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Nachruf Nachruf: Eine

Von Stefan Strauss 04.07.2010, 14:32

Berlin/MZ. - Am Sonnabendnachmittag hatten Polizisten die Leiche der 48-Jährigen in einem Waldstück im Reinickendorfer Ortsteil Heiligensee gefunden. Kirsten Heisig hatte sich dort erhängt. „Eine Obduktion ergab keine Hinweise auf Fremdverschulden“, sagte am Sonntag der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Eine toxikologischen Untersuchung wird noch klären, ob Heisig Medikamente genommen hatte. Berliner Politiker und Menschen, die mit der Richterin zusammengearbeitet hatten, reagierten am Sonntag schockiert. Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) würdigte Kirsten Heisig als „außerordentlich engagierte Richterin, die sich überobligatorisch um das Problem jugendlicher Gewalttäter kümmerte.“ Die stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Cornelia Pieper, würdigte Heisig als „mutige und couragiert Frau“, die Berliner Grünen sagten, Heisig habe sich mit großem Einsatz dem Problem der Jugendkriminalität gewidmet. Kirsten Heisig war als Jugendrichterin für Neuköllner Straftäter zwischen 14 und 18 Jahren zuständig. „Schneller strafen“, lautete ihr Motto, dass sie bundesweit bekannt machte. Neuköllner Modell hieß die Verfahrensweise, Strafanzeigen gegen Jugendliche schneller als bislang üblich zu bearbeiten. Dabei handelte es sich um Delikte wie Ladendiebstahl, Körperverletzung und Beleidigung, die Täter haben gestanden. „Es kann nicht sein, dass es trotz eindeutiger Beweislage mehrere Monate dauert, bis sich die Jugendlichen für ihre Taten verantworten müssen“, hatte Kirsten Heisig auf einer Veranstaltung im Februar 2010 gesagt. „Wenn aber zwischen der Tat und der Hauptverhandlung nur drei bis vier Wochen liegen, hat das eine stärkere erzieherische Wirkung.“ Zwei Jahre lang hatten Polizei und Gerichte in 180 Verfahren das Modell getestet, seit Juni 2010 gilt es in allen Bezirken. „Dieses Verfahren ist institutionalisiert, es wird fortgeführt“, sagte am Sonntag einer ihrer Kollegen.Die Jugendrichterin war umstritten. „Richterin Gnadenlos“ nannten sie Kritiker wegen ihrer juristischen Praxis. Sie wollte zudem bürokratische Abläufe beschleunigen, die Abteilungen sollten unbürokratisch kooperieren. Kirsten Heisig suchte die Auseinandersetzung. Ausführlich, faktenreich und differenziert diskutierte sie in Gesprächsrunden, in Talkshows und mit Neuköllner Schülern über Jugendkriminalgewalt und ihre Folgen. Sie hat darüber ein Buch geschrieben, im Herbst soll es erscheinen. Wer ihr zuhörte, war erstaunt, wie offen eine Mitarbeiterin der Justizbehörde eigentlich reden kann. Der Neuköllner Psychologe Kazim Erdogan hat eng mit Kirsten Heisig zusammengearbeitet. Sie kam oft zu seinen Elternversammlungen, erklärte türkischen und arabischen Eltern, wie sie vermeiden können, dass ihre Kinder im Gefängnis landen. „Sie wollte immer, dass ihr Terminkalender gut gefüllt ist“, sagt Erdogan. Acht gemeinsame Elternversammlungen im kommenden Schuljahr waren schon geplant. Von Lebensmüdigkeit hatte Erdogan bei Kirsten Heisig nichts gespürt. Sie blieb distanziert, habe nie über Persönliches gesprochen. Ihr Tod reiße ein „sehr tiefes Loch“, sagt Erdogan. Vielleicht war Heisigs voller Terminkalender aber auch eine Flucht vor privaten Problemen. Sie litt unter Depressionen, war überarbeitet und ausgebrannt. Sie lebte mit ihren Kindern, 13 und 15 Jahre alt, getrennt von ihrem Mann, soll einen Klinik-Aufenthalt und einen Selbstmordversuch hinter sich gehabt haben, berichteten Kollegen.In den Sommerferien wollte sie mit den Kindern in den Urlaub fahren.