal und kaum einer ist im Stadion“, sagt Schülbe. „Das war schon sehr schade.“ Nur 3.700 Zuschauer sahen Schülbes Tor zum 2:0, Endstand 2:1. Es war sein letzter von 66 Treffern für den HFC. Das Rückspiel ging mit 0:3 verloren, und in der Liga rutschte das Team schnell in den Abstiegskampf.
Auch, weil die besten Spieler längst von Westvereinen mit großen Summen umgarnt wurden. Schülbe etwa bekam vom niederländischen Erstligisten NAC Breda mal ein Geldkoffer mit 100.000 D-Mark in bar angeboten. Der Kapitän blieb in Halle, aber Ausnahmetalent Wosz wurde im Winter 1991/92 für 1,2 Millionen?D-Mark an den VfL Bochum verkauft. Damit der Verein nicht pleite ging.
Ein Verlust, der vielleicht noch zu kompensieren gewesen wäre, wenn Schülbe in der Zweitligasaison nicht von Verletzungen geplagt worden wäre. „Die ersten Spiele waren noch top, dann kam mein Knie“, sagt er. „Ich habe mich von Spiel zu Spiel geschleppt, mehr Zeit bei Doc Bartels verbracht, als auf dem Trainingsplatz.“ Ein Fehler, wie er heute sagt. „Ich hätte das richtig auskurieren sollen. Aber ich wollte eben unbedingt weiter Profi in Halle bleiben.“ Dafür musste der Klassenerhalt her.
Verletzung beendet Lutz Schülbes Karriere: War Jürgen Klopp der Übeltäter?
Ein Spiel bei Mainz 05 im Mai 1992 wurde zum finalen Verhängnis. Ein Zweikampf beendete die Karriere jäh. „Da hat es richtig gekracht, nicht nur mein Kreuzband ist gerissen“, erinnert sich Schülbe. Der Übeltäter, so ist es überliefert, war kein Geringerer als der heutige Liverpool-Startrainer Jürgen Klopp. Der stand auch wirklich auf dem Platz. Ob er aber wirklich Schülbe umtrat, „kann ich nicht zu 100 Prozent sagen“, sagt das Opfer. Die Erinnerung ist verblasst. Nur eine Woche später stand nach einem 1:2 in Erfurt auch der Abstieg des HFC fest.
Nach dem Karriereende mit erst 30 Jahren machte sich Schülbe als Versicherungsmakler selbstständig und baute den BSV Ammendorf zu einer guten Adresse im sachsen-anhaltischen Amateurfußball auf. Die Zeit beim HFC mit der Saison 1990/91 als Höhepunkt bleibt ihm aber bis heute in besonderer Erinnerung: „Sportlicher war Dresden meine erfolgreichste Zeit. Aber die schönste Zeit hatte ich in Halle.“ (mz)