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Bessere Heilungschancen Oft reicht eine Hand - Hilfe für Demente in der Notaufnahme

In der Notaufnahme ist es oft hektisch und unübersichtlich. Das kann demente Patienten überfordern und ihre Heilungschancen schmälern. Drei Kliniken erproben eine mögliche Lösung.

Von Maurice Dirker (Text) und Swen Pförtner (Fotos), dpa 01.06.2025, 07:00
Oft reicht es, bei Patienten die Hand aufzulegen.
Oft reicht es, bei Patienten die Hand aufzulegen. Swen Pförtner/dpa

Göttingen - Hektik und Stress sind in der Notaufnahme keine Seltenheit. Sanitäter schieben Patienten auf Tragen in das Gebäude, Ärztinnen und Betreuer huschen zum nächsten Patienten. Für ältere und vor allem demente Menschen kann das überfordernd sein - und ihre Heilungschancen verschlechtern. Ehrenamtliche Notfallaufnahmelotsen wollen das an drei deutschen Klinikstandorten in Göttingen, Mannheim und Berlin verhindern.

Die größte Gefahr sei, dass es bei Patienten oder Patientinnen zu einem sogenannten Delir - das ist ein Zustand akuter Verwirrtheit, für den demente Menschen besonders anfällig sind, wie die Direktorin der Klinik für Geriatrie an der Universitätsmedizin Göttingen, Bettina von Arnim, erklärt. Ein Delir tritt plötzlich auf, beispielsweise nach Operationen und hält meist mehrere Tage an. 

Offene Gespräche

Damit es dazu nicht kommt, sind Ehrenamtler wie Kerstin Schneider an der Unimedizin im Einsatz. „Ihre Aufgabe ist es, die Menschen im Hier und Jetzt zu halten“, sagt von Arnim. Schneider berichtet: „Viele suchen einfach nur wen zum Reden. Das beruhigt sie bereits.“ Häufig reiche auch einfaches Handauflegen. Eine demente Frau habe etwa nur aufgehört zu schreien, wenn sie neben ihr gesessen habe, sagt Schneider.

„Ich trage bewusst keinen Kittel; spreche die Menschen einfach an, ohne dass Pflegerinnen oder Pfleger mich vorstellen“, berichtet Schneider. So werde sie nicht mit dem ärztlichen Personal in Verbindung gebracht, mit dem die Menschen nicht immer etwas Gutes verbinden. Wie das ärztliche Personal unterliegen aber auch die Lotsen der Schweigepflicht.

Team der Ehrenamtlichen soll wachsen 

In Göttingen ist Schneider eine von derzeit zwei Notaufnahmelotsinnen. Acht weitere Ehrenamtliche sollen bald zum Team hinzustoßen - Studierende wie Senioren. Eine medizinische Vorausbildung braucht es nicht. Schneider allerdings ist gelernte Krankenpflegerin, inzwischen aber Rentnerin und auch für andere ehrenamtliche Organisationen tätig. Als Notfalllotsin arbeitet sie meist zweimal im Monat für sechs bis sieben Stunden an selbstgewählten Tagen.

Etwas zu tun gebe es immer. „Däumchen habe ich noch nie gedreht“, sagt Schneider. Wenn niemand in der Notaufnahme oder der Station der Notaufnahme betreut werden müsse, kümmere sie sich um Menschen in der Geriatrie. Für ihre Arbeit als Lotsin hat sie eine Schulung zu Themen wie Demenz, Delir und Hygiene absolviert. Das wichtigste aber sei, auf die Betroffenen unvoreingenommen zuzugehen.

Uniklinik Göttingen überzeugt

In Göttingen ist man bisher von dem Angebot überzeugt - auch wenn zu Beginn nicht jeder daran glaubte. Das Pflegepersonal in der Notaufnahme sei zunächst skeptisch gewesen, fürchtete noch mehr Menschen, die auf den engen Fluren im Weg stehen, sagt Geriatrie-Direktorin von Arnim. „Inzwischen freuen sich die Kollegen, wenn wir kommen, weil wir ihnen Arbeit abnehmen“, sagt Lotsin Schneider.

Seit September sind die Lotsinnen in Göttingen im Einsatz. 30 bis 50 Betroffene wurden seitdem betreut. Das Potenzial sei aber viel größer, sagt die ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme an der UMG, Sabine Blaschke. Laut Statistiken seien fünf bis zehn Prozent der Menschen in Notaufnahmen von Demenz oder Delir betroffen - Tendenz steigend. 

Angebot auch an anderen deutschen Kliniken denkbar

Das aktuelle Projekt baut auf ein erstes Pilotprojekt auf, das 2019 an der Berliner Charité durchgeführt wurde. Ziel ist es, Heilungschancen zu verbessern. Denn etwa bei Menschen, die in einen Delir verfallen, besteht ein deutlich höheres Sterberisiko. Bei regelmäßigen Feedbackrunden mit Fragebögen bewerten Lotsinnen und Pflegepersonal das Projekt, erklärt Blaschke. Kleinigkeiten seien bereits verbessert worden. So gebe es inzwischen eine Tasche mit Büchern und Spielen als Beschäftigung für Patienten und Lotsen.

In Göttingen gibt es bereits Pläne, die bis 2025 laufende Testphase auch danach weiter anzubieten. Auch an der Charité überzeugt das Projekt. Man werde „alles daran setzen, es auch weiterzuführen“, hieß es. Notaufnahmelotsin Schneider hofft sogar: „Vielleicht gibt es ähnliche Angebote ja schon bald in ganz Deutschland.“ Bisher wird das allerdings nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält das Projekt für sinnvoll. Es sei allerdings nur die zweitbeste Lösung, sagte Vorstand Eugen Brysch. Besser wären hauptamtliche Fachkräfte. Darüber hinaus wünscht er sich, dass Krankenkassen verpflichtet werden, schon in der Notaufnahme für die Klinik-Unterbringung von Angehörigen zahlen, wenn das medizinisch notwendig sei.