Polizei-Einsatz beim HFC-Spiel Polizei-Einsatz beim HFC-Spiel: Eine Bundespolizistin unter Hooligans und Fußball-Fans

Halle (Saale) - Die Einsatzkräfte von Landes- und Bundespolizei setzen sich in Bewegung, als ein Zug einfährt. Sie setzen Helme auf, ein Videowagen filmt. Der Zug bringt Fußballfans des Chemnitzer FC zum Auswärtsspiel nach Halle in Sachsen-Anhalt. Sie stehen dicht gedrängt an Türen und Fenstern. Einige wummern mit den Handflächen dagegen. Der hellblau-weiße Wahnsinn beginnt. Anna Maria Rühlmann ist mittendrin - und die Ruhe selbst.
Die zierliche Frau mit dem blonden Zopf ist eine sogenannte Fankundige Beamtin, eine FKB. Die 40 Jahre alte und 1,64 Meter kleine Bundespolizistin bewegt sich seit elf Jahren in der Szene der Fußballfans. Nur 12 Frauen bundesweit machen diesen Job hauptamtlich, bei insgesamt 102 Fankundigen Beamten, wie es bei der Informationsstelle Sport im Bundespolizeipräsidium Potsdam heißt.
Mit dem Handy Fußballfans koordinieren
Rühlmann ist an diesem Fußballsonntag schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Gut zwei Stunden bevor sich der Strom von knapp 250 Chemnitz-Fans auf den schmalen Bahnsteig des Haltepunkts Halle-Messe ergießt, sitzt sie im Hauptbahnhof und telefoniert. Das Handy klingelt ständig. Zwischen zwei Gesprächen hat sie sich schnell einen Kaffee geholt. Rühlmann sitzt vor ihrem Pappbecher und koordiniert Fußballfangruppen per Handy. Da ist es noch nicht einmal 10.00 Uhr.
Später laufen an Rühlman die ersten Fußballenthusiasten aus Halle mit Trikot und Bierbüchse vorbei. Die Stimmung ist ausgelassen. Um 14.00 Uhr wird Schiedsrichter Wolfgang Stark die Drittligapartie im Erdgas Sportpark Halle anpfeifen. Bis dahin müssen Rühlmann und ihre Kollegen viel laufen, viel stehen und viel telefonieren. Funktionsjacke und bequeme Sneakers statt steifer Polizeimontur.
Wenige Fans wollen nur eins: Ärger.
Die Polizeihauptmeisterin betreut mit einem Kollegen zusammen den Drittligisten Hallescher FC. Bei Heim- und Auswärtsspielen sind sie im Einsatz. «Ich habe den Verein von der Ober- bis in die Dritte Bundesliga begleitet», sagt sie. Der Einsatz der FKB ist im Profifußball Pflicht, als Teil eines nationalen Sicherheitskonzepts im Sport.
Bei der Bundespolizei gibt es Fankundige Beamte, auf Ebene der Landespolizei heißen sie Szenekundige Beamte (SKB). Ihre Aufgabe ist es je nach Zuständigkeit, zunächst präventiv auf die aktive Fanszene einzuwirken - eine Gruppe, in der nicht jedem wichtig ist, dass der Ball rollt. Einige bringen nicht den Fanschal, sondern Frust und Aggression mit ins Stadion. Wenige wollen nur eins: Ärger.
Die Spezialbeamten sind in Zivil unterwegs, immer bewaffnet, aber keinesfalls «Verdeckte». «Mein Gesicht kennt man doch längst», sagt Rühlmann. Angst hat sie keine. Einmal verletzte sie ein Böller. Danach war sie mehrere Monate krankgeschrieben. Das war 2015.
Als Bundespolizistin ist Rühlmann für den Fanverkehr im Bereich der Deutschen Bahn AG zuständig. Da kreuzen sich auf Bahnhöfen und an Haltepunkten auch schon mal Routen von Fanlagern, die besser nicht ohne Polizeipräsenz aufeinandertreffen sollten. Rühlmann weiß: «Bahnfahrer sind oft Ultras.» Und sie sagt: «Solange die Fans noch lenkbar sind, versuchen wir, einzugreifen.» Sie ist immer ganz nah dran, wenn die HFC-Fans zu Auswärtsspielen fahren oder Gästefans mit dem Zug anreisen.
Wieder klingelt das Handy. Es gibt Gerüchte, dass Fans des FSV Zwickau zum Auswärtsspiel nach Berlin über Halle kommen. Rühlmann telefoniert sofort mit einem Zwickauer FKB, der mit im Zug sitzt. Falscher Alarm. Die Zwickauer fahren wie geplant über Dessau. Ein Aufeinandertreffen der Fußballfans in Halle ist vom Tisch. Rühlmann ist erleichtert und lacht.
Zierliche Polizistin unter gewaltbereiten Hooligans
Zurück zum Haltepunkt. Kurzfristig war entschieden worden, die mit der Bahn reisenden Fans aus Chemnitz dort statt am Hauptbahnhof aussteigen zu lassen. «Sie sollen mit Bussen zum Stadion gebracht werden», sagt Rühlmann, deren Mann sich als Bundespolizist ebenfalls um Fußballfans kümmert. Inzwischen hat sie Verstärkung von Danny Fischmann (39) bekommen. Der Polizeiobermeister hat einen «Knopf im Ohr», hört also den Funk mit, um schnell reagieren zu können. Per Telefon kommen Infos aus dem Zug. «243 Chemnitzer», sagt Rühlmann. Geht ja noch. Dann steigen alle aus.
An dem einsamen Haltepunkt steht an diesem Tag auch Steffen Quaas. Er leitet die Bundespolizeiinspektion Magdeburg und kommt bei der Frage nach den FKB ins Schwärmen. «Das sind die wichtigsten Menschen hier», sagt er. «Keinem der anderen Polizisten ist es zuzumuten, die Eigenheiten der Fans zu kennen.»
Dass Rühlmann eine Frau und außerdem klein und zierlich ist, hält ihr Chef für einen Vorteil im Spannungsfeld zwischen den Uniformierten und den oft gewaltbereiten Ultras und Hooligans. «Da mittendrin zu agieren, muss man erstmal aushalten.» Niemals, sagt Quaas mit einem Schmunzeln, würde er einen FKB «verkaufen». Schon wegen der Erfahrung und dem Stand, den sich jeder in der Szene erarbeitet hat. Viele Fans kennen die Beamten mit Namen.
Deeskalation und Problemfans
Rühlmann nimmt am Zug die fankundigen Kollegen in Empfang, die für den Chemnitzer FC zuständig sind. Man begrüßt sich herzlich, um dann Fakten auszutauschen. Derweil grölen und singen die Fans - einzig verständliches Wort ist Karl-Marx-Stadt, wie Chemnitz zu DDR-Zeiten hieß. Einige tragen gut sichtbar ein Vereinstattoo, andere haben schon ordentlich Alkohol intus. Auf der 15-minütigen, von Polizei und Straßensperrungen begleiteten Busfahrt zum Stadion, singen und hüpfen sie ohne Unterlass. Viele sind schon heiser. Rühlmann und ihr Kollege stehen vorn beim Fahrer und haben alles im Blick.
Anna Maria Rühlmann ist seit 22 Jahren Bundespolizistin. Sie kommt in Polen zur Welt und verlässt ihr Heimatland 1983 mit ihren Eltern. Sie wächst in Braunschweig auf. Später heiratet sie und wird vor neun Jahren Mutter einer Tochter. Für ihre Aufgaben als FKB besucht sie Lehrgänge und setzt sich intensiv mit der Szene auseinander. Viele Fans, vor allem die Ultras, würden unter normalen Umständen nie ein Wort mit der Polizei wechseln. «Mit mir und den Kollegen aber schon.»
Einige Fans rasten aus
Vor dem hallischen Stadion wird das Wirklichkeit. Ein wegen seiner Aggressivität bekannter HFC-Fan kommt auf die Bundespolizistin zu, um sie zu begrüßen. Ein kurzes, freundliches Gespräch, eine Ermahnung. Sie wird umsonst sein. Bei Handgreiflichkeiten nach dem Spiel wird der Mann mit Basecap dabei sein, die FKB bringen ihn aus dem Stadion. Später wird er sagen, er habe «den Kanal einfach voll gehabt.»
Da ist er nach dem Spiel, in dem der HFC unterliegt, nicht der Einzige. Rühlmann und Kollegen schlichten.
Von «Deeskalation» und «Problemfans» ist schon 45 Minuten vor Anpfiff die Rede: Bernd Paul lädt zum «Kurvengespräch», in dem das Sicherheitskonzept feingeschliffen wird. Gut 20 Vertreter von Polizei, Feuerwehr, den Vereinen, Sicherheitsdienst und Sanitäter scharen sich um den Mann. «Wie war die Anreise? Wie ist die Stimmung und gibt es was Besonderes?» Paul stellt viele Fragen. Immerhin ist die Drittligapartie ein sogenanntes Rotspiel. Die Risiken sind hoch. Rivalen gibt es nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf den Rängen.
Die Experten sprechen von drei Fangruppen: A-Fans sind grundsätzlich friedlich und nicht besonders gewaltbereit, B-Fans werden vor allem unter Alkohol aggressiv. Trotzdem kommen sie nicht in der Absicht zu einem Spiel, Gewalt auszuüben. «Die Grenzen sind fließend», sagt Rühlmann. «A wird schnell mal zu B.» Brenzlig wird es bei der C-Schublade. Diese Fans gelten als gewaltbereit und müssen dafür nicht einmal getrunken haben. Sie sind weniger am Sport und mehr an Provokationen und Kämpfen mit gegnerischen Fans und der Polizei interessiert. Gegen einige wurden Stadionverbote ausgesprochen.
Wie brisant das Spiel ist, verrät Polizeihauptkommissar Andreas Dietrich. Zu den 80 Bundespolizisten, darunter auch speziell ausgebildete Krisenmanager, kommen 380 Landespolizisten. Auch eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ist vor Ort. Dietrich sitzt im Führungspunkt, einem kleinen Raum oberhalb der Pressetribüne. Hier beobachten wachsame Augen viele Kamerabilder. Auf dem Tisch liegt ein Zettel mit Fotos und Namen von Fans, die aktuell nicht ins Stadion dürfen.
Der Raum ist auch Anlaufstelle für Rühlmann. Sie schaut mit auf die Bildschirme und nimmt auffällige Fans in Augenschein. Man kennt sich eben. «Und hier bekomme ich meine Zahlen», sagt sie. Für den Tag notiert sie für die schriftliche Nachbereitung: 9.117 Zuschauer, 1.264 Gästefans, davon etwa 80 B-Fans und rund 20 C-Fans.
Feierabend ist irgendwann
Nach 90 Minuten ist alles vorbei. Per Bus geht es mit großer Polizeieskorte zurück zum Haltepunkt Halle-Messe. Trotz des Siegs ist es ruhig. Die Akkus der CFC-Fans scheinen leer. Kein Gesang mehr, kein Gegröle. Ebenso entspannt ist auch die Abfahrt kurz nach 17.00 Uhr per Bahn Richtung Chemnitz. Feierabend.
Rühlmann atmet durch. Gleich am nächsten Tag geht es für sie und Fischmann nach Rostock. Um 10.00 Uhr steht die Sicherheitsberatung für das Auswärtsspiel des HFC an. Frei, sagt sie, ist irgendwann. Noch rollt der Ball - und die Fans auch. Auf Schienen zum Spiel. (dpa)