Spanien Spanien: Wie ein Luchs-Häufchen zu einem Politikum wird

Madrid/dpa. - Sie stammten, wie Laboranalysenzeigten, von einem Pardell-Luchs. Ein Exemplar der am stärksten vomAussterben bedrohten Raubtierart der Welt in der Umgebung derspanischen Hauptstadt - dies wäre für sich genommen schon eineSensation. Denn bisher waren die Experten davon ausgegangen, dass dieRaubkatze nur noch im Süden Spaniens vorkommt.
Heikel wurde die Angelegenheit dadurch, dass das Häufchen in einemWaldgebiet gefunden wurde, in dem die Regierung der Region Madrideine vierspurige Schnellstraße plant. Das Projekt ist eines der amheftigsten umstrittenen Vorhaben in Spanien. Die sozialistischeUmweltministerin Cristina Narbona appellierte an dieRegionalregierung, den Kot-Fund zum Anlass zu nehmen, dasStraßenprojekt zu stoppen: «Wir tun im Umweltministerium alles, umden Pardell-Luchs vor dem Aussterben zu bewahren. Nun sollten wir unszusammensetzen und die neu entstandene Lage erörtern.»
Die Chefin der konservativen Regionalregierung, Esperanza Aguirre,ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und erteilte wenige Tagespäter einem Firmenkonsortium den Auftrag zum Bau der Schnellstraße.Die entdeckten Exkremente tat die Politikerin ab mit der Bemerkung:«Vielleicht hat jemand den Kot von einem gefangenen Luchs im Walddeponiert.»
Der Pardell-Luchs (Lynx pardinus) kommt nur in Spanien vor undwird daher auch Iberischer Luchs genannt. Er ist etwas kleiner alssein Verwandter, der eurasische Luchs (Lynx lynx). Von der Artexistieren heute weniger als 200 Exemplare. «Wenn es in demWaldgebiet bei Madrid einen Pardell-Luchs gibt, muss es mehreregeben», sagt der Ökologie-Professor Emilio Virgós. «Wenn sich dasVorkommen von Pardell-Luchsen bestätigt, sollte man auf dasBauprojekt verzichten.»
Der Wissenschaftler hatte bei einer Untersuchung derWildtierbestände mit zwei Kollegen Proben gesammelt und die Luchs-Exkremente zufällig entdeckt. Die spanischen Umweltschützer sehensich durch den Fund in ihren Protesten gegen das Straßenprojektbestätigt. Sie hatten das Vorhaben bereits bei der Europäischen Unionin Brüssel angefochten, weil nach ihrer Ansicht EU-Richtlinienverletzt wurden. Ein wissenschaftliches Gutachten hatte 1998bescheinigt, dass der Bau der Schnellstraße verheerende Folgen fürdie Umwelt hätte. Aguirres Amtsvorgänger Alberto Ruiz Gallardón ließdas Vorhaben damals auf Eis legen.
Das von der Nachfolgerin neu aufgegriffene Projekt ist in Spanienunter dem Namen «Landstraße der Talsperren» bekannt. Die Route führtvon der Hauptstadt zu mehreren Stauseen, in denen die Madrilenen imSommer Abkühlung suchen und deren Ufer die «Playa von Madrid» genanntwerden. Bisher gibt es dort nur eine Landstraße, die nun zur Autobahnausgebaut werden soll. Sie verläuft durch ein Waldgebiet, das alseines der ökologisch wertvollsten in der Region gilt. Dort lebenunter anderen Schwarzstörche und Kaiseradler. Dass dort auch Pardell-Luchse vorkommen, wurde immer wieder vermutet, konnte aber nienachgewiesen werden.
Aguirre begründet das Autobahnprojekt damit, dass die zweispurigeLandstraße zu unfallträchtig sei. Die Gegner wenden dagegen ein, derBau der Schnellstraße werde einen Immobilien- und Bauboom in denDörfern der Umgebung auslösen. «Die Folge wird sein, dass dieAutobahn zehn Jahre nach der Fertigstellung überlastet sein wird»,prophezeit der Wissenschaftler Ignacio de la Riva.