1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Hallescher FC
  6. >
  7. Ex-HFC-Kapitän erinnert sich: Ex-HFC-Kapitän erinnert sich: Wie Lutz Schülbe 1990 den Trainer wegputschte

Ex-HFC-Kapitän erinnert sich Ex-HFC-Kapitän erinnert sich: Wie Lutz Schülbe 1990 den Trainer wegputschte

Von Wolfram Bahn 08.11.2019, 10:00
Lutz Schülbe (l.) war Torjäger und Kapitän des HFC. Mit 13 Treffern ebnete er den Weg in die zweite Liga.
Lutz Schülbe (l.) war Torjäger und Kapitän des HFC. Mit 13 Treffern ebnete er den Weg in die zweite Liga. HFC-Archiv/Thomas Böttcher

Halle (Saale) - Es ist ein unerhörter Vorgang, der sich im Sommer 1990 im Trainingslager des Halleschen FC abspielt. Der Verein hat seine Mannschaft in Ostfriesland versammelt. Die bevorstehende Saison ist eine Besondere. Es geht um die Qualifikation der DDR-Oberligateams für die zweite Bundesliga. Da will man nichts dem Zufall überlassen. Doch über Nacht kommt es zu einem „Putsch“ gegen Trainer Karl Trautmann.

„Es hat schon länger nicht mehr gepasst mit ihm. Wir wollten, dass sich was ändert“, erinnert sich Lutz Schülbe noch genau an das denkwürdige Ereignis.

Der heutige Präsident des BSV Ammendorf ist damals Kapitän der Rot-Weißen. Und unzufrieden mit der Arbeit des Coaches. Er geht am Abend vor der Mannschaftsbesprechung von Zimmer zu Zimmer, um sich Rückendeckung für sein Vorhaben zu holen.

HFC-Team spricht sich einstimmig gegen Trainer Trautmann aus

„Ich wollte sicher sein, dass alle hinter mir stehen“, so Schülbe. Am Morgen danach lässt er die Bombe platzen. Er beraumt eine Abstimmung über den Trainer an. Die älteren Spieler heben sofort die Hand. Einige der jüngeren, wie Dariusz Wosz und Rene Tretschok schlottern die Knie, doch es gibt ein einstimmiges Votum: Der Trainer soll gehen.

„Wir wussten nicht, was uns erwartet, doch wir haben das durchgezogen“, erzählt der damalige „Rädelsführer“. Noch heute sieht er das entsetzte Gesicht des abgewählten Übungsleiters vor sich. Trautmann will das Votum zuerst nicht akzeptieren. „Da bin ich zu Bernd Bransch gegangen“, so Schülbe. Und der damalige Präsident spricht ein Machtwort.

Ein in der Geschichte des HFC beispielloser Akt. Der wohl auch nur in dieser Zeit des Umbruchs und der vielen Veränderungen möglich war, wie Schülbe im Rückblick glaubt. Immer mehr Menschen hätten sich nach dem Ende der DDR und dem Niedergang der SED-Herrschaft getraut, den Mund aufzumachen. Ein gutes halbes Jahr vor dem Putsch saß der HFC-Stürmer noch in seiner Wohnung in Heide-Nord vor dem Fernseher und verfolgte ungläubig, wie in Berlin die Mauer fiel. Es ist sein 28. Geburtstag.

Nach Mauerfall: Lutz Schülbe zog es nicht gleich in den Westen

Als Schülbe im Herbst 1961 in Eisleben auf die Welt kommt, sind die Grenzen gerade überall dicht gemacht worden. Seine ganze Jugend hat ihn das Symbol der deutschen Teilung begleitet. „Ich hätte nie gedacht, dass sich daran was ändert“, sagt er. Und er ist auch nicht derjenige, der sich sofort aufmacht, um die neu gewonnene Reisefreiheit auszukosten. „Ich hatte damals schon einiges von der Welt gesehen“, begründet er seinen fehlenden Drang, gleich in den Westen zu reisen.

Tatsächlich hatte er bis zu jenem deutschen Schicksalstag bereits eine beachtliche Laufbahn hingelegt. Mit Dynamo Dresden bestritt er zahlreiche Europapokal-Partien und gewann zweimal den DDR-Pokal. Außerdem absolvierte Schülbe 16 DDR-Juniorenländerspiele.

„Das war meine erfolgreichste Zeit als Fußballer“, sagt der ehemalige Ausnahmestürmer, der zu seinem 58. Geburtstag am Sonnabend wie so oft mit Ammendorf unterwegs sein wird. Als seine Zeit an der Elbe zu Ende ging, wechselte er im Sommer 1985 zum HFC. „Zu dem ich eigentlich schon immer wollte.“

Lutz Schülbe: Wechsel nach Halle nur mit Zustimmung „von oben“

Als Knirps spielte er bei Dynamo Eisleben. Weil er der Polizei-Sportvereinigung angehörte, durfte er später nur zu den anderen Dynamovereinen nach Berlin oder Dresden. „Oder sie hätten mich nach Eggesin an die Ostsee versetzt“, beschreibt Schülbe die Zwänge, in denen er damals steckte. Auch sein Wechsel von Dresden nach Halle bedurfte der Zustimmung „von oben“.

Der Beginn bei seinem Lieblingsverein stand allerdings unter keinem guten Stern. Nach einer schweren Verletzung bei einem Spiel der Olympiaauswahl gegen die Sowjetunion fiel er länger aus. Ausgerechnet sein hallescher Torwart-Kollege Jens Adler war schuld. „Bei der Abwehr einer Ecke krachte er auf mein Bein.“

Schülbe beißt sich durch. Er wird zum Aufstiegsgaranten für die Rot-Weißen. In der Saison 1986/87 steuert er als Torschützenkönig der Liga 18 Treffer zur Rückkehr in die DDR-Oberliga bei. Vier Jahre später hat der Mannschaftskapitän mit seinen 13 Treffern maßgeblichen Anteil daran, dass der HFC überraschend den Sprung in die zweite Bundesliga schafft.

Lutz Schülbe schwärmt: „Beim HFC war meine geilste Zeit“

Und das mit Bernd Donau, der nach der Meuterei in Ostfriesland das Traineramt übernommen hatte. „Beim HFC war meine geilste Zeit“, so Schülbe. Bis heute kann er sich nicht so richtig erklären, warum der Klub damals nur eine Saison im Profifußball überstanden hat. „Irgendwie haben wir das alle im Verein unterschätzt. Der Abstieg stand eigentlich nie zur Debatte.“

Mit dem Abstieg fand auch seine Karriere wegen eines Kreuzbandrisses im Spiel gegen Mainz im Alter von 29 Jahren ein jähes Ende. Wie viele DDR-Bürger musste sich Schülbe neu orientieren. Der gelernte Tischler sattelte zum Versicherungsmakler um.

Er baute für seine Familie in Lochau ein Haus, wurde als Trainer und Präsident des BSV Halle-Ammendorf zweimal Fußball-Landesmeister und würde sich „riesig freuen“, wenn dem HFC wieder die Rückkehr in die zweite Liga gelingt. „Es ist alles gut so, wie es gekommen ist“, macht Schülbe einen zufriedenen Eindruck. Nur manchmal beschleichen ihn Zweifel, ob der Aufstand gegen den Trainer Trautmann wirklich der richtige Weg war.

(mz)

Mit Ammendorf wurde Schülbe zweimal Landesmeister.
Mit Ammendorf wurde Schülbe zweimal Landesmeister.
eckehard Schulz