Das Fußballkartell Das Fußballkartell: Warum das Fernsehen alle Tore zeigen könnte es aber nicht macht
Halle (Saale) - Der Moderator im MDR-Studio bringt den Satz sehr überzeugend. „Ausschnitte aus dem Spiel Dresden gegen Regensburg zeigen wir ihnen aus rechtlichen Gründen erst um 22 Uhr“, sagt er bedauernd.
Vorerst flimmern Fotos über den Bildschirm: Ein Ball im Netz, ein fliegendes Bein, eine Texttafel mit dem Spielergebnis. Fernsehen, das mehr an Faxnachrichten erinnert als an Fußballberichterstattung im Internetzeitalter.
Sender zeigen keine Bilder - aus rechtlichen Gründen?
Aber es ist immer so. Wenn das ZDF in seinem Morgenmagazin über Fußballbegegnungen berichtet, kommt es häufiger vor, dass Zuschauer vertröstet werden. Keine Schüsse, keine Tore. „Aus rechtlichen Gründen“, heißt es dann.
Wir dürfen ihnen nur Bilder von zwei Spielen zeigen“, begründet Moderator Thomas Skulski, der seit 1992 das Sportressort beim ZDF leitet. Auch der MDR argumentiert ähnlich. „Aus rechtlichen Gründen“, meint man auch hier.
Was für rechtliche Gründe das sind, wer mehr verbietet, bleibt unerwähnt. Der Zuschauer vor dem Schirm ahnt vielleicht etwas mit Lizenzrechten und Millionenzahlungen. Aufklärung gibt es nicht.
Rechte an Fußballübertragungen sind Millionen wert
Selbst bei den Sendern ist das so. Sportrechte, insbesondere die, die Fußballübertragungen gestatten, sind das Erdöl der Unterhaltungsgesellschaft, der Goldstandard im Heimkino. Keine andere Ware ist teurer, keine andere ist aber auch so begehrt.
Über eine Milliarde Euro kassiert die Deutsche Fußball Liga (DFL) durchschnittlich bis 2021 derzeit pro Jahr für die Medienrechte der 1. und 2. Bundesliga. Mit durchschnittlich etwa 876 Millionen Euro trägt der Pay-TV-Anbieter Sky den Hauptanteil.
ARD und ZDF zahlen Hunderte Millionen für Fußball
ARD und ZDF zahlen mit 136 und 90 Millionen Euro etwa ein Viertel davon, dazu kommen etwa 50 weitere Millionen für die Übertragung des DFB-Pokals und der Freundschaftsspiele der Nationalmannschaft.
Höhepunkte wie die anstehende WM in Russland kosten noch einmal extra - ARD und ZDF sollen sich die Weltmeisterschaft fast schon sagenhafte 218 Millionen Euro kosten lassen - mehr als zwei Prozent der jährlichen Rundfunkgebühren fließen so auf einen Schlag aus der Kasse.
Vergleichsweise billig scheinen da die 16 Millionen Euro, die sich die Telekom das Recht kosten lässt, die 3. Liga im Internet zu übertragen.
Doch Fußball ist eben König, ein Produkt, das nie enttäuscht. Ein Produkt, das aber genau deshalb auch eifersüchtig geschützt wird - sogar von denen, die keinerlei Vorteil von diesem Schutz haben.
Rundfunkstaatsvertrag sagt: Fußball gehört allen
Genaugenommen gehört Fußball in Deutschland nämlich allen, wie der Rundfunkstaatsvertrag in seinem Paragrafen 5 festhält. „Das Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung über Veranstaltungen und Ereignisse, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind, steht jedem in Europa zugelassenen Fernsehveranstalter zu“, heißt es da.
Die Berichterstattung müsse zwar auf eine „dem Anlass entsprechende nachrichtenmäßige“ Länge beschränkt werden. Doch „die zulässige Dauer bemisst sich nach der Länge der Zeit, die notwendig ist, um den Informationsgehalt der Veranstaltung oder des Ereignisses zu vermitteln“.
Jeder Sender darf von jedem Spiel berichten - in der Theorie
Jeder Fernsehsender dürfte damit von jedem Fußballspiel berichten und könnte dabei jedes Tor zeigen, ohne dafür Millionen Euro zu zahlen.
Nur: Keiner tut es. Stattdessen gibt es Moderatoren, die von rechtlichen Gründen erzählen, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Hinterfragt man dies, erlebt man auf einfache Fragen diplomatische Verrenkungen und Senderverantwortliche, die lieber nicht zitiert werden wollen.
Warum verzichtet TV beim Fußball auf das Kurzberichterstattungsrecht?
„Das Kurzberichterstattungsrecht hat eine sehr große Bedeutung für den freien Informationsfluss in Europa“, betont ZDF-Sprecher Thomas Stange erstmal. Aber ungeachtet dessen, dass das ZDF auf seine Nutzung verzichtet: „Im Hinblick auf die Berichterstattung über die Bundesliga hat das ZDF mit der DFL einen Vertrag über die Übertragungsrechte geschlossen.“
Man habe „nicht vertraglich auf die Geltendmachung von Kurzberichterstattungsrechten verzichtet“, versichert Stanges Kollege Thomas Hagedorn auf Nachfrage. Allerdings sei es „völlig üblich, dass im Fall einer vertraglichen Regelung von Berichterstattungsrechten die gesetzliche Minimallösung eines Kurzberichterstattungsrechts nicht ohne Not in Anspruch genommen wird“.
Jeder Sender will seine Fußball-Rechte schützen - und verzichtet so
Das ZDF möchte die Rechte, für die es Millionen bezahlt hat, also gern allein auswerten. Wie auch die ARD und deren Anstalten. Wie auch RTL, Sport 1 oder der Bezahlsender Sky.
Obwohl das Fernsehpublikum Rundfunkgebühren für eine Grundversorgung auch mit Bundesliga-Toren bezahlt, lassen nicht nur private, sondern auch öffentlich-rechtliche Sender ihr Recht ungenutzt, sie zu zeigen.
„Würde ein Sender anfangen, sich auf das Kurzberichterstattungsrecht zu berufen“, beschreibt ein Medienrechtler, „könnte das schlagartig die Rechte aller entwerten.“
Kein Kurzberichterstattungsrecht - Praxis habe sich so eingespielt
Es gebe keine schriftlichen Vereinbarungen dazu, dass der Erwerber von Senderechten zusichere, das Kurzberichterstattungsrecht nicht zu nutzen, versichert ein leitender MDR-Mitarbeiter.
Die Praxis, nur zu zeigen, was man darf, und nicht, was man zeigen könnte, habe sich „wohl irgendwie so eingespielt und alle halten sich daran“.
Zum Nachteil der Fußballfans, die weniger Fußball bei weniger Sendern sehen als sie könnten. Alle derzeit ausgestrahlten Fußballbilder im deutschen Fernsehen beruhen so auf „vertraglichen Berichterstattungsrechten“, wie sie das ZDF nennt.
DFL und der Deutsche Fußballbund (DFB) kassieren direkt und indirekt bei jeder Sendeminute mit.
Ein Zustand, der auch nicht allen bei den Sendern gefällt. „Es wäre schon interessant, zu sehen, was passiert, wenn wir Ausschnitte aus Aue gegen Dresden in der 2. Liga bringen würden“, sagt der MDR-Mann, dessen Sender keine Lizenz für die 2. Liga hat.
Allerdings sei der MDR eben auch eine ARD-Anstalt. „Ich glaube nicht, dass wir von den Kollegen dafür Applaus bekommen würden.“
Kurzberichterstattungsrecht hat auch beim Fußball enge Grenzen
Der Frankfurter Rechtsanwalt Stephan Dittl, Experte für Urheber- und Medienrecht, weiß auch warum. Prinzipiell sei das Kurzberichterstattungsrecht zu dem Zweck geschaffen worden, die Öffentlichkeit mit Berichten über Ereignisse zu versorgen, bei denen die Übertragungsrechte exklusiv vergeben worden sind.
„Tennis aus Wimbledon mit Becker und Graf lief bei RTL, die Fußball-Bundesliga bei Sat1 und RTL“, beschreibt Dittl. Die Privatsender seien aber damals noch gar nicht überall zu empfangen gewesen. „Deshalb sollten die öffentlich-rechtlichen Sender zumindest in Ausschnitten berichten dürfen.“
Heute stehe eher das Pay-TV im Vordergrund, etwa wenn ab kommender Saison alle Spiele der Champions League ausschließlich im Bezahlfernsehen laufen.
Sender dürften theoretisch 90 Sekunden pro Fußballspiel zeigen
Sowohl nach deutschen als auch nach EU-Regelungen ist das Kurzberichterstattungsrecht allerdings „erheblich eingeschränkt“, wie Dittl erklärt. Statt ausführlicher Spielberichte lasse es nur eine „nachrichtenmäßige“ (deutsche Vorgabe) und in „allgemeine Nachrichtensendungen“ (EU-Vorgabe) eingebettete Berichterstattung zu, die auf 90 Sekunden begrenzt sei.
„Mit solchen 90-Sekunden-Berichten könnte man zwar durchaus auf die Idee kommen, eine ,Sportschau light’ auszustrahlen“, sagt der Jurist aus der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner, damit wird jedoch mit ziemlicher Sicherheit der „nachrichtenmäßige“ Charakter verlorengehen.“
Das Problem mit der EU-Vorgabe, dass eine Ausstrahlung nur in Nachrichtensendungen erlaubt ist, bleibe dann aber bestehen. Möglich sei eine „kurze Zusammenfassung des Spiels mit Toren und ein paar weiteren wichtigen Szenen“, wie sie die ARD-Tagesschau am Sonntagabend präsentiere.
Deren Berichte aber beruhen auf den bezahlten Lizenzen und Sublizenzen, nicht auf dem Kurzberichterstattungsrecht.
Verzicht auf Kurzberichterstattungsrecht - Rücksicht auf Veranstalter?
Jeder andere Sender könnte etwas ähnliches machen, ohne Rechte zu erwerben. Doch keiner tue es. „Man mag es sich ja nicht mit dem Veranstalter verscherzen, denn bei der nächsten Lizenzvergabe möchte man ja möglicherweise Rechte erwerben“, mutmaßt Dittl.
Dass Sender in ihren Verträgen freiwillig auf die Nutzung des Kurzberichterstattungsrechts verzichten, wird beim MDR wie beim ZDF zurückgewiesen. Es gebe keine solche Verpflichtungserklärung, heißt es.
Das war schon einmal anders, wie sich Stephan Dittl erinnert: „Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der ARD und der Kirch-Gruppe kam im Jahr 2001 heraus, dass die ARD ausdrücklich auf die Ausübung des Kurzberichterstattungsrechts vertraglich verzichtet hatte, wohl um bessere Konditionen für die vertraglich überlassenen Ausschnitte zu erhalten.“ (mz)