Vier Tornados in zwei Wochen Vier Tornados in zwei Wochen: Das hat es mit den Ungetümen über Deutschland auf sich

Hamburg - Mehr als 3000 Unwetterwarnungen hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) in den vergangenen beiden Wochen herausgegeben. „Das ist ein Rekord, seit es das Warnsystem auf Landkreisebene gibt“, sagt der Tornado-Beauftragte Andreas Friedrich. Seit rund 15 Jahren gibt der Wetterdienst Warnungen für einzelne Landkreise heraus. Seit 26. Mai toben die Unwetter über Deutschland. Mindestens vier Tornados hat es nach Einschätzung des DWD in dieser Zeit gegeben.
Inzwischen sind sich die Experten einig, dass es auch am Dienstag ein Tornado war, der in Hamburg eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Er habe sehr kleinteilig und lokal begrenzt gewütet und daher nur vergleichsweise geringe Schäden angerichtet. Offiziell bestätigt waren bis dahin lediglich drei vom 5. Juni – einer in Butzbach in Mittelhessen, zwei in Schleswig-Holstein. Der Wetterdienst geht davon aus, dass es mehr gab. Es gebe etliche Verdachtsfälle.
Warum kann man die Zahl nicht genau bestimmen?
Weil es sich bei Tornados um sehr kurzfristige Wetterphänomene handelt, die in der Regel unentdeckt bleiben, weil sie etwa nur auf ein unbebautes Gebiet treffen.
Was ist ein Tornado?
Nichts anderes als eine Luftsäule mit Bodenkontakt, die um eine mehr oder weniger senkrecht orientierte Achse rotiert und sich unter einer cumuliformen Wolke befindet, so die Erklärung des Deutschen Wetterdienstes. Man bezeichnet ihn auch als Großtrombe oder Windhose, wenn er über Land zieht, als Wasserhose über dem Meer oder großen Binnenseen. Im englischen Sprachraum wird er „Twister“ genannt.
Wie entsteht er?
Voraussetzung sind starke Temperatur-Gegensätze, durch die Luft aufsteigt oder gehoben wird. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn feuchtwarme Hochdruckluft von einem feuchtwarmen Atlantiktief abgelöst wird. Dann entstehen schwere Gewitter und lokale Wirbelstürme werden möglich. Durch frei werdende Kondensationswärme und eine starke vertikale Windscherung entsteht ein rotierender Aufwindschlauch, der einen Durchmesser von mehr als einen Kilometer erreichen kann. Dabei können Windgeschwindigkeiten von mehreren hundert Kilometern pro Stunde auftreten.
Welche Schäden kann ein Tornado anrichten?
In der Regel verwüstet er längs seiner Zugbahn einen Streifen von mehreren hundert Metern Breite. Dieser Streifen wird Asgardsweg genannt. Die Stärke von Tornados wird anhand der Fujita-Skala festgelegt. Sie umfasst 13 Stufen von F 0 bis F 12, wobei F 6 bis F 12 nur theoretische Werte sind. Die stärkste bisher beobachtete Tornadoklasse (F 5) mit Windgeschwindigkeiten von etwas mehr als 500 Stundenkilometern trat bisher nur sehr selten auf. Die Kategorie F 0 wurde eingeführt, um auch Tornados mit Geschwindigkeit unter 117 Stundenkilometern messen zu können.
Im Zusammenhang mit Tornados ist auch immer wieder von Superzellen die Rede. Was ist das?
Superzellen sind in ihrer mächtigsten Ausprägung die räumlich und zeitlich größten und gefährlichsten Gewittergebilde. Sie können an ihrer Basis einen Durchmesser von 20 bis 50 Kilometer erreichen. Verheerende Tornados (F 4/F 5) entstehen meist im Zusammenhang mit so genannten Superzellen. Das durch Tornados am meisten bekannt gewordene Gebiet ist die sogenannte Tornado-Alley im Mittleren Westen der USA. Dort trifft häufig trocken-kalte Luft aus dem Norden mit feucht-warmer Luft aus der Region des Golfes von Mexiko zusammen. In Mitteleuropa sind solch extreme Luftmassen-Unterschiede seltener.
Wächst die Zahl der Wirbelstürme in Deutschland?
Laut Wetterdienst ist das nicht nachweisbar, weil sie mit dem Radar nicht zu erfassen sind. Der „Beobachtungseffekt“ spiele eine Rolle, sagt DWD-Experte Andreas Friedrich: „Gefühlt gibt es mehr Tornados, weil mehr erkannt werden.“ Mit Handy-Kameras und Webcams würden mehr davon dokumentiert. Nach seinen Schätzungen gibt es pro Jahr in Deutschland einige Dutzend Tornados.
Warum ist die Vorhersage so schwierig?
Dass Unwetter drohen, ist laut Wetterdienst schon Tage im voraus zu erkennen. Aber wo genau der Starkregen mit mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter niedergehe, lasse sich meistens erst wenige Minuten vorher sagen. Feuerwehr und Katastrophenschutz seien direkt mit dem DWD vernetzt und erhielten über eigene, ausfallsichere Systeme ständig Informationen und könnten Warn-Meteorologen auf Hotlines erreichen. Wenn eine extreme Unwetterlage erkennbar sei, richte der DWD Extraschichten ein.
Unwetterschäden an Häusern oder Wohnungen übernehmen Gebäudeversicherungen oft nur teilweise. Immobilienbesitzer sollten daher ihre genaue Vertragsbedingungen kennen. Typische Wohngebäudeversicherungen decken in der Regel Sturm- und Hagelschäden sowie Blitzeinschläge ab. Schäden durch Überschwemmungen tragen sie nur, wenn ergänzend auch eine Elementarschadenversicherung vereinbart wurde.
Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft werden Elementarschadensoptionen heute beim Abschluss einer neuen Wohngebäudeversicherung meistens automatisch mit angeboten, können von den Kunden aber abgewählt werden. Bei alten Verträgen fehlt dagegen oftmals ein Versicherungsschutz gegen Erdrutsche, sehr starken Schneefall oder die Sturzfluten aus überlaufenden Bächen und Gullys.
Bei Schäden an geparkten oder stehenden Autos greift die Teilkaskoversicherung. Das gilt etwa für Beulen, die durch umstürzende Bäume oder Hagelschlag entstehen. Auch bei plötzlichen Überschwemmungen etwa in Tiefgaragen übernimmt sie die Schäden. Wird ein Auto während der Fahrt von Bäumen oder Ästen getroffen, kommt es auf die genauen Umstände an. Stürzen Gegenstände plötzlich vor das Fahrzeug auf die Straße, greift die Teilkaskoversicherung. Liegen Hindernisse allerdings schon länger auf der Straße, hilft nach Angaben des ADAC nur eine Vollkaskoversicherung. (afp)
Welche Regionen sind besonders anfällig?
Grundsätzlich kann jede Region in Deutschland von einem Tornado oder einem Unwetter heimgesucht werden. Besonders heftig könne Starkregen in bergigen Gebieten ausfallen – etwa im Erzgebirge, an den Alpen oder im Schwarzwald. Dort stauen sich Regen- und Gewitterwolken, der Niederschlag fällt intensiver aus als anderswo.
Sind die Unwetter ein Beweis für den Klimawandel?
„Nein. Das können wir mit Bestimmtheit heute noch nicht sagen“, sagt Andreas Friedrich. „Wenn wir über das Klima reden, müssen wir Datenreihen über 30 Jahre betrachten. Wir messen Wetterdaten zwar schon seit mehr als 100 Jahren, verfügen aber erst seit 15 Jahren über Radardaten.“ Damit könne man flächendeckend in Deutschland sehen, wo und wie stark es geregnet habe. Die Auswertung der vergangenen 15 Jahren zeigten, dass der Starkregen zunimmt. „Aber das ist noch kein Klimawandel. Um den zu konstatieren, müssen wir noch über viele Jahre Daten sammeln und auswerten.“
Aber unwahrscheinlich ist das nicht?
„Für die Zukunft müssen wir natürlich davon ausgehen, dass sich das Klima erwärmen wird“, so Friedrich. „Für unser Wetter bedeutet das: Die Extreme werden zunehmen. Das betrifft die Spitzenmengen an Niederschlag, die an einem Tag fallen.“ Auch Tornados könnten dann heftiger ausfallen. Die Zahl der Unwetter werde aber nicht zunehmen. „Wir werden auf der anderen Seite mit extremen Hitzeperioden zu kämpfen haben.“ Temperaturen von mehr als 40 Grad über einen längeren Zeitraum seien zu erwarten. „Dann ist das Unwetter die Hitzeperiode, die uns zu schaffen machen wird.“