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Biathlon Biathlon: Franziska Hildebrand auf dem eigenen Weg

Von Christoph Karpe 02.11.2015, 20:46
Die Biathletin Franziska Hildebrand aus Köthen während eines Wettkampfs.
Die Biathletin Franziska Hildebrand aus Köthen während eines Wettkampfs. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Der Quattro ist ein wirklich flottes Auto. Franziska Hildebrand ist in ihrem nagelneuen silbernen Flitzer, den sie erst mittags vom Sponsor der deutschen Biathlon-Nationalmannschaft bekommen hat, die Autobahn A 9 von Herzogenaurach hoch gen Norden gedonnert. So schnell es Geschwindigkeitsbeschränkungen und Baustellen zuließen.

Auf dem Weg zur Familie in Köthen nimmt sie sich Zeit für einen Zwischenstopp am Einkaufszentrum in Günthersdorf. Und beim Termin mit der MZ überrascht sie und gönnt sich einen dicken Burger. „Ab und zu ist das erlaubt“, sagt die 28-Jährige aufgeräumt. „Zuhause muss die Mama noch arbeiten, und Papa hat maximal Brot gekauft“, sagt sie in Erwartung eines spartanischen Abendbrots lachend.

Franziska Hildebrand freut sich unbändig auf die Familie, die sie so selten sieht. Was natürlich ursächlich mit ihrem Sport und speziell ihrem persönlichen Stellenwert zusammenhängt. Im letzten Winter ist Hildebrand, die als 14-Jährige aus dem flachen anhaltinischen Land auszog, um als Biathletin Karriere zu machen, endgültig in der Weltspitze angekommen: Fünfte des Gesamtweltcups - als beste Deutsche, die Ränge sechs und zehn in den Einzelrennen der WM von Kontiolahti in Finnland und dort als Krönung Gold mit der Staffel. „Die Nationalhymne auf dem Siegerpodest zu hören und davor die jubelnden Menschen inklusive der Kollegen zu sehen - das war ein unheimlich ergreifender Moment“, erinnert sie sich.

Mutter der Kompanie?

Es war der 13. März, an dem die tiefen Glücks-Gefühle für so viele Entbehrungen zuvor entschädigten. Für einen zentralen Platz im Rampenlicht reichte es dennoch nicht so recht. Die forsche Laura Dahlmeier, hinter der Franziska Hildebrand in Nove Mesto im Weltcup-Sprint Zweite geworden war, ist der Schlagzeilen-Liebling. Oder auch der blonde Sonnenschein Miriam Gössner - trotz oder wegen ihrer mitleiderregenden Schießeinlagen. „Franzi hat den jungen Athletinnen so viel Schatten gespendet, dass sie sich in Ruhe entwickeln konnten“, beschrieb Bundestrainer Gerald Hönig im vergangenen Winter einmal den Wert der ältesten Athletin im Team.

Das klingt bei allem Lob nach einer Mutter-der-Kompanie-Rolle, nach Franzi, der Zuverlässigen, nach Franzi der Mitläuferin.

Franziska Hildebrand fühlt sich selten treffend beurteilt. Da kommt meist vieles als Klischee daher. Natürlich ist sie Teamplayer, gern sogar. Aber zugleich ist sie eine selbstbewusste und vor allem selbstbestimmte Athletin, die ehrgeizig sagt: „Natürlich sind wir eine prima Mannschaft, in der das Klima so gut wie lange nicht ist. Doch gleichzeitig sind wir auch alle Konkurrentinnen. Jede kämpft für sich.“ Also gibt es so etwas wie eine allerbeste Freundin in der Mannschaft auch nicht.

Selbstbestimmtes Training

Sportlich macht sie in Ruhpolding, wo sie lebt, sowieso ihr Ding für sich selbst. „Ich gehe meinen eigenen Weg, weil ich immer davon überzeugt sein muss, von dem was ich mache - überzeugt davon sein muss, dass es mich vorwärts bringt“, sagt sie.

So habe sie in den letzten Jahren gelernt, etwa das Training zu dosieren. „Ich arbeite nicht mehr bloß Vorgaben ab. Wenn mein Körper mir signalisiert, dass er jetzt mal eine richtig knackige Einheit gebrauchen kann, dann habe ich Spaß daran, auch hintereinander weg zehnmal 400 Meter zu laufen“, erzählt sie von der unbedingten Bereitschaft zur Schinderei, die in diesem so harten Sport Grundvoraussetzung ist. Aber: „Wenn ich mich nicht so recht fühle, nehme ich mir auch eine Pause. Weil ich weiß, dass in diesem Moment eine hohe Belastung eher schädlich ist.“

Das Prinzip der Eigenverantwortung hat sie von ihrem ehemaligen Trainer in Ruhpolding, Ricco Groß, übernommen. Der kehrte im Sommer jedoch dem deutschen Verband den Rücken, weil er sich in seiner Arbeit nicht geschätzt genug fühlte. Groß arbeitet nun als Nationaltrainer für das russische Männer-Team. Franziska Hildebrand kann den Schritt nachvollziehen, doch der Weggang des Vertrauten spornte sie zugleich zu noch mehr Selbstständigkeit an.

Dazu passt ihr neues Studium perfekt. In Erding bei München widmet sich die Sportsoldatin in ihrer knappen Freizeit der Wirtschaftspsychologie. Ein Aspekt: „Man begleitet Menschen auf dem Weg zu einer Antwort, die sie eigentlich kennen. Es geht nicht darum, die Antwort vorzugeben.“

Die Antwort auf die Frage, was sie sich denn für neue Ziele stellt, kommt prompt: „Ich möchte endlich im vierten Jahr im Weltcup einen Einzelwettbewerb gewinnen, bei der WM in Oslo mit dem Team Staffelgold verteidigen und dort auch eine Einzelmedaille holen“, sagt Franziska Hildebrand.

Das klingt so ambitioniert wie realistisch. Dafür hat sie sich nach einem Urlaubs-April voller Sponsoren-Termine und einer einwöchigen Mittelmeer-Kreuzfahrt mit Papa Wolfgang seit Mai geschunden. Ihr Ausrüster entwickelte neue, explosivere Karbon-Ski, das Gewehr hat einen neuen, passgenaueren Schaft. „Das Material passt - und im Training bin ich voll im Soll“, sagt Franziska Hildebrand.

Nominiert für den Weltcup

Das sehen auch die Trainer so. Am Montag wurde Franziska Hildebrand neben Laura Dahlmeier und Franziska Preuß als Fix-Starterin für den Weltcup-Auftakt am 29. November im schwedischen Östersund nominiert. Wer die restlichen drei Plätze erhält, darüber entscheiden die Leistungen im Trainingslager ab kommender Woche im norwegischen Sjusjoen. „Ich freue mich darauf, dass es jetzt wieder losgeht“, sagt Franziska Hildebrand, die zudem als einzige Läuferin für das nachweihnachtliche Biathlon-Spektakel auf Schalke gesetzt ist.

„Nur schade, dass ich erst zu den Feiertagen wieder zu Hause sein kann“, sagt sie am Ende der Plauderstunde. Und gibt dann ihrem Quattro auf den letzten Kilometern nach Köthen die Sporen. Bleibt eine Frage: Hat der Papa wirklich wenigstens Brot eingekauft? (mz)

Schicke Abendgarderobe statt Skianzug: Franziska Hildebrand bei der Verleihung des Bayerischen Sportpreises im Juli in München
Schicke Abendgarderobe statt Skianzug: Franziska Hildebrand bei der Verleihung des Bayerischen Sportpreises im Juli in München
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