Üble Nachwirkungen Üble Nachwirkungen: Zu viele Arzneimittel gelangen ins Abwasser

Berlin/dpa. - Werden siezum Fluch für die Umwelt? Mit dieser Frage beschäftigten sichExperten aus ganz Deutschland auf einem Kolloquium der GottliebDaimler- und Karl Benz-Stiftung in Berlin. «Die analytische Chemiehat enorme Fortschritte dabei gemacht, selbst geringste Mengen imWasser nachzuweisen. Aber über die Wirkungen haben wir noch keineKlarheit», sagt der Leiter der Tagung «Heil-Lasten», Prof. FritzFrimmel von der Universität Karlsruhe.
So viel jedoch wissen die Wissenschaftler verschiedensterFachrichtungen schon: Das Gros der kritischen Stoffe rutscht durchsKlo. Bis zu 95 Prozent der eingenommenen Wirkstoffe werden vomPatienten wieder ausgeschieden. Aber auch nicht benötigte Zäpfchen,Tabletten und Co werden oft durch die Toilette entsorgt oder landenauf dem Hausmüll. Schätzungsweise insgesamt vier tausend Tonnen proJahr. «Aber kommunale Kläranlagen sind nicht gerade vorrangig dafürbestimmt, Rückstände von Spurenstoffen im Nano- oderMikrogrammbereich je Liter zu entfernen», gibt Thomas Heberer vomBundesinstitut für Risikobewertung zu bedenken.
In den seit den 70er Jahren durchgeführten Messungen in Gewässernkonnten bisher mehr als 100 verschiedene Arzneiwirkstoffe oder derenAbbauprodukte nachgewiesen werden - in Flüssen entspricht dieBelastung in etwa derjenigen durch Pflanzenschutzmittel und kann imGrundwasser sogar darüber liegen. Noch spannender dürfte es werden,wenn künftig immer mehr biotechnologisch entwickelte Arzneienhinzukommen. «Für diese neuen Umweltschadstoffe überwiegt derzeit dastoxikologische Nichtwissen», resümiert Tamara Grummt, Toxikologin imUmweltbundesamt.
Östrogene aus Antibabypillen stehen seit längerem im Verdacht, beimännlichen Fischen die Bildung weiblicher Geschlechtsorganehervorzurufen. «So viel ist klar: Der erste Effekt derArzneimittelrückstände ist im Tierreich zu beobachten», betontFrimmel. Aber auch Antibiotika konnten in der ganzen Welt imgeklärten Abwasser nachgewiesen werden. Und hier droht vor allem vonden Krankenhäusern Gefahr. «Auch antibiotika-resistente Bakterien ausdem Krankenhausabfall geraten in den Kreislauf», sagt Frimmel.Derzeit gebe es nur eine Hand voll Kliniken in Deutschland, die dafürsorgen, dass die Ausscheidungen ihrer Patienten nicht ungeklärt insAbwasser gelangten.
«Dabei gibt es schon viele Ansätze, beispielsweise spezielleKloschüsseln, in denen der Urin separiert und vorbehandelt wird. Unddie abgetrennten Phosphate und Harnstoffe könnten sogar zuDüngezwecken eingesetzt werden.» Abhilfe könnte aus Frimmels Sichtzum einen eine umfassendere Umweltprüfung der Medikamente schaffen.Aber auch die Pharmaproduzenten seien gefragt, die schon bei derHerstellung der Medikamente mehr auf die Umweltfolgen achten sollten.Einige ermutigende Beispiele gebe es bereits, beispielsweise dieRückgewinnung von Jod bei der Produktion eines biologisch schlechtabbaubaren, Jod-haltigen Röntgenkontrastmittel.
Neue Verfahren bei der Abwasserreinigung undTrinkwasseraufbereitung kommen hinzu, etwa die Behandlung mit Ozon.Und nicht zuletzt müsse der Patient stärker mitwirken - indem er etwanicht benötigte Arzneimittel in die Apotheke bringt. «Aber vor allembrauchen wir dazu eine solide und wahrhaftige Informationspolitik»,fordert Frimmel. «Bei den Anwendern beginnt die Problematik Fuß zufassen. Ich schätze, das erste Drittel der Wegstrecke haben wirhinter uns.»