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2:2 der DFB-Elf gegen Ghana 2:2 der DFB-Elf gegen Ghana: Zwischen Stolz und Ratlosigkeit

Von Michael Krämer 22.06.2014, 11:52
Erschöpft und nicht ganz zufrieden: DFB-Kapitän Philipp Lahm nach dem Spiel gegen Ghana
Erschöpft und nicht ganz zufrieden: DFB-Kapitän Philipp Lahm nach dem Spiel gegen Ghana dpa Lizenz

Fortaleza - Die Rückkehr der Turnierspieler verzögert sich noch einmal. Minutenlang verharrt Bastian Schweinsteiger neben Joachim Löw. Bereit für die WM, die er bislang nur von der Bank verfolgt hat. Nun steht er an der Seitenlinie – und sieht von dort das Gegentor zum 1:2.  Ghana hat die Partie gedreht. Es läuft die 69. Minute, Schweinsteiger steht eine heiße Schlussphase bevor,  der Bundestrainer stellt ihm Miroslav Klose zur Seite. Zusammen laufen sie  ein in den Glutofen von Fortaleza.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Duell längst jede taktische Disziplin verloren. Bei noch immer mehr als 30 Grad stürmen beide Mannschaften tapfer über das Feld. Nichts ist mehr zu sehen von der neuen Langeweile im Mittelfeld, die den Weg der deutschen Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft in Brasilien geprägt hatte und in der ersten Hälfte ins Spiel zurückgekehrt war. Es ist überhaupt kein Mittelfeld mehr im beidseitig vogelwild ausgetragenen Kampf Abwehr gegen Angriff zu sehen.

Zwischen all den taumelnden Spielern unten auf dem Rasen der dampfenden Arena wirkt  Schweinsteiger wie ein Kompressor für das deutsche Spiel. Ein Notstromaggregat, angeschlossen kurz vor dem Energieverlust. Mit aufrechter Haltung und wütender Entschlossenheit zieht er das Spiel an sich. Dirigiert, fordert, marschiert.  Und hat Erfolg. Ein von Schweinsteiger erzwungener Eckball landet bei Klose, der mit seinem ersten Ballkontakt zum 2:2 einschiebt (71.).

Einen Moment lang wirkt es, als würden beide Mannschaften nun das Tempo drosseln. Den Körper schonen, Konzentration und taktische Disziplin wieder herstellen. Ein Irrglaube.

Die Geschwindigkeit nimmt noch einmal zu, die Hitzeschlacht verschluckt Positionen, setzt dafür letzte Energien frei. Deutschland greift an, Ghana stürmt. 12:19 Torschüsse. Ein epischer Angriffsregen vor 59621 von Hitze und Spannung  ebenfalls erschöpften Zuschauern, der schließlich durch den Schiedsrichter beendet wird. 2:2 (0:0). Ein Unentschieden als Lohn für einen grandiosen Kampf, der keinen Verlierer verdient hatte, von beiden Mannschaften aber hätte gewonnen werden können.

Die Beteiligten trotten ermüdet vom Platz, schwenken zwischen Stolz und Ratlosigkeit.

Auch Löw ist sich seiner Gefühlslage nicht sicher, wirkt zwiegespalten, als er das Erlebte zu analysieren versucht: „In der zweiten Halbzeit sind beide Mannschaften ein irrsinniges Tempo gegangen. Für die Zuschauer ein dramatisches, faszinierendes Spiel. Beide Mannschaften haben bedingungslos auf Sieg gespielt.“

Da bei einer Weltmeisterschaft des Zuschauers Freud oft des Trainers Leid bedeutet, war Löw nicht wirklich glücklich mit dem Spektakel: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir weniger Konterchancen zulassen.“

„Wir haben Ghana durch unsere Fehler ins Spiel zurückgebracht. Die zwei Gegentore waren geschenkt. Das darf bei einer WM nicht passieren. Für uns war das ein Wachmacher. Wir wissen jetzt, dass wir mit beiden Beinen auf den Boden gehören. Wir haben noch nichts erreicht.“

„Es war das erwartet schwere Spiel. Wir haben dem Gegner mit vielen Ballverlusten in die Karten gespielt. Angesichts der vielen Fehler müssen wir mit dem Unentschieden zufrieden sein. Gegen die USA müssen die Ballverluste minimieren. Das darf man sich nicht erlauben.“

„Wir haben geführt, dann haben wir zwei Tore aus dem Nichts bekommen. Aber die Mannschaft hat Moral bewiesen, dass sie noch einmal zurückgekommen ist. Die Spieler sind unheimlich erschöpft. Wir wollten einen offenen Schlagabtausch vermeiden. Wir wollten nach der Führung kompakt stehen. Wir haben es manchmal versäumt, den Zug zum Tor zu suchen, sind nicht hinter die Abwehr gekommen. Klose und Schweinsteiger haben das Spiel belebt. Man kann bei diesem Turnier nicht davon ausgehen, ständig in der Offensive zu sein. Eine stabile Defensive ist die Basis. Wir wollen aber das nächste Spiel gewinnen und Tabellenführer bleiben.“

„Das war ein echter WM-Fight in einer grandiosen Kulisse. Da muss man noch ein paar Mal durchatmen. Gut, dass Miro so schnell geantwortet hat. Ghana war ein unglaublich starker Gegner. Das ist die stärkste afrikanische Mannschaft.“

„Man will eigentlich reinkommen, wenn die Mannschaft vorne liegt. Wenn eine Mannschaft wie Ghana in Schwung kommt, ist es natürlich schwer. Wir haben es im Griff gehabt. Es war wärmer als beim Portugal-Spiel. Dadurch wurde es sehr laufintensiv. Egal ob ich von Anfang an spiele oder auf der Bank sitze: Alle Spieler sind wichtig. 20 WM-Spiele, 15 Kisten sind schon nicht schlecht.“

„Bei den Bedingungen haben wir das über große Strecken sehr, sehr gut gemacht. Wir haben zwei Gegentore bekommen, die wir nicht hätten kriegen dürfen. Wir werden regenerieren, bereiten uns vor und holen die drei Punkte gegen die USA.“

„Ich habe immer an uns geglaubt, weil wir bis zum Schluss kämpfen. Es wird aber nicht leicht sein, das Achtelfinale zu erreichen, Wir haben nur einen Punkt. Es sind noch einige Spiele in unserer Gruppe zu spielen. Es wird schwer, aber es ist möglich.“

„Es waren anstrengende 90 Minuten. Das Wetter darf keine Ausrede sein. Wir waren nicht so aggressiv und haben die Räume zu groß gemacht. Aber wir hatten über 90 Minuten die klareren Torchancen. Insgesamt können wir nicht zufrieden sein. Wir haben schon vor Wochen gesagt: Spieler, die reinkommen, müssen immer frischen wird bringen. Das haben sie heute getan.“

„Wenn man das Spiel über 90 Minuten sieht, war es ein Kampf. Wir haben taktisch nicht abgerufen, was wir wollten. Positiv war, dass wir uns wieder zurückgekämpft haben. Es war unter dem Strich ein verdientes Unentschieden. Aber wir haben es selbst in der Hand.“

Philipp Lahm versteht Löw, der vor dem Spiel vehement vor einem „offenen Schlagabtausch“ gewarnt hatte.  Auch der Kapitän, der im Zentrum erneut nicht wirklich überzeugte, konnte die Schlussphase noch nicht wirklich einordnen: „So wie es aussieht, haben wir nicht wirklich überlegt. Wir haben Ghana noch zwei Riesenmöglichkeiten gegeben. So offen wollten wir das Spiel nicht gestalten. Wenn es hin und her geht, spielt man taktisch nicht gut, dann ist die Mannschaft zweigeteilt.“

Neben den hemmungslos aufspielenden und eindrucksvoll marschierenden Ghanaern fanden die deutschen Nationalspieler nur eine Erklärung für den Kontrollverlust. „Die Wärme war enorm“, sagte Lahm. Mesut Özil empfand es „noch wärmer, als gegen Portugal“ und stellte fest, dass „einige Spieler keine Kraft mehr hatten und die Spritzigkeit fehlte.“ Aber auch: „Das soll keine Ausrede sein, wir haben vor den Toren zwei Fehler gemacht.  Das darf uns nicht passieren, wenn wir Weltmeister werden wollen.“ Oliver Bierhoff nahm die Spieler in Schutz, vor allem Lahm, der mit einem irritierenden Ballverlust das 1:2 verschuldet hatte. „Die Fehler sind auf die Müdigkeit zurückzuführen. Wenn du schlapp und müde wirst, gelingen auch die einfachsten Pässe nicht“, sagte der Manager.

Lahm hatte allerdings auch gegen Portugal und zu Beginn des Spiels auf seiner neuen Position gepatzt. Nach der Pause  und dem verletzungsbedingten Aus von Rechtsverteidiger Jerome Boateng hielt Löw dennoch an der neuen Grundordnung fest. Statt Lahm nach rechts zu schieben und Schweinsteiger ins ohnehin führungslose Zentrum zu stellen, brachte der Bundestrainer Shkodran Mustafi für Boateng. Die spielphilosophische Treue  wurde gleich doppelt bestraft: Erst glich André Ayew nach einem Fehler von Mustafi das Führungstor von Mario Götze (51.) aus, dann traf Asamoah  Gyan nach Lahms Ballverlust zum 2:1 für Ghana (63.). 

Es drohte ein von Löw vercoachtes Spiel, bis der Bundestrainer dem mitreißenden Duell durch den Doppelwechsel abermals eine neue Wendung gab, und Schweinsteiger und Klose die Ausgangslage vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen die USA deutlich verbesserten.