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EURO 2016 EURO 2016: Darum steht Portugal verdient im EM-Finale

Von Marco Schyns 07.07.2016, 08:02
Die portugiesischen Spieler bejubeln den Final-Einzug
Die portugiesischen Spieler bejubeln den Final-Einzug AP

Portugal steht im Finale der Europameisterschaft 2016 - und bei den meisten Fans herrscht Einigkeit: Das haben sie nicht verdient. Die Argumentation ist klar: Das Team um Cristiano Ronaldo konnte nur eines seiner sechs Spiele gewinnen - mit 2:0 im Halbfinale gegen Außenseiter Wales.

Dabei war jener Erfolg am Mittwochabend in Lyon der beste Beweis dafür, dass Portugal sich die Final-Teilnahme keineswegs erschlichen hat. Im Stile einer Turniermannschaft hat sich das Team in jedem Spiel in der K.o.-Runde gesteigert - nachdem die Vorrunde eher unglücklich verlief.

Ziel war der Titel

"Unser Ziel ist der Europameistertitel", hatte Trainer Fernando Santos vor der EM angekündigt. Obwohl die Erwartungen bei den Süderopäern stets hoch sind, überraschte dieses Statement doch viele Leute - auch in der Heimat. Aber Santos hatte einen Plan. Und der ist bis hierhin perfekt aufgegangen.

Portugal startete furios ins Turnier - für genau eine Halbzeit. Beim Auftakt gegen Island hätte es zur Pause gut und gerne 3:0 stehen können. Einzig Nani nutzte aber einer der vielen Gelegenheiten zur Führung. Das Ende der Geschichte ist bekant: Island glich später mit einem gelungenen Angriff aus. Ein Schock, von dem sich Portugal lange nicht erholen konnte.

Die Verunsicherung, nach einem mageren Unentschieden gegen den Fußball-Zwerg aus dem Norden, war groß, als das Team am zweiten Spieltag auf Österreich traf. Wieder gaben Ronaldo und Co. ein Dutzend Torschüsse ab, wieder reichte es nur zu einem Punkt. Im letzten Vorrundenspiel gegen Ungarn sollte der Knoten dann platzen, allerdings zu Lasten der defensiven Stabilität. 1:1, 0:0 und 3:3 - eine Bilanz, mit der man wohl nur bei dieser EM die K.o.-Runde erreicht.

Angesichts dieser Tatsache, liegt es auf der Hand von Glück zu sprechen, dass Portugal überhaupt das Achtelfinale erreichen konnte. Mit etwas mehr Glück in den ersten beiden Spielen (zum Beispiel Ronaldos Pfostentreffer beim Elfmeter gegen Österreich) hätte es die Rechenspiele als Gruppendritter aber überhaupt nicht gebraucht.

Zwei Mal Verlängerung

Das Spiel gegen Ungarn - bis dahin das unterhaltsamste des Turniers - hatte Trainer Santos letztlich dazu bewegt, umzudenken. Die offensive Spielweise der Vorrunde versprach keinen Erfolg - und wer so verteidigt wie gegen die Ungarn, der kassiert gegen Kroatien vermutlich noch mehr Gegentore.

Also stellte Santos die Abwehr um, bringt - längst überfällig - Jose Fonte für den 38-jährigen Ricardo Carvalho und Cedric Soares für Eliseu. Darüber hinaus geht der Trainer einen unpopulären, aber erlaubten Weg: Fußball verhindern. Favorit Kroatien durfte sich den Ball zuschieben, kam aber gegen einen dicht gestaffelten portugiesischen Defensiv-Verbund nicht zu Torchancen. Gleichzeitig setzen die Portugiesen darauf, hin und wieder einen der schnellsten und technisch besten Spieler der Welt - Cristiano Ronaldo - in Szene zu setzen. Genau das, was damals in der 117. Minute passiert ist. Besser spät als nie.

Mit der gleichen taktischen Ausrichtung gingen die Portugiesen das Viertelfinale gegen Polen an. Auch diesmal hätte eine gelungene Offensiv-Aktion, in diesem Fall Renato Sanches, erneut reichen können - wäre da nicht der eine, kapitale Fehler von Rechtsverteidiger Cedric Soares gewesen, durch den die Polen in Person von Robert Lewandowksi nach nicht einmal zwei Minuten die Führung erzielen konnten.

Dass es letztlich eine Entscheidung im Elfmeterschießen gab, lag nicht nur an Portugal, schließlich hatte Gegner Polen ebenso wenig für das Spiel getan. Keiner wollte die Favoritenrolle haben, keiner wollte das Risiko eingehen, auszuscheiden. Das ist nicht schön, aber erlaubt.

Favoritenrolle angenommen

In das Halbfinale gegen Wales ging Portugal erstmals seit der Vorrunde als klarer Favorit in die Partie. Diese Rolle nahmen sie an, ohne dabei den Fehler zu machen, den funktionieren Defensiv-Verbund aufzulösen und wild nach vorne zu rennen. Eine sehr gute Phase zwischen der 46. und 60. Minute reichte aus, um Wales zu besiegen.

Ansonsten waren erneut Disziplin, Zweikampfstärke und Laufbereitschaft gefragt. Attribute, die alle Spieler auf dem Platz - spätestens seit Beginn der K.o.-Runde - in jedem Spiel zeigten. Auch Cristiano Ronaldo, der sich - obwohl er anderen Fußball von Vereinsseiten her gewohnt ist - dem System unterordnet.

Ronaldo überstrahlt alles

Das streitbare System von Santos funktioniert nur dann, wenn alle Spieler mitziehen - und wenn einzelne Spieler die Qualität mitbringen, ein Spiel mit wenigen Aktionen alleine entscheiden zu können. Beides bringt Portugal mit. Das Team hat sich im Lauf des Turniers gefunden, weiterentwickelt und ist zusammengewachsen - so wie es eine Turniermannschaft auszeichnet. Die Spieler wirken darüber hinaus, trotz kräftezehrenden Spielen im Achtel- und Viertelfinale, nicht müde. Auch das ist ein Lohn der harten Trainingsarbeit.

Und vorne, ganz vorne, ist ein gewisser Cristiano Ronaldo stets anspielbar und - das zeigte nicht erst sein Kopfball-Treffer gegen Wales - auch in der Luft brandgefährlich. Natürlich würde es ihm besser zu Gesicht stehen, über die Flügel zu kommen, um in die Mitte zu ziehen oder dort den klassischen Mittelstürmer mit Pässen zu bedienen. Dieses Personal haben die Portugiesen aber nicht. Also holt man aus seinen Mitteln das beste raus.

Außenseiter im Endspiel

Ob das beste letztlich für den Europameister-Titel reicht, ist fraglich. Egal ob der Gegner am Sonntag im Stade de France in Paris Deutschland oder Frankreich heißt: Portugal wird der Außenseiter sein. Aber sie werden die Rolle annehmen. Dafür sind die sich bekanntlich nicht zu schade.

Und egal wer es letztlich versuchen wird, das Abwehrbollwerk der Südeuropäer zu überwinden: Leicht wird es keinesfalls. Denn was bei allem Gerede über verdient und unverdient oftmals unbeachtet bleibt: Portugal ist in sechs Duellen noch ungeschlagen - und das hat keineswegs nur mit Glück zu tun.

Mit dieser Bilanz haben sie es bis ins Finale geschafft. Und wer dort steht, der hat es sich auch verdient.