Plötzlich gelähmt Schlaganfall mit 24 Jahren: Das gewohnte Leben von Jill Frenz endet mit einem Schlag

Lippstadt - Ich bin auf dem Weg nach Hause, als es in meinem linken Arm plötzlich kribbelt. So wie tausend Ameisen. Aber das geht bestimmt gleich wieder, ich setze mich trotzdem ins Auto. Jetzt kommen auch noch Schwindel und Übelkeit dazu. Doch lieber mal rechts ranfahren. Ich versuche, den Blinker zu setzen, aber meine linke Hand gehorcht mir nicht mehr. Einatmen, ausatmen. Aber so sehr ich mich auch bemühe, ich schaffe es nicht, den Hebel umzulegen. Jetzt steigt Panik in mir hoch. Was ist los mit mir? Es gelingt mir irgendwie, zu Hause anzurufen.
„Hast du getrunken?“ fragt mein Vater am Telefon. Ich stelle mir vor, wie erleichtert ich wäre, wenn tatsächlich bloß Alkohol der Grund für mein Körperchaos wäre. Gleichzeitig bin ich beleidigt, dass mein Vater mir scheinbar zutraut, mich alkoholisiert hinters Steuer zu setzen. Nein, Alkohol kann ich ausschließen. Stocknüchtern und verzweifelt schluchze ich in den Hörer: „Ich weiß nicht, was los ist, aber ich glaube, irgendetwas ist in meinem Kopf kaputt gegangen, Papa...“
24-Jährige erleidet Schlaganfall: So nahm Jill Frenz die Diagnose auf
Meine Eltern bringen mich ins Krankenhaus. Eine Computer-Tomographie später teilen uns die Ärzte das Unfassbare mit: „Frau Frenz, Sie hatten einen schweren Schlaganfall.“ Bitte, was?!
Schlaganfall. Das kriegen doch nur alte Menschen. Oder Raucher. Oder Trinker. Eben die, die nicht gesund leben. Ich jedenfalls nicht. Ich bin 24, rauche nicht, ernähre mich gesund. Und trotzdem ist mein Körper plötzlich durchgedreht. So fühlte es sich jedenfalls an, an diesem Samstagnachmittag im April vor einem Jahr.
Meine Mutter glaubt, die Ursache für den Schlaganfall sofort zu kennen: „Du hattest einfach zu viel Stress, Kind. Es war klar, dass das irgendwann zu viel wird.“ Klar, ich hatte zu viel Stress, neben meinem Studium haben mich sechs Nebenjobs bei Radio- und TV-Sendern ständig auf Trab gehalten. Aber habe ich deswegen einen Schlaganfall bekommen? Die Ärzte sagen mir, dass Stress zwar kein primärer Auslöser eines Schlaganfalls sein kann, aber zu verdicktem Blut und Bluthochdruck führt - was wiederum das Schlaganfallrisiko erhöht. In meinem Fall war der eigentliche Übeltäter aber meine rechte Halsschlagader. Sie wurde porös und brachte ein Blutgerinnsel hervor, das dann in mein Gehirn wanderte und dort einen Infarkt ausgelöst hat.
Plötzlich todkrank: Ein Blutgerinsel brachte das Leben von Jill Frenz durcheinander
„Man nennt das einen ischämischen Schlaganfall“, erklärt mir der Chefarzt dann den genauen Namen meiner Erkrankung. Mein Vater, der sich bei Google näher darüber informiert, erzählt mir, dass auch der Sänger Roger Cicero diese Art von Schlaganfall erlitten hatte. Moment, war der nicht erst kürzlich daran gestorben? Super, danke für die Info, Papa...
Ein Blutgerinnsel verstopft während eines ischämischen Schlaganfalls eine Ader im Gehirn, was die Sauerstoffzufuhr einige Zeit lang verhindert und zahlreiche Zellen absterben lässt. Bei mir fand das in der rechten Hirnhälfte statt, weswegen die linke Körperhälfte gelähmt ist. Immerhin kann ich mich noch normal mitteilen, denn das Sprachzentrum sitzt in der linken Hirnhälfte. Halbseitig gelähmt liege ich im Krankenhausbett im westfälischen Lippstadt, als eine Schwester zu mir kommt und mir die neuesten MRT-Aufnahmen zeigt: „Dir droht leider noch ein schwererer Schlaganfall und wir müssen dich in die Uniklinik nach Münster fliegen, da wir das hier nicht operieren können.“
Auch das noch. Bitte keine Operation. Ich habe totale Panik, dass sie mir meine Haare abrasieren und den Kopf aufschneiden, aber die Schwester beruhigt mich und erklärt, dass die Ärzte in Münster nur mit einem Katheter durch meine Leiste bis ins Gehirn wandern werden, um das Gerinnsel dort aufzulösen. Dass mir keine Glatze droht, beruhigt mich ein bisschen, die blassen Gesichter meiner Eltern weniger.
Not-OP missglückt: Jill Frenz bekommt einen zweiten Schlaganfall
Für Aufmunterung sorgen die beiden gut gelaunten Sanitäter, die mich mit dem Hubschrauber nach Münster bringen sollen: „Du hast also einen Freiflug gewonnen?“, scherzen sie, bevor sie mich mitnehmen. Im Hubschrauber misst einer meinen Blutzucker und erklärt, dass Unterzuckerung die gleichen Symptome hervorrufe wie ein Schlaganfall. Ach, wie schön wäre es, wenn ich unterzuckert wäre. Dann könnten wir ja wieder landen, ich würde eine Tafel Schokolade essen und nach Hause fahren; mit meiner Freundin Lorena tanzen gehen und mit ihr darüber lachen, was mir heute passiert ist. Aber ich habe Pech: Der Blutzucker ist bestens und mich hat wohl doch ein Schlaganfall erwischt.
Die Operation in Münster gelingt nicht. Als ich auf der Intensivstation aufwache, wird mir erklärt, dass das Gerinnsel nicht gelöst werden konnte. Deshalb habe ich auch den angekündigten zweiten, noch schwereren Schlaganfall. Und der richtet großen Schaden an: Konnte ich meinen linken Arm nach dem ersten Schlaganfall zwar unkontrolliert, aber immerhin überhaupt noch bewegen und schwerfällig laufen, tut sich jetzt rein gar nichts mehr.
„Tickende Zeitbombe“: Gehirnschwellung brachte 24-Jährige ins Todesgefahr
Wie schlimm es aber wirklich um mich steht, wird mir erst einen Tag später bewusst: Ich sei eine „tickende Zeitbombe“, sagt eine Krankenschwester. Der Arzt erklärt, warum: Dass ich sehr müde sei und ständig einschlafe, spreche dafür, dass mein Gehirn durch den Schlaganfall anschwelle. Deswegen müssten die Ärzte mir die Schädeldecke entfernen, um dem Gehirn Platz zu schaffen. Der Schädelknochen würde dann eingefroren und später wieder eingesetzt. „Ich will das nicht!“, sage ich dem Arzt. „Es kann sein, dass du dann stirbst!“, sagt der Arzt. Ich muss schwer schlucken. An den Tod hatte ich noch gar nicht gedacht - bis jetzt. Aber ich habe noch mal Glück: Die Gehirnschwellung geht zurück und einen Tag später kann ich die Intensivstation verlassen.
Jetzt beginnt die Rehabilitation und ich lerne: Junge Betroffene wie ich haben einen großen Vorteil, denn das Gehirn ist noch anpassungsfähig und lernt deutlich schneller als das eines älteren Menschen. Die Aufgaben der Gehirnareale, die bei mir durch den Schlaganfall zerstört wurden, können durch andere übernommen werden. Die Chancen vollständiger Genesung stehen gut.
Zwei Schlaganfälle mit 24: Mühsamer Weg zurück ins Leben
Aber es ist mühsam. Täglich besuchen mich zwei Physiotherapeutinnen, um mir das Laufen wieder beizubringen. Ich bin ein ungeduldiger Mensch, aber immerhin nicht hoffnungslos. Und der Erfolg stellt sich tatsächlich ein: Nach drei Monaten kann ich die Reha-Klinik auf eigenen Beinen verlassen. Lediglich mein Arm funktioniert noch nicht wieder, so dass das Training zu Hause weitergehen muss.
Heute, ein Jahr nach meinem Schlaganfall, arbeite ich immer noch an meiner Arm- und Handfunktion und einem saubereren Gang. Vieles in meinem Alltag bekomme ich nur mit fremder Hilfe hin: Anziehen oder Duschen zum Beispiel. An Kochen ist nicht zu denken. Ich esse fast ausschließlich auswärts und muss darauf achten, nichts zu bestellen, das ich mit Messer und Gabel zerschneiden müsste. Das beschränkt mich meistens auf Reis oder Nudeln.
Zwei Schlaganfälle mit 24: Selbst das Festhalten in der Straßenbahn ist schwierig
Auch Straßenbahnfahren ist ein Abenteuer, wenn man sich nur mit einer Hand festhalten kann. Es bietet mir auch niemand seinen Platz an, meine Behinderung sieht man mir schließlich nicht sofort an. Und darum zu bitten, wäre mir unangenehm. Ich selbst sehe meine Behinderung natürlich sofort: Ich kann mir meine Haare nicht mehr zum Zopf binden und meine Gesichtszüge sehen irgendwie schief aus. Die Prognose meiner Therapeuten hält mich aber bei der Stange: In etwa einem Jahr dürfte ich wieder greifen können. Dass ich jemals wieder meine Feinmotorik zurückerlange und Klavier spielen oder Frisuren flechten könnte, diese Hoffnung macht mir keiner. Greifen wäre aber schon mal toll.
Vielleicht würden sich meine Eltern dann auch wieder etwas entspannen. Seit dem Schlaganfall bin ich zu Hause wieder auf Kleinkind-Status zurückgestuft. Mehr vier als 24. Meine Mutter und mein Vater beobachten jeden meiner Schritte, passen auf, dass ich nicht stürze und trauen mir insgesamt nur noch wenig Selbstständigkeit zu. Sie sorgen sich. Mit meinen Freunden ist es leichter.
Trotz meines Handicaps bin ich fast überall dabei, komme mit zur Kirmes oder zu Partys - und habe Spaß. Meistens jedenfalls. Ab und zu bin ich überfordert, weil meine Freunde alles fast zu normal nehmen. Und wenn sie mich fragen: „Was macht dein Arm, machst du Fortschritte?“, reagiere ich genervt.
Es gibt Momente, da kann ich dem Schlaganfall sogar etwas abgewinnen. Ich bin durch diese Erfahrung zufriedener mit dem Leben geworden, Gesundheit ist nicht mehr so selbstverständlich. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal und weiß, dass ich durch dieses Erlebnis sehr viel gelernt habe. (mz)