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Pädophilen-Ring auf der Spur Pädophilen-Ring auf der Spur: Fünfjährige wurde als Lockvogel eingesetzt

Von Ralf Böhme und Kristina Hammermann 05.05.2014, 08:20
Ein Verdächtiger wird von Polizeibeamten abgeführt.
Ein Verdächtiger wird von Polizeibeamten abgeführt. Gehrmann Lizenz

Aschersleben - Bei dem von der Polizei gesprengten Treffen mutmaßlicher Pädophiler in Sachsen-Anhalt soll der Hauptverdächtige seine fünf Jahre alte Nichte als Lockvogel eingesetzt haben. Die insgesamt elf Verdächtigen nahmen das fünfjährige Mädchen mit, um etwa auf Spielplätzen Kontakt zu anderen Kindern aufzubauen, wie Ermittler Holger Herrmann am Montag in Magdeburg sagte. Das Kind sei zunächst in die Obhut des Jugendamtes gekommen; die Behörde habe es später an den Vater übergeben

Gegen die in Aschersleben enttarnten Mitglieder eines Pädophilenrings wird wegen des Anfangsverdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt. Zudem gebe es den Verdacht des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie, sagte der Leiter der Zentralen Kriminalitätsbekämpfung, Holger Herrmann, am Montag in Magdeburg. Es bestehe der Verdacht, dass die Gruppe international tätig geworden sei. Die in Gewahrsam genommen sind zwischen 23 und 60 Jahren alt. Sie kommen aus Berlin, Dresden, Leipzig, aus Nordrhein-Westfalen und der Schweiz. Drei seien einschlägig vorbestraft. Es seien Rechner, Kommunikationstechnik und Datenträger beschlagnahmt worden.

Beweismaterial sichergestellt

Die in Aschersleben gefassten elf mutmaßlichen Mitglieder eines bundesweiten Pädophilenrings sind wieder auf freiem Fuß. Wie es am Montag von der Polizei in Magdeburg hieß, wurden bisher keine Haftbefehle gegen sie beantragt.

Ein Insidertipp soll die Ermittler schon vor Monaten auf die Spur eines Netzwerks von Pädophilen gebracht haben. Die Schlinge ist jedenfalls sorgsam gelegt und zieht sich Samstagabend in Aschersleben (Salzlandkreis) zu. Da rollen plötzlich Polizeifahrzeuge von allen Seiten in die Einbahnstraße „Vor dem Steintor“. Dort ist Endstation für einen kleinen Fiat, einen alten Volvo und einen großen Geländewagen. Die Fahrer und ihre Begleitung müssen aussteigen: zehn Männer, eine Frau und ein kleines Kind, umringt von 50 bis 70 Polizisten. Widerstand ist zwecklos. Eine Kamera hält das Geschehen fest.

Bald wagen sich Schaulustige vor. Sie stellen Fragen nach dem Großaufgebot der Polizei, das es so in Aschersleben lange nicht gegeben hat. Antworten erhalten sie nicht.

Die Beamten arbeiten derweil an einem der vielleicht größten Fahndungserfolge gegen einen Pädophilen-Ring in Sachsen-Anhalt. Immer zwei Polizisten nehmen einen Verdächtigen - die allesamt schweigen - in ihre Mitte. Die Personalien werden aufgenommen. Die Kennzeichen der beschlagnahmten Autos signalisieren, dass die festgenommenen Personen teils von weither kommen - aus Dortmund und Düren (Nordrhein-Westfalen) sowie aus Chemnitz (Sachsen). Dann wird das Gepäck genau durchsucht, jedes Stück protokolliert. Auch die Autos werden unter die Lupe genommen.

Wenig später klicken Handschellen. Ein Mann wird zu einem der beiden bereitstehenden Transporter geführt. Dort muss er in einer kleinen Einzelzelle Platz nehmen. Weitere mutmaßliche Komplizen folgen.

Nach viereinhalb Stunden ist die Straße wieder frei, als sei nichts passiert. Um das Kind, offenbar vier Jahre alt und Tochter eines beschuldigten Mannes aus Chemnitz, kümmert sich das Jugendamt.

Inzwischen sind, wie später die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord bestätigt, die Vernehmungen in vollem Gange. Das Wenige, was nach draußen dringt, lässt Schlimmes ahnen. Da ist das Ausmaß des mutmaßlichen Kinderschänder-Organisation. Elf Personen wurden vorläufig in Gewahrsam genommen.

Laut Polizei gilt diese Gruppierung aber nur als der „engste Kreis“ des ganzen Netzwerks. Nach der Polizeiaktion in Aschersleben gehen Ermittler jedenfalls bundesweit neuen Spuren nach. So soll eine Vielzahl von Wohnungen nach belastendem Material durchsucht werden. Eine der ersten Durchsuchungen erfolgte, wie Augenzeugen berichten, noch am gleichen Abend in einem Haus in der Innenstadt von Aschersleben. Dabei soll auch ein Sack mit Beweismaterial sichergestellt worden sein. Ein Fahnder vergleicht die gesamte Polizeiaktion gegenüber der MZ mit einem „Stich in ein Wespennest“.

Mädchen als Lockvogel eingesetzt

Vorliegende Ermittlungsergebnisse stützen auch die Annahme, dass die Verdächtigen sehr planvoll vorgegangen sind. Als äußerst diskret und vorsichtig operierend, so beschreibt Polizeisprecher Marc Becher ihr Vorgehen. Offenbar arbeite das Netzwerk schon über Jahre. Aber nur einmal jährlich verlasse die Bande die virtuelle Welt des Internets - zu einem konspirativen Treffen, dieses Jahr in Aschersleben. Alltägliches diene dabei als Tarnung, so der gemeinsame Besuch eines Kinderflohmarktes und des Zoos in Aschersleben.

Nach bisherigen Erkenntnissen nutzte das Netzwerk ihre eigenen Kinder, um Kontakt zu späteren Opfern herzustellen. Nach Informationen des MDR soll auch das Mädchen, das bei der Polizeiaktion in Aschersleben aufgegriffen wurde, als Lockvogel eingesetzt worden sein. Zurückliegende Fälle belegen, um was es den Tätern geht: um den sexuellen Missbrauch von Kindern und dessen skrupellose Vermarktung. Fotos und Filme, die das zeigen, verkaufen sich im Internet gewinnbringend.

Die Angaben der Polizei im konkreten Fall sind bislang eher spärlich. Sprecher Becher: „Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.“ Einzelheiten, die zu früh an die Öffentlichkeit gelangen, könnten die weiteren Untersuchungen jedoch gefährden. So machte die Polizeidirektion auch gestern Abend keine Angaben, ob gegen die elf Beschuldigten mittlerweile Haftbefehle vorliegen und welche Staatsanwaltschaft für das Verfahren zuständig ist. (MZ/dpa

Einsatzkräfte sichern ein Fahrzeug von Verdächtigen. Das Auto wird dann akribisch unter die Lupe genommen.
Einsatzkräfte sichern ein Fahrzeug von Verdächtigen. Das Auto wird dann akribisch unter die Lupe genommen.
frank Gehrmann Lizenz
Auch dieser Geländewagen wird sichergestellt. Der Fahrer und seine Begleitung werden vorläufig festgenommen.
Auch dieser Geländewagen wird sichergestellt. Der Fahrer und seine Begleitung werden vorläufig festgenommen.
frank Gehrmann Lizenz