Tiere Tiere: Plagegeister auf dem Vormarsch

Potsdam/dpa. - Sie tun sich am Pflaumenkuchen gütlich, nippen ander Cola und machen auch vor Schinkenbrötchen nicht halt. Wespenvergällen derzeit hier zu Lande vielen das Frühstück auf dem Balkonoder das Picknick im Grünen. «Die Wespen fallen uns erst dannunangenehm auf, wenn sie ihre Waben aufgeben und herumvagabundieren»,erklärt Holger Dathe, Leiter des Deutschen Entomologischen Institutsim brandenburgischen Müncheberg. «In diesem Jahr scheint der Auszugaus den Nestern früher einzusetzen.» Dank der Feuchtigkeit imFrühjahr gediehen die Vegetation und damit Pflanzenfresser wieRaupen, Fliegen und Blattwespen - eine beliebte Beute der Wespen. DieVölker der wehrhaften Hautflügler konnten sich so prächtigentwickeln.
Von einer echten Plage könne allerdings derzeit nirgends inDeutschland die Rede sein, betonen unisono der Insektenkundler undsein Kollege Wohlert Wohlers von der Biologischen Bundesanstalt (BBA)in Braunschweig. «Die eigentliche Wespenschwemme dürfte erst noch aufuns zukommen, denn normalerweise verlassen die Insekten gegen EndeSeptember ihre Nester», meint Wohlers. «Während die Männchen sich mitden Königinnen vergnügen und bald absterben, genießen dieArbeiterinnen bis zum Herbst die Rente. Wenn sie auf unserenPflaumenkuchen kommen, versüßen sie sich sozusagen auf eigene Faustihren Lebensabend.»
So mancher bricht dann angesichts der hartnäckig um denKaffeetisch sirrenden Plagegeister wild mit den Armen fuchtelnd inPanik aus. «Das ist genau die falsche Methode. Wespen sind eigentlichfriedlich und freundlich, wenn man sich gemessen bewegt», erklärtDathe. «Sie greifen nur an, wenn sie sich bedroht fühlen; der Menschpasst ja nicht in ihr Beuteschema.»
In Deutschland gibt es mehr als ein Dutzend Wespenarten. Jene, mitdenen der Mensch um die Lufthoheit über der Kaffeetafel kämpft, sindzumeist so genannte soziale Faltenwespen, Staaten bildendeStechwespen, meist die gemeine Wespe (Vespula vulgaris) und diedeutsche Wespe (Vespula germanica). Zur Zahl der in Deutschlandlebenden Wespenvölker gibt es nach den Worten der Wissenschaftlerkeine Schätzungen.
Im Gegensatz zu den Bienen gründen Wespen jedes Jahr einen neuenStaat. Jeweils 10 bis 500 Tiere schließen sich dabei zusammen,während es bei den Honig sammelnden Immen um die 20 000 sein können.Ihre Nester sind maximal faustgroß, selten einmal fußballgroß. Nurdie befruchteten Jungköniginnen überwintern, die Arbeiterinnen unddie Drohnen sterben vorher. Das negative Image der Wespen sei nichtgerechtfertigt, meint Dathe: «Es sind intelligente Tiere, diegemeinsam Feinde abwehren und die Brut aufziehen.» AlsInsektenvertilger seien Wespen durchaus nützlich, betont Wohlers.Deshalb sollte niemand grundlos Wespennester zerstören.
«Wespen ernähren ihre Brut von Fleisch, vor allem von Fliegen, diesie mit ihrem Gift lähmen und zum Nest schleppen», erläutert Dathe.Mit ihren kräftigen Beißwerkzeugen zerkauen sie die Beute zu einemBrei, den sie an die Jungen verfüttern. «Dadurch werden die Räuberallerdings auch zu einem Problem für die menschliche Gesundheit -beim Verzehr der Fliegen können sie sich mit Fäulnispilzen undBakterien anstecken», warnt der Entomologe. Lebensmittel, auf diesich Wespen gesetzt haben, drohen zu schimmeln oder zu faulen.
Wer einmal von einer Wespe gestochen worden ist, wird denbrennenden Schmerz nicht so bald vergessen. Ihre schwarz-gelbenStreifen sind deshalb auch für Tiere eine regelrechte Warnfarbe.Selbst Vögel verspeisen nur ungern Wespen. «Die Raubinsekten sinddamit so erfolgreich, dass Schwebfliegen sogar ihre Färbungnachgeahmt haben», erläutert Wohlers. Zu seinem Verhalten bei einemWespen-«Angriff» gefragt, meint der Experte: «Ich bin ganz ruhig, nurmeine Frau ist es nicht.»